Eingangsbereich des früheren Buffets im Landesgericht für Strafsachen Wien, dessen Türen mit überkreuzten rot-weißen Kunststoffbändern verklebt sind.
Einer der ersten Eindrücke, die Angeklagte und Zeuginnen derzeit auf dem Weg in die Verhandlungssäle des Landesgerichts für Strafsachen Wien bekommen.
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Wien – In der Vergangenheit hat sich die Angeklagte, die vor Richterin Magdalena Klestil-Krausam sitzt, für die Anliegen sexueller Minderheiten eingesetzt, beispielsweise im Rahmen eines Projekts, das laut der Beschreibung dafür sorgen soll, dass sich FLINT*Personen (die Abkürzung steht für "Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, Trans-Personen) "ihrer Möglichkeiten und Rechte bewusst werden". Mit dem Rechtsverständnis scheint es bei der 38-jährigen Österreicherin aber etwas zu hapern, schließlich sitzt sie bereits zum zweiten Mal wegen beharrlicher Verfolgung ihrer Ex-Partnerin vor einem Gericht.

Die Akademikerin war mit der anderen Frau im Jahr 2014 zusammengekommen, fünf Jahre später trennte sich das Paar wieder. Offenbar verwand die Angeklagte das nie richtig – im Juli 2021 wurde sie erstmals zu drei Monaten bedingter Haft verurteilt, da sie immer wieder Mails an die Ex-Partnerin schrieb, die auch eine einstweilige Verfügung erwirkte. Diese reduzierte zwar die Aktivität, von Mai 2022 bis August 2022 verfasste sie aber neuerlich über 100 Mails, entnimmt Klestil-Krausam dem Akt. Die Schreiben gingen aber nicht nur an das Opfer, sondern teilweise auch an deren Ehefrau, den Therapeuten und selbst die Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, an die sich das Opfer hilfesuchend gewandt hatte.

"Im Herbst 2022 wurden es dann wieder deutlich weniger Mails. Warum?", will die Richterin wissen. "Wissen Sie, ich habe mich nach der neuen Anzeige selbst an eine Stelle gewandt, wo ich seit Juni 2023 mit einem Trauma-Therapeuten arbeite ...", beginnt die Angeklagte ihre Ausführungen. "Es gab im August 2022 eine weitere einstweilige Verfügung gegen Sie. Hat die vielleicht etwas damit zu tun, dass sie weniger geschrieben haben?", unterbricht Klestil-Krausam die Angeklagte. "Ja, natürlich", gesteht diese ein.

"Natürlich will ich, dass die Person mich hört"

"Warum haben Sie ihr überhaupt geschrieben?", interessiert die Richterin weiter. "Wieso schreibe ich einer Person? Natürlich will ich, dass die Person mich hört." – "Was wollten Sie von ihr?" – "Wahrscheinlich eine Entschuldigung." Im Hintergrund steht offenbar eine Arbeit des Opfers, an der die Angeklagte mitgewirkt hat und die aus ihrer Sicht nach dem Beziehungsende nicht mehr verwertet hätte werden dürfen. "Die Frau will aber offenbar keinen Kontakt mit Ihnen. Glauben Sie nicht, dass es für sie belastend ist? Ist Ihnen klar, dass Sie in Zukunft keinen Kontakt mehr haben dürfen?" – "Definitiv."

Wie belastend es ist, schildert die Ex-Partnerin als Zeugin dann in Abwesenheit der Angeklagten. Für ihre Befragung beantragt ihre Privatbeteiligtenvertreterin Nadine Diensthuber den Ausschluss der Öffentlichkeit, ihr Begehr wird aber von der Richterin so wie zuvor jenes von Verteidiger Hubert Wagner nicht erfüllt. Klestil-Krausam sieht keine rechtliche Grundlage dafür. Also erfährt man vom Opfer, dass sie sich stark aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte und Schlafstörungen entwickelte. Die Mails seien "beleidigend, beschimpfend, sexuell anzüglich und derb" gewesen, erinnert sie sich. Teilweise habe es sich um seitenlange Schreiben samt Anhängen gehandelt. "Die Inhalte der Mails sind ja echt arg!", erklärt sie der Richterin.

"Gab es auch Forderungen der Angeklagten?", fragt Rechtsvertreterin Diensthuber ihre Mandantin. "Nein", kann die sich zunächst an keine konkreten Inhalte erinnern. "Es gab ein paar Mails, in denen sie gefordert hat, dass ich beruflich bestimmte Dinge ändere, das habe ich dann auch gemacht", fällt ihr dann der von der Angeklagten als Hauptmotiv angegebene Umstand ein. Im Wesentlichen sei es aber um private Dinge gegangen. Sie habe die Mails ihrer Ex-Lebensgefährtin zwar in den Spamordner umgeleitet, da sie in diesem aber immer wieder auch berufliche Mails suchen musste, registrierte sie die Nachrichten dennoch.

Keine Chance auf komplett bedingte Strafe

Die 38-Jährige, die mittlerweile in ein anderes Bundesland gezogen ist, wird schließlich für die über 200 Mails, die sie in einem guten Jahr versandt hat, zu sechs Monaten bedingter Haft und einer unbedingten Geldstrafe von 360 Tagsätzen à vier Euro – insgesamt also 1.440 Euro – verurteilt. Zusätzlich erhält sie die Weisungen, die begonnene Therapie fortzusetzen und keinen Kontakt mit dem Opfer zu haben. Vom Widerruf der Vorstrafe wird allerdings abgesehen. "Eine neuerliche komplett bedingte Strafe kommt angesichts der Vorstrafe nicht in Betracht", begründet Klestil-Krausam ihre rechtskräftige Entscheidung.

"Es ist heute die letzte Chance, die Sie bekommen. Wenn ich irgendetwas davon höre, dass Sie die Weisungen nicht einhalten, gehen Sie die sechs Monate ins Gefängnis", schärft die Richterin der Angeklagten ein. "Und da Sie sich heute teilweise auch als Opfer dargestellt haben, sage ich in aller Deutlichkeit: In unserem Strafverfahren ist Ihre Ex-Partnerin das Opfer!", stellt Klestil-Krausam klar. "Bitte halten Sie sich daran, in ihrem eigenen Interesse", gibt sie der Angeklagten noch mit auf den Weg hinaus aus dem Verhandlungssaal. (Michael Möseneder, 14.9.2023)