Mit Gefühlen ist es bekanntlich so eine Sache: Jedes Subjekt ist davon überzeugt, selbst Emotionen wie Wut, Freude oder Trauer zu spüren. Beim Gegenüber aber können wir nur vermuten, dass es auch so ist – die letzte Gewissheit fehlt. Insofern ist es ohnehin problematisch, wenn sich eine Person dazu berufen fühlt, darüber Bescheid zu wissen, wie der andere fühlt. Dieser manipulative Prozess ist ein aktueller Trend in der Hobby-Psychologie. Was aber, wenn das eine Regierung tut?

Wird dieses Wandgemälde in Peking, auf dem japanische Kimonos zu sehen sind, in Zukunft als provokativ gewertet?
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Die Kommunistische Partei Chinas will nun ein Gesetz auf den Weg bringen, welches es unter Strafe stellt, die "Gefühle des chinesischen Volkes zu verletzen". Darunter fallen könnte zum Beispiel das Tragen provokativer Kleidung, wie eines japanischen Kimonos, der an die Gräuel der japanischen Besatzungszeit erinnert. Tatsächlich wurde im vergangenen Jahr eine Frau in der chinesischen Stadt Suzhou deswegen verwarnt.

Ebenso verboten werden sollen "Beleidigung, Verleumdung oder sonstige Verletzung von Namen lokaler Helden und Märtyrer". Geahndet werden sollen solche "Vergehen", sollte das Gesetz tatsächlich in Kraft treten, mit einer Freiheitsstrafe von 15 Tagen oder einer Geldbuße in Höhe von umgerechnet 680 US-Dollar.

Der Spott im Netz über das geplante Gesetz ist groß. Manche User fragten, ob dann nicht auch das Tragen westlicher Anzüge geahndet werden könne. Die Mode sei zwar marxistisch, aber doch gänzlich unchinesisch.

Mehr Empathie

Aus Sicht der politischen Führung allerdings ist ein solches Gesetz nur konsequent – könnte man es doch nur auch auf Nichtchinesen anwenden! Seit Jahren werden ausländische Besucher, Journalistinnen und Politiker auf Linie gebracht, indem man sie zu mehr Empathie mit den Gefühlen des chinesischen Volks ermahnt. Kritik an der Tibet-Politik? Lieber nicht laut sagen, das könnte schließlich die nationale Psyche verletzen. Die Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren in Xinjiang kritisieren? Noch schlechter, da würden sich ebenfalls Bürgerinnen und Bürger in ihren patriotischen Gefühlen gekränkt sehen. Kritik an der rabiaten Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong? Da mische man sich zusätzlich noch in die inneren Angelegenheiten Chinas ein.

Zahlreiche westliche Politiker und Geschäftsleute sind in den vergangenen drei Jahrzehnten diesem Mantra des chinesischen Regimes auf den Leim gegangen. Obendrauf erzählte man ihnen, offen geäußerte Kritik würde in der chinesischen Psyche apokalyptische Regungen hervorrufen: Der Kritisierte "verliere so das Gesicht".

Tatsächlich sind öffentliche Beschämungen in jedem Kulturkreis eher unangenehm für den Betroffenen. Gerade die Kommunistische Partei nahm und macht von dieser Methode ausgiebig Gebrauch. Öffentliche (meist erzwungene) Schuldeingeständnisse gehören zum politischen Alltag. Wie das chinesische Volk nun tatsächlich fühlt, darüber kann man nur mutmaßen. Valide Umfragen zu Sachfragen gibt es kaum in der Volksrepublik China. (Philipp Mattheis, 14.9.2023)