Sexarbeiterinnen bei einer Demonstration für die Entkriminalisierung von Prostitution in Berlin. 
Demonstration in Berlin für die Entkriminalisierung von Sexarbeit. Das Europaparlament hat sich für einen anderen Weg ausgesprochen.
IMAGO/Jochen Eckel

Straßburg – Das Europaparlament hat sich für ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten nordischen Modell ausgesprochen. In einer am Donnerstag angenommenen Entschließung forderten die Abgeordneten einheitliche Regeln für Sexarbeit in den EU-Staaten. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sollen demnach besser geschützt werden und Zugang zu Ausstiegsprogrammen bekommen. Das EU-Parlament stimmte mit 234 Stimmen für den Bericht, es gab 175 Gegenstimmen und 122 Enthaltungen.

Nach dem nordischen Modell, das in unterschiedlichen Varianten etwa in Schweden, Norwegen, Kanada oder Frankreich eingeführt wurde, wird auch einvernehmliche Prostitution kriminalisiert. Strafbar machen sich aber Freier, nicht Sexarbeitende. In Schweden gibt es dem Bericht zufolge seit Einführung der Gesetze deutlich weniger Prostitution.

70 Prozent der Prostituierten aus prekären Verhältnissen

Die bisher unterschiedlichen Regelungen in den EU-Mitgliedsstaaten begünstigten die organisierte Kriminalität und den Menschenhandel mit Prostituierten, heißt es in dem Parlamentsbericht. Die Kommission solle EU-weite Richtlinien entwickeln, die Betroffenen ihre Rechte garantieren sollen.

Rund 70 Prozent der Sexarbeiterinnen in der EU sind dem Bericht zufolge Migrantinnen aus besonders prekären Verhältnissen. "Diese Menschen befinden sich nicht aus freiem Willen in der Prostitution, sondern aus purer Perspektiv- und Alternativlosigkeit", erklärte die zuständige Abgeordnete Maria Noichl (SPD).

Die Menschen in der Sexarbeit würden marginalisiert und kriminalisiert, heißt es in dem Bericht. Sie hätten deshalb häufig keinen Zugang zum Gesundheits- und Sozialversicherungssystem und zum Rechtssystem. Die Abgeordneten riefen insbesondere Polen dazu auf, Prostituierten den Zugang zu Verhütungsmitteln und sicheren Abtreibungen zu ermöglichen.

EU-Abgeordnete Vana und Frauenring lehnen Modell ab

Die grüne Delegationsleiterin Monika Vana zeigte sich enttäuscht vom Ausgang der Abstimmung. "Das Europaparlament hat erneut – wie 2014 – die Chance verpasst, sich für die vollständige Entkriminalisierung von Sexarbeit auszusprechen", beklagte Vana. Kriminalisierung von Kundinnen und Kunden sexueller Dienstleistungen treibe Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen weiter in die Illegalität, in ungeschützte und gefährliche Zonen sowie prekäre Verhältnisse, wie auch zahlreiche NGOs bestätigen würden, deren Stimmen in den Bericht nicht aufgenommen worden seien.

"Zur Beendigung von Armut und Abhängigkeit braucht es eine Sozialunion, wie ein europaweites Mindesteinkommen, guten Zugang zu kommunalen Dienstleistungen und Wohnen sowie existenzsichernde Arbeitsplätze", so Vana. Menschenhandel und Ausbeutung müssten seitens der EU viel entschiedener bekämpft werden.

Der Österreichische Frauenring, eine Dachorganisation österreichischer Frauenvereine, zeigte sich über die Resolution besorgt. "Der Frauenring lehnt das nordische Modell ab. Sexarbeiterinnen werden so nur in die Illegalität getrieben", sagte die Vorsitzende Klaudia Frieben. Berichte zum nordischen Modell zeigten nicht, dass es weniger Sexarbeit gebe. "Wir müssen vielmehr die Rechte von Sexarbeiterinnen stärken. Es braucht Schutz vor Gewalt, Diskriminierung, Sexismus und Rassismus und eine soziale Absicherung." (APA, red, 15.9.2023)