Werk von Franz West
Eine deutsche Versicherung soll den Diebstahl dieses Werks von Franz West mit 80.000 Euro abgegolten haben.
Foto: Archiv Franz West, Estate Franz West

Stephan Zilkens ist keiner, der sich ein Blatt vor den Mund nimmt. Im wöchentlichen Blog seiner Zilkens Fine Art Insurance Broker GmbH kommentiert der 68-jährige Versicherungsmakler aus Köln durchaus launig das Zeitgeschehen rund um das Thema Kunst: adressiert an seine Klientel, laut Website also "Sammler, Künstler, Galerien, Kunsthändler, Museen, Restauratoren, Kunstspediteure, Ausstellungsmacher und all jene, die sich professionell mit Kunst beschäftigen".

Bisweilen meldet sich der studierte Kunsthistoriker auch recht unverblümt zu Wort. Etwa am 31. Juli, ein Datum, das bei einem Fall eine Rolle spielt, dessen Rekonstruktion teils ungewöhnliche Details zutage fördert und mit dem sich demnächst wohl auch österreichische Kriminalbeamte befassen werden. "Das Art Loss Register gilt eigentlich als Garant dafür, dass gestohlene Kunstwerke nicht mehr in den Umlauf kommen. Jetzt hat ein wichtiges österreichisches Auktionshaus einen Eintrag übersehen und eine gestohlene Arbeit versteigert", behauptete Zilkens. "Den Einlieferer wird es hoffentlich noch kennen und den Erwerber auch", setzte er ironisch nach, "denn das Werk gehört der Versicherungsgesellschaft."

Wie sich auf Nachfrage herausstellte, geht es um eine Arbeit von Franz West, die das Dorotheum am 22. März in der Sparte Österreichische Moderne und Zeitgenössische Kunst aus einer "Privatsammlung, Deutschland" versteigerte. Die auf 8000 bis 14.000 Euro taxierte Mischtechnik aus dem Jahr 1982, bei der West eine Seite aus einem Pornoheft partiell übermalte, erzielte 24.700 Euro (inkl. Aufgeld).

Auf dem Transportweg verschwunden

Zilkens zufolge ist das Bild seinem Klienten im Umfeld der Art Cologne im November 2021 abhandengekommen. Genauer auf dem Transportweg, zusammen mit drei weiteren Kunstwerken, die bei der Messe unverkauft geblieben waren. Der betroffene Galerist, so Zilkens, wünsche anonym zu bleiben und wolle sich nicht näher zu dem Fall äußern. Jedenfalls habe dieser die Kunstwerke bereits "Ende 2021 bei Art Loss als gestohlen gemeldet", erläutert der Makler anfänglich.

Beim sogenannten Art Loss Register (ALR) handelt es sich um ein international tätiges Unternehmen, zu dessen Gründungsgesellschaftern 1990 bedeutende Vertreter aus der Versicherungsbranche und dem Kunstmarkt gehörten. Es verfügt über die weltweit größte private Datenbank für "verlorene, gestohlene und geplünderte Kunstwerke, Antiquitäten und Sammlerstücke", in der laut Website derzeit mehr als 700.000 Objekte erfasst sind.

Diese werden im Auftrag der von Plünderungen oder Diebstählen Betroffenen, Versicherungen oder Polizeibehörden in die Datenbank übernommen. Übernimmt der Handel Kunst in Kommission oder zum Verkauf, kann er die Werke von ALR checken lassen. Ein Due-Diligence-Service, der sich im Laufe der Jahre als wichtiges Instrument des Risikomanagements erwies. Gerade auch für Auktionshäuser, die ihr Angebot im Vorfeld von Versteigerungen überprüfen lassen.

Standardmäßige Überprüfung

So auch das Dorotheum, wie dem Katalog zur Auktion vom 22. März zu entnehmen ist. Als ALR-Partner seien "sämtliche Gegenstände in diesem Katalog, sofern sie eindeutig identifizierbar sind" und einen Schätzwert von mindestens 1500 Euro haben, "vor der Versteigerung mit dem Datenbankbestand des Registers individuell abgeglichen" worden. Hat das Dorotheum also das angeblich dort längst als gestohlen gemeldete Werk von Franz West tatsächlich "übersehen"? Mitnichten, denn wie Recherchen seitens Art Loss ergaben, hatte der Galerist "im Februar 2022" lediglich eine Registrierung beantragt, die jedoch erst im heurigen Sommer abgeschlossen wurde, wie Zilkens aktuell informierte. Erst am 31. Juli wurde das Werk bei ALR als gestohlen registriert. Immerhin, denn in der Interpol-Datenbank, über die Behörden nach gestohlenen Kunstwerken fahnden, findet sich bislang kein Eintrag.

Wie es zu der monatelangen Verzögerung kam, die auch den Weiterverkauf ermöglichte? ALR hatte beim Galeristen weitere Informationen, "insbesondere zu den Eigentumsverhältnissen und einer Polizeimeldung", angefragt, wie es heißt. Die zugehörige Korrespondenz hat sich demnach "bis zum 27. Juli 2023" gezogen, "als wir über die soeben erfolgte Polizeimeldung informiert wurden". Mit anderen Worten hatte der deutsche Galerist verabsäumt, den Diebstahl bzw. Verlust von vier Kunstwerken aus seinem Warenbestand zeitnah bei der Polizei anzuzeigen.

Großzügiger Versicherer

Laut Stephan Zilkens ist der Schaden von einer deutschen Versicherung auch ohne Vorlage einer Anzeige oder der ALR-Registrierung abgegolten worden: "zum Kommissionswert", wie er sagt, der sich für das West-Bild auf 80.000 Euro belaufen habe. Ein stolzer Preis, gemessen am aktuellen Schätzwert des Dorotheums und vor allem an den Auktionsergebnissen für vergleichbare Werke der letzten Jahre, die eher bei einem Drittel liegen. Durch die Abgeltung des Schadens wurde die Versicherung Eigentümer des Bildes. Ob das Dorotheum den Verkauf nun rückabwickeln muss, ist nur eine der offenen Fragen. Andere, wie jene zur Identität des Verkäufers und auf welchem Wege er in den Besitz des Werkes kam, werden länderübergreifende Ermittlungen zu klären haben. Dem österreichischen Bundeskriminalamt lag zu Redaktionsschluss noch keine Meldung des Falls vor. (Olga Kronsteiner, 17.9.2023)