Luger warnt, dass "Wirtschaftspolitik per se kein gutes Exerzierfeld für ideologische Vorstellungen" sei.
Alexander Schwarzl

Der kleine Schwarze gehört zu Klaus Luger wie der FC-Blau-Weiß-Linz-Schal. Nach einem Schluck vom Espresso und einer kurzen, aber fachkundigen Fußballanalyse über den Bundesliga-Aufsteiger ist das Linzer Stadtoberhaupt bereit, sich ausführlich der sozialdemokratischen Neuausrichtung zu widmen.

STANDARD: Fahren Sie eigentlich immer Tempo 100 auf den heimischen Autobahnen?

Luger: Nein, mache ich nicht.

STANDARD: Da wird Ihr Bundesparteichef aber nicht glücklich sein. Andreas Babler hat verkündet, nie schneller unterwegs zu sein.

Luger: Jeder hat sein Tempo. Es sind 130 km/h erlaubt – und das nutze ich auch aus.

STANDARD: Wir blicken auf eine durchaus turbulente Zeit innerhalb der SPÖ zurück. Sie haben im Zuge des internen Wahldebakels rund um den Vorsitz gemeint: "So etwas von Unfähigkeit hat es in der Sozialdemokratie in der Zweiten Republik noch nie gegeben." Hat Sie die Entwicklung in der Partei mit dem Neustart wieder ein wenig besänftigt?

Luger: Es ist innerhalb der Partei spürbar, dass ein neues Bewusstsein herrscht, dass das Austragen von Konflikten auf offener Bühne nicht stattfinden soll. Es ist eine gewisse Konsolidierung in der SPÖ eingetreten. Ich habe ja ursprünglich auch zu jenen gehört, die froh waren, dass Hans Peter Doskozil gewonnen hat – entsprechend enttäuscht war ich zwei Tage später. Aber ich habe immer die Position eingenommen: Egal wer gewinnt, er ist demokratisch legitimiert, Parteivorsitzender zu sein.

STANDARD: Jetzt sind Sie aber nicht der Typ, der zum Kadavargehorsam neigt. Kritik von Ihrer Seite an Vorschlägen der Parteispitze kam rasch. Etwa bei Tempo 100 oder der 32-Stunden-Woche. Wie würden Sie aktuell Ihr Verhältnis zu Andreas Babler beschreiben?

Luger: Es gab vor kurzem ein Vieraugengespräch. Da war der Umgang persönlich korrekt, auch professionell. Aber durchaus mit nach wie vor unterschiedlichen Positionen. Aber ich bin seit Juli 1992 Berufspolitiker – und in diesen 31 Jahren war für mich nicht immer entscheidend, ob ich mit jemandem eine persönliche Freundschaft pflege, sondern ob man inhaltlich strukturell etwas verändern kann. Man muss in der SPÖ nicht befreundet sein, auch wenn der Parteigruß "Freundschaft" lautet. Es geht auch ohne Parteifreundschaft.

STANDARD: Ihre Loyalität zum Parteiobmann in Ehren. Aber gerade inhaltlich gibt es ja große Knackpunkte. Bablers Verständnis für die Klimaproteste, ein Koalitionsabkommen, Tempo 100, die Verkürzung der Arbeitszeit ...

Luger: Ja, in all diesen Bereichen gibt es eine unterschiedliche Auffassung. Und das ist auch nichts kurzfristig beseitigbar. Ich werde nie ein Freund von Tempo 100 sein, habe meine Position zur Art und Weise der Klimakleber und deren Kontraproduktivität für die Sache. Und ich habe angesichts des demografischen Wandels eine andere Vorstellung, wie die Gestaltung unserer Arbeitszeit sein soll. Die Sozialdemokratie ist auch deswegen in Turbulenzen geraten, weil diese inhaltlichen Unterschiede ja nicht nur zwischen Babler und Luger existieren, sondern eben auch in unterschiedlichen Teilen der SPÖ. Und in der Vergangenheit wurden diese unterschiedlichen Meinungen mit Befindlichkeiten konnotiert. Mit gut und böse, falsch und richtig. Und das tun wir derzeit nicht, auch Babler nicht.

STANDARD: Es gibt in der SPÖ unterschiedliche Beschlüsse etwa zur Arbeitszeitverkürzung. Aktuell liegt der Fokus auf einer 32-Stunden-Woche. Warum können Sie diesem Modell nichts abgewinnen?

Luger: Diskutabel ist alles. Und partiell passiert ja eine Arbeitszeitverkürzung quer durch die Gesellschaft durch die vielen Teilzeitkräfte. Man muss daher vielmehr versuchen, die reale Arbeitszeit, die aktuell ein wenig über 35 Wochenstunden liegt, aufgrund des demografischen Wandels anzuheben. Am Beispiel Linz zeigt sich: Es fehlen in acht Jahren, nur aufgrund der Demografie, am Wirtschaftsstandort rund 14.000 Beschäftigte. Da wird man mir schwer erklären können, dass eine zusätzliche generelle Arbeitszeitverkürzung das Problem löst. Das ist mathematisch nicht nachvollziehbar und ökonomisch unmöglich.

STANDARD: Andreas Babler steht für einen Linksruck in der Sozialdemokratie – Umverteilung, Arbeitszeitverkürzung und Vermögensbegrenzung. Ist es heute ein Vorteil, dass Sie einst kommunistischer Studentenvertreter waren?

Luger: Das ist lange aus. Inwieweit Bablers Weg erfolgreich sein wird, wird man im Juni bei der EU-Wahl und im Herbst bei der Nationalratswahl sehen. Mein persönlicher Zugang ist ein anderer, auch von der Rhetorik. Ich versuche aus der Mitte heraus zu agieren. Ich habe diese linken Positionen in meiner Jugend ausgelebt und mich zu einem sozialliberalen Menschen entwickelt.

STANDARD: Heißt, auch dem SPÖ-Modell einer Besteuerung von Vermögen und Erbe können Sie wenig abgewinnen?

Luger: Für eine zusätzliche Besteuerung der allerhöchsten Einkommen gibt es durchaus Gründe. Man kann volkswirtschaftlich nachweisen, dass die obersten zwei Prozent Vermögen die waren, die in den letzten zehn Jahren am raschesten gestiegen sind. Eine klassische Frage der Umverteilung, der ich sehr viel abgewinnen kann. Aufpassen muss man immer, wie komplexe Konzepte in der politischen Diskussion rezipiert werden. Da liegt die große Gefahr, dass in der Kommunikation aus einer Millionärssteuer plötzlich eine Häuslbauersteuer wird. Man muss da sehr behutsam sein. Und ich möchte meine linken Freunde in der SPÖ daran erinnern, dass ein – sich selbst als links bezeichnender – ehemaliger Finanzminister Ferdinand Lacina so viel ökonomischen Verstand gehabt hat, dass er das Stiftungssystem damals in Österreich eingeführt hat. Er hat erkannt, dass ein Kapitalabfluss ins Ausland droht, wenn Österreich nicht dieses sehr steuerschonende Modell für Millionäre und Milliardäre gemacht hätte. An dem soll man sich ein Beispiel nehmen, dass Wirtschaftspolitik per se kein gutes Exerzierfeld für ideologische Vorstellungen ist. Es geht darum zu schauen, was in einer Gesellschaft real ist. Daher kann man absolute Topvermögen besteuern.

STANDARD: Man ist um eine neue rote Harmonie bemüht, doch die kritischen Zwischenrufe aus den Reihen etwa der burgenländischen Genossen sorgen weiter für Disharmonie. Was zu einer gewissen Ratlosigkeit in der SPÖ führt, etwa in der Frage, wie man mit Landeshauptmann Hans Peter Doskozil umgehen soll. Ihr Rat?

Luger: Da Bild stimmt ja so nicht. Es ist Ruhe in die SPÖ eingekehrt. Auch weil es wieder eine Linie gibt. Es ist derzeit klar, wofür die SPÖ in vielen Bereichen steht. Aber natürlich weiß man nie, wie bestimmte Leute in der Partei reagieren, etwa wenn es einmal nicht so gut läuft. Man kann das mit einem Krebspatienten vergleichen, der geheilt ist, aber immer wieder Nachuntersuchung hat. Es ist eine Unsicherheit, mit der man leben lernen muss. (Markus Rohrhofer, 16.9.2023)