Wenn man sich durch das Internet oder das, was von der einst großen Idee übrig geblieben ist, bewegt, hat man das Gefühl, durch eine vermüllte Megacity zu laufen: Briefkästen, die vor Reklame überquellen. Hauswände, die mit Fäkalsprache vollgesudelt werden. Und Onlinemärkte, die mit Ramschprodukten vollgestopft sind. Es hat etwas von einer hektischen Börse, einem Infobasar, wo man im Echo der Marktschreier sein eigenes Wort nicht mehr versteht.

Jeden Tag werden rund 320 Milliarden E-Mails verschickt, hinzu kommen nochmals eine Milliarde "Stories" auf Facebook-Apps und 500 Millionen Tweets. Es sind Zahlen, die einen schwindlig werden lassen. Um das, was in einer Minute Internet passiert, zu rezipieren, reicht die Lebenserwartung eines Menschen nicht aus.

Der frühere Google-Chef Eric Schmidt hat einmal gesagt, dass die Menschheit alle zwei Tage fünf Exabyte "Informationen" erzeuge – das ist ungefähr 20-mal so viel wie der Bestand der Library of Congress. Doch dieser Sturzbach an Informationen, der sich jeden Tag über unsere geistige Landschaft ergießt, schwemmt auch jede Menge Müll und Treibgut an, das die Kläranlagen digitaler Ökosysteme kaum noch reinigen können: Spam, Fake News, Phishing-Mails.

Man sitzt vor Computerbildschirm und tippt in Tastatur. Hinter dem Bildschirm fliegen Buchstaben  raus in die Atmosphäre.
Mails wie "Danke" verursachen allein in Großbritannien über 16.000 Tonnen CO2 im Jahr – so viel wie über 3.000 Dieselfahrzeuge auf der Straße.
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Spam seit 1978

Früher musste man diesen Schrott noch von Hand produzieren. Heute geht das maschinell – mit frei zugänglichen Text- und Bildgeneratoren. Ein Flugzeug, das in ein Hochhaus crasht? Ein Bericht über ein fiktives Treffen von Putin und Selenskyj? Kein Problem! Der Roboter greift zum Pinsel oder in die Tasten.

Der Siegeszug der generativen KI hat die Schleusen der Information geöffnet: Onlineforen werden mit computergenerierten Texten und Bildern geflutet, Streamingdienste mit Billigproduktionen aus dem Automaten. Das Internet ist zur Müllhalde geworden.

Nachdem der Programmierer Ray Tomlinson 1972 die erste E-Mail – damals noch über das Arpanet, den Vorgänger des Internets – verschickt hatte, dauerte es nicht lange, bis die ersten Werbeprospekte im elektronischen Postfach landeten. Gary Thuerk, der Manager eines Elektronikmarkts, sendete 1978 ungefragt eine Massennachricht an 600 ausgewählte IT-Experten. Schnell etablierte sich dafür der Begriff "Spam", der als Produktmarke des US-Fleischproduzenten Hormel Foods bekannt war, der unter diesem Namen Fleischkonserven vertrieb ("Special Processed American Meat").

Zwar gibt es inzwischen mehr oder weniger funktionale Spam-Filter, in deren Schleppnetzen sich teils auch wichtige Mails verfangen, doch noch immer landen ungefragt unzählige dubiose Angebote für Proteinshakes oder Penisverlängerungen im digitalen Postfach, die noch unappetitlicher als Dosenfleisch sind.

Kein ökologisches Bewusstsein im Internet

Dass es der Industrie bisher nicht gelungen ist, diese "Externalitäten", wie es im Wirtschaftsjargon heißt, einzudämmen, hängt auch damit zusammen, dass die digitale Vermüllung auf ein informatisches Problem reduziert und ökonomistisch verengt wurde: Man müsse nur bessere Algorithmen und Modelle bauen, dann werde sich das Problem von allein lösen, hieß es. Dass Spam aber auch etwas mit unserer Vorstellung von Umwelt und Informationen zu tun hat, findet bei der Problembearbeitung kaum Beachtung.

Müll ist menschheitsgeschichtlich betrachtet ein recht neues Phänomen. Die Kulturhistorikerin Susan Strasser schreibt in ihrem Buch "Waste and Want: A Social History of Trash" (1999), dass es Abfall vor dem 20. Jahrhundert praktisch kaum gab. Frühmoderne Gesellschaften hatten ein hochfunktionales Recyclingsystem, das Gegenstände wiederverwertete oder als Brennstoff nutzte. Man warf nichts weg, weil Rohstoffe knapp waren. Erst mit der Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Industrialisierung und Massenproduktion änderte sich dies. Die Umweltbewegung war auch eine Antwort auf die Verschmutzung des Planeten: Plastikmüll, Atommüll, FCKWs etc.

Digitaler Putztrupp

Im Gegensatz zur physischen Welt hat sich in der virtuellen Welt aber noch kein ökologisches Bewusstsein entwickelt. Man kippt einfach seinen Müll ins Netz, ohne Rücksicht darauf, wer dies am Ende beseitigen muss. Der digitale Putztrupp, der im Auftrag großer Tech-Plattformen wie Google oder Meta für ein paar Dollar am Tag auf den Philippinen unter ärgsten psychologischen Belastungen den Dreck aus dem Netz entfernt – Gewaltvideos, Sodomie, Missbrauchsdarstellungen von Kindern –, reinigt ja nicht das Netz, sondern nur die (Benutzer-)Oberflächen der virtuellen Shopping-Malls.

Und die "Säuberungsaktionen" autoritärer Regime, die mit dem eisernen Besen Onlinedienste kehren, schaffen auch nur eine zweifelhafte Reinheit. Ein Bewusstsein dafür, dass man der (Informations-)Umwelt zuliebe auf die eine oder andere Emission von Mails oder Instagram-Posts verzichtet, hat sich noch nicht etabliert.

Dabei wäre eine Ökologie der Information schon allein aus aufmerksamkeitsökonomischen Gründen heilsam, weil der biologische Rechenapparat dann so etwas wie Datenhygiene leisten und unnötige Informationen überschreiben könnte. Aber eben nicht nur. Denn es besteht ja auch ein Zusammenhang zwischen Spam und Umweltverschmutzung. So produziert eine einzige Spam-Mail 0,3 Gramm CO2. Unnötige Mails wie "Danke" verursachen allein in Großbritannien über 16.000 Tonnen CO2 im Jahr – so viel wie über 3.000 Dieselfahrzeuge auf der Straße. Allein, wie kann man dem Problem zu Leibe rücken?

Mails mit Briefmarke

Eine Idee, die unter Ökonomen immer wieder diskutiert wird, ist eine Bepreisung von Mails in Form einer "Aufmerksamkeitsanleihe": Der Sender müsste dem Empfänger für die Aufmerksamkeit bezahlen, indem er seine Mail mit einer Art Schuldschein verbrieft, zum Beispiel fünf Cent, die auf einem Bankkonto als Sicherheit hinterlegt und eingelöst werden, wenn der Empfänger die Mail liest (der Empfänger könnte die Zahlung auch verweigern und das Geld an den Sender rücküberweisen). Damit würde ein Anreiz geschaffen, E-Mails zielgerichtet zu versenden. Ein anderes Modell: ein digitales Porto nach dem Vorbild der Post.

2006 wollten die E-Mail-Provider Yahoo und AOL eine virtuelle Briefmarke im Wert von einem Vierteldollar einführen. Elektronische Post, die mit einer solchen Briefmarke "frankiert" würde, würde direkt in die Mailbox des Empfängers zugestellt. Gratismails wären weiter möglich gewesen, hätten jedoch die algorithmischen Schleusen der Spamfilter passieren müssen. Time Warner, das Mutterunternehmen von Yahoo, erhoffte sich davon Einnahmen zwischen 250 und 350 Millionen Dollar pro Jahr. Doch das Management änderte seine Strategie: Statt eines digitalen Portos führte es eine Reihe kostenloser werbefinanzierter Dienste ein.

Die toxische Gratismentalität, die daraus entstanden ist, hat letztlich auch zu einem verschwenderischen Konsum von Informationen geführt. Verhaltensökonomische Studien zeigen, dass schon minimale "Strafzahlungen" Konsumgewohnheiten verändern können. Wer ein paar Cent für ein Plastiksackerl bezahlen muss, überlegt sich zweimal, ob er eines braucht. Genauso ist es bei einem Brief. Wenn E-Mail-Provider oder Suchmaschinenanbieter eine Gebühr verlangen würden, wären uns Informationen vielleicht auch etwas wert. (Adrian Lobe 18.09.2023)