Gratzer Rabenhof
Er kann beruhigt in die Zukunft blicken: Thomas Gratzers Bilanz am Rabenhof ist exzellent.
Rabenhof/Pertramer

Wenn kommende Woche das 20-jährige Jubiläum von Thomas Gratzers Rabenhof gefeiert wird, werden sie alle da sein: Politiker, Künstler, Journalisten. Gratzer hat die Gemeindebaubühne in Wien Erdberg zu einem Magnet für Publikum und Society gemacht. Ein Garderobengespräch.

STANDARD: Wie spreche ich Sie an, als Herr Professor Gratzer?

Gratzer: Am besten als Fessa Direx.

STANDARD: Vor Jahren galten Sie noch als Revoluzzer, sind wegen Herabwürdigung religiöser Lehren vor Gericht gestanden. Und jetzt hat man Ihnen den Professorentitel verliehen. Ein Scherz?

Gratzer: Ich würde sagen, ich mache eine typisch österreichische Karriere. Natürlich gleicht der Professorentitel einem Faschingsorden, aber das passt doch gut zur Operettenrepublik Österreich.

STANDARD: Das Fest zu Ihrer 20-jährigen Intendanz im Rabenhof steht unter dem Motto "20 Jahre Rock ’n’ Roll". Die Rolling Stones haben mit gut 80 ein neues Album angekündigt. Ihre Vorbilder?

Gratzer: Selbstverständlich. Der Geist des Rock ’n’ Roll ist das Widerständige. Wir wissen zwar, dass Rock eine Schwerindustrie mit riesiger Vermarktungsmaschinerie ist, aber seine antibürgerliche Haltung hat er sich in einigen Elementen schon noch bewahrt. So wie auch der Rabenhof ein Dorn im klassisch bürgerlichen Kulturbetrieb ist.

STANDARD: Der es aber nicht so schlecht mit Ihnen meint.

Gratzer: Vor 20 Jahren wäre ein Professorentitel an jemanden wie mich undenkbar gewesen. Daran sieht man, wie sich das offizielle Kulturverständnis von Politik und Verwaltung geändert hat.

STANDARD: Wie schwierig ist es heute noch, politisch zu sein? Aktionismus findet bevorzugt im Internet statt.

Gratzer: Wir waren von Anfang an eine Heimstätte der Politsatire. Die Tagespresse-Show entstand hier am Rabenhof, die Staatskünstler gründen jetzt hier eine Partei. Also die einschlägigen Künstlerinnen treten alle noch bei uns auf und mischen kräftig mit. So viel hat sich nicht geändert.

STANDARD: Die Aufregung ist kleiner geworden. Man denke nur an Ihre Polit-Puppenshows, wo regelmäßig die Wogen hochgingen.

Gratzer: Ja, oder beim Protestsongcontest, da gab es am Anfang eine Nummer: Lisl Gehrer fick dich selbst. Da ging es rund! Heute entsteht in den sozialen Medien innerhalb kürzester Zeit eine riesige Aufregung, und nach 48 Stunden hat jeder schon alles wieder vergessen. Dennoch: Unsere Formate funktionieren immer noch sehr gut. Auch jetzt nach der Pandemie. Der konventionelle Theaterbetrieb hat Zuschauer verloren, wir am Rabenhof nicht.

STANDARD: Warum ist das so?

Gratzer: Wir sind ein bisschen ein Zirkus, selbst wenn wir die Rozznjagd von Turrini machen oder wie jetzt Handkes Publikumsbeschimpfung, unterscheidet sich das erheblich von anderen Theatern. Bei der Publikumsbeschimpfung ist die Band Kreisky drinnen, die bringt ihr eigenes Publikum mit, davon profitieren wir wieder. Es ist ein Klischee, aber: Man muss sich ständig neu erfinden.

STANDARD: Ihre Diagnose, warum andere Theater Probleme haben, Ihre Zuschauer zu erreichen?

Gratzer: Viele haben ihre Abos während der Pandemie gekündigt, sie gehen dann ins Theater, wenn sie Lust darauf haben oder wenn sie etwas interessiert. Karten sind eh verfügbar, früher war das anders. Ich glaube, die Zeit der großen Sprechbühnen ist ein bisserl vorbei. Das Burgtheater und die Josefstadt haben ihr Publikum, da werden wir uns keine Sorgen machen müssen. Aber wie will man all die vielen anderen riesigen Häuser und Säle füllen? Wir haben mit unseren 300 Plätzen natürlich eine ideale Größe.

STANDARD: Aber auch viele Theater in der Größe des Rabenhofs haben Probleme.

Gratzer: Es gibt wahrscheinlich zu viel "more of the same". Die immergleichen Künstler werden von Haus zu Haus, von Festival zu Festival weitergereicht. Warum positioniert man sich nicht schärfer? Jeder will international arbeiten und landet dabei immer in derselben Nische von den gleichen Namen.

STANDARD: Sie haben in Ihrer Aufzählung das Problemkind Volkstheater nicht genannt. Kay Voges verlässt in zwei Saisonen überraschend das Haus. Wie kann es weitergehen?

Gratzer: Ich möchte gerade nicht in der Haut der Kulturstadträtin stecken. Voges hat für das Volkstheater einen radikalen Weg beschritten. Er hat es zwar extrem schwer gehabt, aber nach so kurzer Zeit ein Haus wieder zu verlassen, das versteh ich nicht. Man hat auch eine Verantwortung als Intendant, muss einen gewissen Atem haben. Viel Publikum ist jetzt weg, die werden auch nicht wiederkommen. Aber ich denke, man wird dort weitermachen müssen, wo Voges aufhört, und nicht wieder bei zero anfangen. Man wird sich aber noch stärker auf die Stadt einlassen müssen.

STANDARD: So wie Sie im Rabenhof? Sie hatten sich bei der letzten Ausschreibung auch für das Volkstheater beworben. Werden Sie es wieder tun?

Gratzer: Nein. Ich fühle mich am Rabenhof pudelwohl, habe immer noch viel Spaß. Viele der Künstler, mit denen ich angefangen habe, sind noch da, viele andere kommen nach. Die Rapperin Yasmo wird Nestroy zeitgemäß interpretieren, das nenne ich ein Experiment.

STANDARD: Ihre Künstler würden Ihnen auch ans Volkstheater folgen. Würde Ihr Konzept bei 800 Sitzplätzen überhaupt funktionieren?

Gratzer: Aber natürlich. Aber was ist dann mit dem Rabenhof? Ich mache keine Kindesweglegung, ich habe den Rabenhof 20 Jahre lang aufgebaut, es ist mir nicht wurscht, was nachher ist. Abgesehen davon, dass ich glaube, kleine Bühnen sind zukunftsträchtiger als die großen.

STANDARD: Es könnte ja auch sein, dass man sie vonseiten der SPÖ gerne im Volkstheater sehen würde. Sie haben bekanntlich ein gutes Verhältnis zum Rathaus.

Gratzer: Ich liebe meinen Bürgermeister! Ich liebe meine Kulturstadträtin! Wie sie die Pandemie in der Kultur gemanagt haben, das war großartig. Was nur gerne vergessen wird, ist, wie extrem kritisch wir immer mit der SPÖ waren. Ich verstehe nicht, warum wir den Ruf haben, SPÖ-nahe zu sein.

STANDARD: Weil in den Premieren die halbe Wiener SPÖ sitzt?

Gratzer: Früher war das stärker. Das kam durch die Puppenshows, da wollten die Politiker über sich selbst und ihre politischen Gegner ablachen. Der ehemalige Raiffeisen-General Christian Konrad hat ganze Vorstellungen gekauft. Und die SPÖ-Politiker kommen natürlich, weil wir hier im Gemeindebau sind. Auch wenn manche sonst zu keinen Kulturveranstaltungen gehen – in das Gemeindebautheater gehen sie.

STANDARD: Nach 20 Jahren Rabenhof und im zarten Alter von 61 lässt sich sagen: Der Rabenhof war der Höhepunkt und Abschluss Ihrer Karriere?

Gratzer: Vorerst habe ich nichts anderes vor. (INTERVIEW: Stephan Hilpold, 16.9.2023)