Dieses Kopfballduell überstand Peter Haring (rechts) schadlos, bei zwei anderen erwischte es den Burgenländer gröber.
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Peter Haring lebt den Fußballertraum: Aus Österreichs zweiter Liga wechselte der Burgenländer 2018 zu Heart of Midlothian nach Edinburgh. Dort kickt er bei Heimspielen vor rund 18.000 Fans, in 125 Partien traf der defensive Mittelfeldspieler elfmal. Vergangene Saison setzte den 30-Jährigen eine langwierige Gehirnerschütterung fast ein halbes Jahr außer Gefecht.

STANDARD: Wie war es damals, von Ried nach Edinburgh zu wechseln?

Haring: Es war für mich das erste Mal im Ausland. Am Anfang geht alles viel zu schnell, man verarbeitet das gar nicht. Die erste Saison war für mich persönlich ein Wahnsinn: Ich bin als Innenverteidiger verpflichtet worden, habe dann im Mittelfeld gespielt und angefangen, Tore zu schießen. Der Verein war zwei Stufen über meinen vorherigen Stationen, es war super.

STANDARD: Passen Sie einfach zum schottischen Fußball? Man denkt da an Zweikämpfe und Flanken.

Haring: Das Klischee gibt es schon aus einem Grund. Grundsätzlich passt die Mentalität vielleicht mehr zu mir als der Fußball. Wir versuchen aber, anders als das schottische Klischee Fußball zu spielen.

STANDARD: Was macht die Mentalität aus?

Haring: Es ist ein sehr leidenschaftliches Publikum, eine sehr sportverrückte Gesellschaft. Es ist hart – gar nicht so im Körperlichen, sondern die Umgangsweisen untereinander und auf dem Platz. Wenn neue Spieler kommen, wird man ins kalte Wasser geworfen und muss sich einfach durchsetzen. Wenn es nicht hinhaut, ist man schnell wieder weg. Das ist extremer als bei uns.

STANDARD: Auch dass Sie sich in der vorigen Saison zwei Gehirnerschütterungen eingefangen haben, passt zum schottischen Fußballklischee.

Haring: Sie waren beide ähnlich – nichts, was nicht öfters passiert. Einen Ball mit dem Kopf weitergescherzelt, der andere hat meinen Kopf geköpfelt. Bei der ersten Gehirnerschütterung im vergangenen Oktober war ich schnell wieder bei Bewusstsein, am nächsten Tag hatte ich wenig Symptome. Ich war da sicher naiv und habe das nicht so ernst genommen. Ich bin von unseren Ärzten betreut worden, sie haben mir gesagt, was ich machen darf und was nicht. Aber wenn dir jemand sagt, du darfst nur locker laufen gehen, ist es schwer, nicht mehr zu machen. Ich habe mich sicher zu schnell gepusht. Wenn leichte Symptome gekommen sind, habe ich gesagt, es passt eh alles.

STANDARD: Hearts hat damals in der Conference League gespielt.

Haring: Es war eine intensive Phase, in der ich dabei sein wollte. Die Symptome sind dann immer mehr geworden, und bevor ich ins Mannschaftstraining einsteigen konnte, musste ich abbrechen. Die Symptome waren dann im wahrsten Sinne des Wortes ewig in meinem Kopf. Es war schrecklich vom mentalen Aspekt her. Man kann nichts machen, fühlt sich die ganze Zeit scheiße. Du gehst jeden Tag ins Bett und hoffst, dass es morgen besser ist – und es ist genau gar nichts besser. Wenn das ein paar Monate dauert, wird es zu einer mentalen Geschichte.

STANDARD: Welche Symptome waren das?

Haring: Es gibt das Return-to-play-Protokoll, bei dem man fünf Tage lang die Belastung steigert, und wenn alles gutgeht, darf man wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. Das erste Mal locker laufen war okay, am nächsten Tag hatte ich Kopfschmerzen. Dann muss man wieder zurück und von neuem anfangen. Jedes Mal, wenn ich etwas intensiver gemacht habe, habe ich Kopfschmerzen und Schwindel bekommen. In der Winterpause habe ich geglaubt, dass alles normal ist. Ich bin ins Mannschaftstraining eingestiegen, aber nach drei, vier Tagen ist es aus dem Nichts wiedergekommen und nicht mehr weggegangen. Der Zustand ist über Monate geblieben, egal, was ich gemacht habe. Es ist ein bisschen so, wie wenn man zu schnell aufsteht und einem schwindlig wird – nur dass dieser Zustand über Wochen bleibt.

STANDARD: Von Halbburgenländer zu Burgenländer: damisch.

Haring: Ja. Im Leistungssport kann man so nicht viel anfangen.

STANDARD: Macht man sich irgendwann Sorgen, dass die Ärzte etwas übersehen haben?

Haring: Nein. Ich war täglich in Rücksprache mit unserem Arzt, hatte diverse Untersuchungen. Mir ist erklärt worden, dass diese Sachen einfach passieren können. Beide Neurologen waren aus dem Rugby und haben sehr viel Erfahrung mit Gehirnerschütterungen. Wenn die erklären, dass das alles relativ normal ist, ist man beruhigt.

STANDARD: Wie lief der Weg zurück?

Haring: Nach Rücksprache mit dem Neurologen haben wir gesagt: Du musst wieder zum Training gehen, auch wenn du nicht viel machst. Einfach um einen Rhythmus in den Tag zu bekommen. Ich habe wochenlang individuell trainiert, auch als ich noch Symptome hatte. Die sind aber durch die Belastung nicht schlimmer geworden, der Körper hat sich dann an die Belastung gewöhnt. Die Symptome sind weggegangen, indem ich das Training leicht gesteigert habe. Es hat sich dann ausgeschlichen.

STANDARD: Bleibt in Zweikämpfen eine Handbremse?

Haring: In meinem Fall nicht. Es passiert schon im Training irgendwann, dass man eine auf den Schädel kriegt. Ich hatte dann keine Bedenken mehr.

STANDARD: Und dann holen Sie sich im letzten Saisonspiel, im Derby, wieder eine Gehirnerschütterung.

Haring: Nach der ersten habe ich mich noch am selben Tag quasi erinnern können. Bei der zweiten ist der ganze Tag weg. Das Match war zu Mittag, das Erste, woran ich mich erinnere, ist, wie wir um neun Uhr abends aus dem Krankenhaus heimfahren. Am nächsten Tag habe ich einem Freund dreimal dasselbe erzählt. Ein bisschen Sorgen macht man sich da schon, aber danach waren vier Wochen Urlaub. Ich glaube, dass das eine Rolle gespielt hat: Du erholst dich körperlich und kannst mental abschalten. Du weißt, dass du nichts verpasst. Als ich dann wieder mit Sport angefangen habe, hat es nie Probleme gegeben.

STANDARD: Denkt man an Spätfolgen, wenn wieder eine Gehirnerschütterung passiert?

Haring: Ich habe keinen Moment gehabt, wo das im Hinterkopf war oder es mich zurückgehalten hätte. Ich habe zwei gehabt, jetzt reicht’s. Im Match hat man sowieso keine Zeit, über so etwas nachzudenken. (Interview: Martin Schauhuber, 16.9.2023)