Die Musiktheatertage beginnen lau: Hier "Heiliger Zorn/detuned" in der Hofburgkapelle.
BARBARA PÁLFFY

Blitze zuckten, Donnersalven dröhnten und ein Wolkenbruch ergoss sich, dass Fische in der Luft hätten schwimmen können: Das Wetter hätte am Mittwochabend kaum passender sein können für eine Uraufführung mit dem Titel Heiliger Zorn / detuned. Die Musiktheatertage Wien, berüchtigt für ihr experimentierfreudiges Programm, eröffneten damit in der Wiener Hofburgkapelle den heurigen Festivaljahrgang.

So ganz erschließen wollte sich der Beginn dieser Novität aber nicht: Ein gekröntes Haupt, abgekämpft anzusehen, betritt die Kapelle und macht düsteren Gefühlen Luft. Was spricht, flüstert, zetert, deklamiert der Mann da auf Deutsch? Die Worte geistern bald aus diesem, bald aus jenem Lautsprecher, zerfließen in den halligen Saalweiten - und die Übertitelanlage schaltet sich erst später zu Übersetzungszwecken ein.

Naheliegend, dass dieser Griesgram den englischen König Henry II. (1133-1189) darstellen soll. Der Monarch mit dem angeblichen Hang zu Zornausbrüchen focht einen zähen Machtkampf mit Erzbischof Thomas Becket über die Rechte der Kirche aus. Die Kontroverse gipfelte in der Ermordung des Gottesmannes in der Kathedrale von Canterbury, der König war aber nicht Sieger: Becket stieg zum Heiligen auf, Henry musste an seinem Grab knien.

Sehr weihrauchlastig

Diesen Konflikt erzählt der Abend in weiterer Folge zwar deutlich konkreter, aber überraschend weihrauchlastig nach: Gehüllt in eine Nonnenhaube, rezitiert die Altistin Marie-Annick Béliveau von der Predigtkanzel aus Passagen aus der Hagiografie La vie de Saint Thomas le Martyr (1174); ein Schülerinnen- und Schülerchor des Akademischen Gymnasiums Wien skandiert dazu nicht nur schlichte Gesänge, sondern beteiligt sich gestisch: Gerüstet mit Kostüm-Kettenhemden, Kutten und Pappkarton-Pferden, illustrieren die Jugendlichen ausgewählte Handlungsstationen. Das ist rührend anzusehen für die anwesenden Eltern, erinnert aber an Schultheater - und schlägt sich mit dem Festivalanspruch, musiktheatrale Innovationskräfte freizusetzen.

Letztere teilen sich auch im Klangbild nicht mit: Thomas Cornelius Desi, auch heuer Festivalleiter und Komponist/Regisseur im eigenen Auftrag, hat abermals keine Partitur im eigentlichen Sinn verfasst, sondern reichert das Geschehen mit Klangspenden an: hier ein Brummelbass oder ein Toccata-Rhythmus der Orgel, dort ein Gitarrenakkord, immer wieder Glockengebimmel und ab und an psalmodierender Gesang (imposant: Alexander Kaimbacher). Kurz: ein Festivalstart, nicht ganz nach Maß.

Aber die Qualitätskurve kann in den Folgetagen noch steigen - etwa bei den Performances, die ab dem Wochenende in vier öffentlichen Wiener Passagen stattfinden, bei der samstägigen Uraufführung The End of The World im Kulturraum Spitzer des Odeon-Theaters oder bei Pandora, der Uraufführung eines Projekts von Komponist Matthias Kranebitter mit dem Black Page Orchestra am Mittwoch im Odeon. (Christoph Irrgeher, 15.9.2023)