
Nach einer Minute und 27 Sekunden in Runde zwei kann man für einen kurzen Moment in seine Seele blicken. Oluwaseun "Seun" Salami zündet eine explosive Kombination von Schlägen, die Linke landet in Marcelo Luiz do Nascimentos rechter Gesichtshälfte. Salamis Augen entspannen sich für einen Moment, die Konzentration weicht: "Arbeit erledigt, job done." Aber auch: "Dafür habe ich trainiert." Oder auch: "Schaut her, ich bin’s." Salami dreht ab, sein Gegner aus Brasilien taumelt zurück, wird nicht angezählt. Der Kampf sollte dennoch wenig später in der dritten Runde enden. Irgendwann sind die Schläge, der Druck des 27-jährigen Österreichers zu viel für den 42-jährigen Brasilianer. Es war Salamis sechster K.-o.-Sieg im siebenten Profikampf.
"Ich habe versucht, schön zu boxen, aber er war sehr unkonventionell", sagt Salami kurz nach dem Kampf dem STANDARD. Das Publikum liebt den Schwergewichtler: "Go, Salami, mach aus ihm Salami", schreit ein Kind mit hoher Stimme. "Schick eam ham nach Rio", ruft ein anderer. Immer wieder hallt es laut "Salami, Salami, Salami" durch den Saal im Intercontinental in Wien.

Salamis Kampf war bei der 12. Bounce Fight Night der fünfte. Die vier Kämpfe zuvor waren ein Querschnitt durch Geschlechter und Gewichtsklassen, eine Leistungsschau im olympischen Boxen und im Profibereich. Liveboxen ist ein Erlebnis für die Sinne. Vorspeisenhäppchen auf den Tellern, laute Musik aus den Boxen; Schläge, Schweiß und Zwischenrufe dröhnen durch den Saal. Und doch ist das Schwergewicht noch einmal eine andere Hausnummer: Beim ersten Schlagabtausch zwischen Salami und Nascimento fühlt es sich an, wie wenn man zwei Skisprungschanzen einander gegenüber aufstellte und zwei Linienbusse frontal hinunterjagte. Später holt sich Stefan Nikolic im Cruisergewicht gegen den Schweden Samo Jangirov den Intercontinental-Titel des WBF. Die Gesichter des Boxklubs Bounce, Marcos und Daniel Nader, strahlen zufrieden in die Kameras.
Charisma und Markantes
Aber wer ist dieser 27-jährige Schwergewichtler mit dem charismatischen Lächeln und der harten Linken, der die Herzen mancher Boxfans schneller schlagen lässt? Salami wurde in Ibadan in Nigeria geboren, kam 2004 nach Wien. Seine Mutter ist Kindergartenpädagogin, der Vater ist Lagerarbeiter. Seun ist das älteste von vier Kindern. Seit 2022 hat er die österreichische Staatsbürgerschaft. Salami ist ein Typ, der im Boxsport ankommt. Eine Mischung aus Selbstvertrauen und Bescheidenheit, Charisma und markanten Sprüchen, Respekt und "Egal wer kommt, ich hau ihn weg". Nur Talent reicht im Boxen nicht, um es ins Rampenlicht, an die Spitze und ans gute Geld zu schaffen. Der Sport sucht Geschichten von Helden und Antihelden, will Erzählungen, gerne mit einer Portion Pathos – Boxen ist eine Gratwanderung aus Spitzensport und Showbusiness. "Das Talent ist meine Lebensversicherung, der Rest ist Disziplin und ein ständiges Arbeit an sich selbst", sagte Salami Tage vor dem Kampf.
Zum Boxen fand er über RTL: "Ich habe die Klitschkos im TV gesehen und war begeistert", sagt Salami, der sich auch als "manchmal schwierigen Teenager" bezeichnet. Die Mutter war gegen das Boxen, der Vater teilte schon bald die Leidenschaft. Auch beim Boxklub Bounce erkannte man flott das Talent des 197 Zentimeter großen Kämpfers, 2021 wechselte er nach 23 Amateurkämpfen ins Profilager und nach Wien-Ottakring.
Im Camp des Weltmeisters
Das deutsche Magazin Boxsport nannte das Bounce die "Herzkammer des österreichischen Boxsports". Aushängeschild ist Mittelgewichtler Marcos Nader, sein Bruder Daniel ist sportlicher Leiter. Die Herzkammer wurde erst dieses Jahr von einem Schicksalsschlag erschüttert, als Daniel Nader die Diagnose Parkinson erhielt. Von Salami ist er überzeugt: "Er ist sehr talentiert", sagt der 41-Jährige dem STANDARD. Und: "Sein Manko ist vielleicht die geringe Erfahrung im Amateurbereich. Aber das kann man aufholen. Wir wollen ihn weiter behutsam aufbauen." Ist es mit 27 Jahren dafür nicht ein bisschen spät? "Nein, als Schwergewichtler hat man mehr Zeit. Klitschko hat mit 40 noch geboxt. Aber irgendwann muss man Farbe bekennen."

Neben dem Trainingsalltag gibt Salami Privatstunden und arbeitet als Museumsaufsicht. Zuvor hat er eine Lehre als Multimediakaufmann absolviert, und er war drei Jahre bei der Post. In Zukunft soll sich alles nur mehr ums Boxen drehen. "Ich bin auf einem guten Karriereweg, das Boxen macht mir Spaß. Ich würde gerne um einen Weltmeistertitel kämpfen", sagt er. Im Sommer konnte er zumindest einmal an diesem Niveau schnuppern, Salami wurde ins Trainingscamp des ukrainischen Weltmeisters Oleksandr Usyk als Sparringspartner eingeladen. "Er hat eine unfassbare Disziplin, ist Profi durch und durch", erinnert sich Salami.
Wenn der Wiener vom harten Training in Polen, von einer bitteren Niederlage als Amateur oder von seinen Zielen im Sport spricht, ist eine echte Hingabe zu spüren. Eine Hingabe, die sich nicht in Abgehobenheit verliert. Gibt es etwas, was er in seinem Leben bereut? "Ich würde im Nachhinein die Matura machen, um neben dem Sport ein zweites Standbein zu haben", sagt er. Aber auch dafür ist es wohl noch nicht zu spät. (Andreas Hagenauer, 18.9.2023)