Zwei Pedale, zwei Reifen, ein Sattel, eine Lenkstange, mehrere Striche: So sieht jenes Piktogramm aus, das in Österreich, weiß auf blauem Grund, Radwege kennzeichnet. Allerdings: Was auf diesen, vor allen in Ballungsräumen wie Wien, mittlerweile unterwegs ist, hat optisch wenig mit dem Piktogramm zu tun.

Essenslieferanten auf mopedähnlichen E-Scootern flitzen zwischen Lastenrädern von Paketdiensten oder Kinderkutschen durch. Zu Hollandrädern, E-Bikes und City-Fahrrädern gesellen sich E-Roller und Gespanne mit Anhänger – für Hund oder Einkauf. Und sogar Rikschas, Inlineskater und Segwayfahrerinnen mischen sich dazu. Kurzum: Die Diversität und das Aufkommen auf Radwegen sind deutlich gestiegen. Das bringt – wie das Vielfalt so an sich hat – Herausforderungen für das Miteinander. Herausforderungen, denen die Radinfrastruktur erst nach und nach hinterherkommt.

Zum einen hat der Boom von elektrischer Unterstützung beim Treten oder Rollen dazu geführt, dass die Tempounterschiede zwischen den Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern auf dem Radweg größer geworden sind. Zum anderen wird aber das Überholen schwieriger, weil Gefährte unterwegs sind, die breiter als gewöhnliche Räder sind: etwa Dreiräder mit Transportbox, Räder mit Anhänger oder Rikschas.

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Sofern sie eine Breite von einem Meter unterschreiten, dürfen mit ihnen laut Gesetz baulich von der Fahrbahn getrennte Radwege (und andere Radfahranlagen) genutzt werden. Ein Muss ist das aber nicht: Alternativ darf die Fahrbahn gewählt werden.

Lastenradbezirk Leopoldstadt

Zahlen, wie viele breite Räder die Wienerinnen und Wiener besitzen, gibt es nicht. Ein wenig Aufschluss über das Rikscha-Aufkommen kann die Wiener Wirtschaftskammer geben: 29 Gewerbe für Personenbeförderung mit Rädern seien gemeldet, heißt es von dort.

Was Lastenräder betrifft, berichtete der Verband der Sportartikelerzeuger Österreichs im Frühling von einem großen Boom bei Modellen mit E-Motor: 4.200 Exemplare seien hierzulande im Vorjahr verkauft worden – fast eine Verdopplung im Vergleich zu 2021.

4.200 E-Lastenräder wurden 2022 verkauft - fast doppelt so viele wie im Jahr davor.
IMAGO/Michael Gstettenbauer

Lokalere Daten liegen zu den ausbezahlten Förderungen für den Kauf von Lastenrädern vor. Die Stadt Wien hat von vergangenem Herbst bis heurigen September 305-mal einen Zuschuss zugesagt. Unter den Bezirken ist die Leopoldstadt klarer Spitzenreiter: Von dort kamen 17 Prozent der Förderanträge – gefolgt von Ottakring mit acht Prozent. Pro Lastenrad werden bis zu 1000 Euro rückerstattet, das Programm läuft bis 2026. Zwei Drittel der Förderbeträge wurden laut der städtischen Mobilitätsagentur für "klassische Transporträder mit einer Box" ausgeschüttet.

Das Klimaschutzministerium unterstützt den Kauf von Lastenrädern ebenfalls: In ganz Österreich wurden heuer bis August 2464 Förderanträge gestellt, 483 kamen aus Wien.

Das heißt: Allein auf Radfahranlagen der Hauptstadt sind dieses Jahr potenziell hunderte zusätzliche Lastenräder anzutreffen.

Neue Breitenvorgaben

Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, wurden vor eineinhalb Jahren die österreichischen Planungsgrundsätze für Radwege angepasst. Festgeschrieben sind diese in der technischen Richtlinie Radverkehr, einer Handlungsanleitung für Planerinnen und Planer. Darin war über Jahrzehnte für Radwege, die nur in eine Richtung befahren werden, eine Mindestbreite von lediglich einem Meter vorgeschrieben. Für Zweirichtungsradwege galten zwei Meter als Untergrenze. Ein Rad mit Anhänger überholen? Bei diesen Maßen schwierig bis unmöglich.

Diese Mindestbreiten wurden im April 2022 durch ein komplexeres System ersetzt. Je nach zu erwartendem Radaufkommen werden unterschiedliche und großzügigere Breiten empfohlen: von 1,3 Metern für Einrichtungs- und 2,6 Metern für Zweirichtungsradwege auf nicht so stark genutzten Verbindungs- und Sammelrouten bis zu 2,6 Metern für Einrichtungs- und vier Metern für Zweirichtungsradwege auf intensiv befahrenen Radschnellverbindungen. Dazu kommen Pufferbereiche zu Park- oder Fahrstreifen.

Der Grund für dieses neue System seien neben der gestiegenen Vielfalt eine Veränderung im Zugang zu Radwegen gewesen, sagt Klaus Robatsch dem STANDARD. Er leitet die Sicherheitsforschung im Kuratorium für Verkehrssicherheit und hat an der Richtlinie mitgearbeitet: "Früher war der Zugang: besser ein schmaler Radweg als keiner." Heute habe sich die Einsicht durchgesetzt, dass nur breite Infrastruktur Komfort und Sicherheit bringe.

Schrittweise Anpassung

Die Sache hat aber zwei Haken: Die Richtlinie hat zwar "bindenden Charakter". Abweichungen seien aber möglich, zudem werde nicht überprüft, ob die Vorgaben eingehalten werden. "Wir fordern daher eine Verpflichtung", sagt Robatsch. "Dafür fehlt aber der politische Wille." Dazu kommt: Die neuen Maße gelten nur für Radwege, die ab Frühling 2022 errichtet oder umgebaut wurden bzw. werden. Wie viel es in Wien aufzuholen gibt, ist unklar: Die Stadt kommuniziert keine Zahlen zur Breite der Infrastruktur.

Bis die geänderten Richtlinien im Radalltag spürbar werden, wird es also dauern. "Wir gestalten die Infrastruktur schrittweise so, dass sie den Anforderungen entspricht", sagt Martin Blum, Radbeauftragter der Stadt Wien. Ein Beispiel dafür sei der gerade entstehende, vier Meter breite Zweirichtungsradweg in der Praterstraße, der ab November den alten, schmalen Einrichtungsradweg ersetzen wird. (Stefanie Rachbauer, 20.9.2023)