Noch vor einem Jahr hat ihn kaum einer gekannt. Derzeit zählt Shawn Fain wohl zu den wichtigsten Personen in der amerikanischen Wirtschaft. Der Präsident der United Auto Workers (UAW) hält die Fahnen der Blaumänner beim Streik von fast 150.000 Mitgliedern seiner Gewerkschaft hoch – es ist einer der größten Arbeitskämpfe seit Jahrzehnten.

Shawn Fain in rotem T-Shirt steht auf einer Bühne und spricht ins Mikrofon.
Shawn Fain fordert nicht nur mehr Geld für die Beschäftigten.
REUTERS/REBECCA COOK

Die United Auto Workers vertritt rund 40 Prozent aller Industriearbeiter in den USA. Legt sie sich mit den "großen drei" der Autoindustrie GM, Ford und Stellantis (Chrysler, Fiat, Opel, Peugeot) an, strahlt das weit über Detroit hinaus. Der Streik könnte sogar die US-Wirtschaft ausbremsen. Die Gewerkschaften kämpfen nicht nur für ein paar Dollar mehr. Das auch – sie forderten zuletzt Lohnzuwächse von 40 Prozent über vier Jahre verteilt. Sie haben während der Finanzkrise 2008 und danach viele Zugeständnisse gemacht. Nun wollen sie einen größeren Anteil an den Milliardengewinnen der Industrie. Aber es geht darüber hinaus um nichts weniger als die Zukunft der US-Autoindustrie und ihrer Beschäftigten.

Gewerkschaftsboss Fain fordert Arbeitszeitverkürzung, bessere Altersversorgung und mehr Jobsicherheit im Zuge der Umstellung von Verbrenner- auf E-Autos. Und das in ziemlich aggressivem Ton. Der 54-Jährige, der bei Chrysler als Elektriker begann, stammt aus Kokomo, einer Arbeiterstadt in Indiana. Markige Sprüche sind sein Markenzeichen. In seinen Videos für Mitglieder schleudert er Vertragsangebote der Autohersteller in die Tonne, nennt sie "Mist" und "beleidigend". Er wettert gegen die "Milliardärsklasse" und die "Gier der Unternehmen", selbst für gestandene Gewerkschafter, erst recht für die Autobosse harter Tobak.

Der unscheinbar wirkende Mann mit Brille und schütterem Haaransatz zieht für seine Botschaften alle Register. Er macht sich die sozialen Medien zunutze, lässt keine Gelegenheit aus, um im Fernsehen aufzutreten, und schmiedet öffentlichkeitswirksame Bündnisse mit Prominenten wie US-Senator Bernie Sanders. Da mag wohl mitspielen, dass ihm das Handwerk quasi in die Wiege gelegt wurde – schon sein Großvater war Mitglied der UAW. Er zitiert wahlweise die Bibel und den Bürgerrechtler Malcolm X, die Lohnabrechnungen seines Opas hat er in der Brieftasche dabei. Fain war bereits Mitglied von Verhandlungsausschüssen. Aber es ist das erste Mal, dass er die Gewerkschaft anführt. Ob der frische Wind zum Erfolg führt, wird sich weisen. (Regina Bruckner, 18.9.2023)