"Mondo" Duplantis überquert die 6,23 Meter hoch liegende Latte. Es war wohl nicht sein letzter Weltrekord.
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Armand Duplantis war nach seinem 6,23 Meter hohen Flug kaum gelandet, da sprintete er schon jubelnd davon. Schon wieder ein Weltrekord, etwas mehr als ein halbes Jahr, nachdem der Wahlschwede die 6,22 Meter gepackt hatte. "Ich bin meistens recht begeistert von Weltrekordsprüngen. Sie fühlen sich gut an", sagte "Mondo" nach dem Finale der Diamond League in Eugene, Oregon.

Es gibt nicht viele Menschen auf diesem Planeten, die solche Sätze so nonchalant sagen können. Duplantis zählt erst 23 Jahre, doch es war bereits sein siebenter Weltrekord. 1993 hatte Sergej Bubka mit 6,15 Metern seine letzte Bestmarke gesetzt, gut zwei Jahrzehnte war sie unantastbar. 2014 gelangen Renaud Lavillenie 6,16, ehe 2020 eine neue Zeitrechnung begann.

6,17, 6,18, 6,19, 6,20, 6,21, 6,22 und nun 6,23. Duplantis lieferte wieder und wieder, zweimal 2020, dreimal 2022 und nun zum zweiten Mal im heurigen Jahr. Den Weltrekord scheibchenweise zu steigern ist bei Sportarten, in denen man die Leistung derart präzise steuern kann, nicht unüblich. Für neue Bestleistungen gibt es Aufmerksamkeit und Bonuszahlungen von Eventveranstaltern und Sponsoren; fünf Ein-Zentimeter-Steigerungen sind wesentlich lukrativer als ein Fünf-Zentimeter-Sprung.

Stille Intensität

Riccardo Klotz kennt Duplantis schon lange. Österreichs bester Stabhochspringer studierte wie der Weltrekordler in Louisiana, man traf sich regelmäßig bei Bewerben. "Persönlich ist er richtig locker drauf, ein sehr angenehmer Mensch", sagt Klotz. Mit Wettbewerbsbeginn mache Duplantis dann zu. "Er war schon immer sehr fokussiert. Er wirkt im Wettkampf vergleichsweise ruhig, aber mit sehr viel Intensität. Einer, der in der Ecke hockt, bös schaut und dann rausgeht und zerstört."

Aber was macht den Weltbesten so stark? Rein biomechanisch sei der große Unterschied die Anlaufgeschwindigkeit, erklärt Klotz. Stabhochsprung ist im Kern eine mathematische Formel, vereinfacht gesagt: Energie rein, Höhe raus, idealerweise mit einer möglichst effizienten Umwandlung. Wer schneller anläuft, bringt mehr Energie in den Sprung. Aber, sagt Klotz: "Oft funktioniert die Theorie in der Praxis nicht. Was ihn so stark macht, ist sein Gefühl." Duplantis begann schon als Kleinkind zu springen, davon profitiert er nun. "Die Konstanz, die er an den Tag legt, ist etwas ganz Neues. Es ist etwas anderes, ob ich einmal Weltrekord springe, oder ob ich mit 23 Doppel-Welt- und Doppel-Europameister bin", sagt Klotz.

Riccardo Klotz während der Int. Golden Roof Challenge in Innsbruck.
Riccardo Klotz ist Österreichs bester Stabhochspringer.
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Duplantis selbst sagt, dass er die 100 Meter unter 10,4 Sekunden laufen würde. Sein rasanter Anlauf macht konstant gelungene Sprünge besonders schwierig. "Es ist immer leichter, ein langsames Stück auf dem Klavier zu spielen als ein schnelles", sagt Klotz. Doch schaut man diesem Modellathleten zu, sieht man eine Selbstverständlichkeit, die der Konkurrenz die Hoffnung raubt.

Mondo Duplantis ist kein Zufall. Sein Vater Greg war Stabhochspringer, Mutter Helena Siebenkämpferin und Volleyballspielerin. Der Stabhochsprung ist eine der Disziplinen, zu denen Kinder gewöhnlich erst sehr spät finden. Sperrig, einschüchternd, materialtechnisch kompliziert. Eine Stabhochsprung-Anlage hat man nicht einfach so im Garten herumstehen – es sei denn, man heißt Duplantis. Andere blasen auf ihren putzigen Kindheitsvideos Kerzen auf einer Geburtstagstorte aus, Klein-Mondo hirscht samt Stab auf den Einstichkasten zu.

MONDO DUPLANTIS - from CHILD PRODIGY to WORLD RECORD HOLDER (in 1 minute)
Brennan Robideaux

Duplantis wuchs mit zwei älteren Brüdern und einer jüngeren Schwester in Lafayette in Louisiana auf, schon der Älteste sprang in Vaters Fußstapfen. "Mein großer Bruder war meine größte Inspiration. Als ich zwei Meter sprang, sprang er vier – ich konnte nicht verstehen, wie das möglich war", sagt Mondo. Mit sieben Jahren stellte er den ersten Nachwuchsweltrekord auf, die folgenden fünf Jahre ging es im selben Takt weiter. Auf Youtube schaute sich der Jugendliche Sprungtechniken der Weltbesten an und baute daraus seinen eigenen Stil.

Motivation

Es gibt wohl nur eine Sache, die dieser Bursche wirklich nicht konnte: verlieren. Nach gescheiterten Sprüngen ist er in der mit viel altem Videomaterial unterfütterten Dokumentation Born to Fly fuchsteufelswild zu sehen, auch seinen Erfolg als Erwachsener führt Duplantis auf eine Niederlage zurück: "Hätte ich bei der WM 2019 nicht verloren, hätte ich den Weltrekord in der nächsten Saison wohl nicht geschafft." Dieses "verloren" war wohlgemerkt ein Vizemeistertitel, Sam Kendricks hatte für 5,97 Meter weniger Versuche gebraucht.

Für Duplantis folgten seither Olympia-Gold, zweimal WM-Gold, noch ein EM-Gold plus je ein Sieg bei Hallen-WM und -EM. Und eben diese sieben Weltrekorde, der letzte am Sonntag als Schlusspunkt einer Saison, die er im Anschluss selbst als "nicht so gut wie die vorige" bezeichnete.

Wo führt das noch hin?

"Die meisten Leute sind überzeugt, dass im Laufe der Jahre 6,30 möglich sind", sagt Klotz. "Man hat bei vielen Sprüngen gesehen, dass noch Luft nach oben ist. " Duplantis dürfte in den nächsten Jahren noch etwas Muskelmasse aufbauen, das Material setzt ihm ohnehin keine Limits – noch längere oder härtere Stäbe sind regeltechnisch erlaubt. "Ich glaube, dass nur wenige 6,40 sagen würden", sagt Klotz. "Aber wir werden es rausfinden." (Martin Schauhuber, 18.9.2023)