Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (hinten) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (hinten) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versuchen, die Zahl der Ankünfte in Italien zu reduzieren. Ob die von ihnen verkündeten Maßnahmen wirken, ist fraglich.
REUTERS/YARA NARDI

Ein großes Déjà-vu: Das war am Sonntagnachmittag die verbreitete Stimmung bei den Bewohnern Lampedusas, nachdem der Regierungsflieger von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wieder im blauen Himmel über dem Mittelmeer entschwunden war. Alles, was der hohe Besuch an Vorschlägen und Versprechungen im Gepäck hatte, haben die Insulaner in ähnlicher oder identischer Form schon einmal gehört.

Video: Bei einem gemeinsamen Besuch auf Lampedusa haben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni die EU-Länder dazu aufgerufen, mehr ankommende Flüchtlinge aufzunehmen. Die Migration sei eine "gesamteuropäische Herausforderung", sagte von der Leyen
AFP

Im Verlauf der stetig wiederkehrenden Notlagen auf der Insel haben in den letzten Jahren schon zwei EU-Kommissionspräsidenten, fünf italienische Regierungschefs, vier europäische Ratspräsidenten und sogar Papst Franziskus in Lampedusa ihre Aufwartung gemacht. Es sollte nach diesen Besuchen immer alles anders und besser werden. "Geändert hat sich hier aber trotz aller schönen Worten nie etwas", sagt der Fischer Vito Fiorino, der bei der Tragödie von 2013 43 Flüchtlinge gerettet hatte.

Neue Abschiebelager

Jetzt will die italienische Regierung zusammen mit der EU einen neuen Anlauf nehmen. Das Kabinett in Rom hat am Montag ein neues Dekret vorgelegt, dessen Inhalt Meloni schon am Freitag angekündigt hatte: Die Regierung will "in abgelegenen und bevölkerungsarmen Gegenden" neue Abschiebelager bauen und die maximale Aufenthaltsdauer in diesen Zentren von bisher 12 auf 18 Monate erhöhen. Das Ziel der Maßnahmen ist klar: Italien will Migranten, deren Asylgesuch abgelehnt wird, schneller und in höherer Zahl abschieben können.

Meloni, die im Wahlkampf eine drastische Reduktion der irregulären Immigration versprochen hatte, steht angesichts der Verdoppelung der Zahlen in diesem Jahr und der Ankunft von rund 10.000 Migranten auf Lampedusa allein in der vergangenen Woche unter enormem Druck.

Sie musste einsehen (falls sie es nicht schon vorher wusste), dass die von ihr im Wahlkampf geforderte Seeblockade gegen Flüchtlingsboote völlig unrealistisch ist. Die Maßnahme würde gegen internationales Recht verstoßen, sie wäre unmenschlich, sie hätte unzählige Tote zur Folge, und sie müsste von den Regierungen der Herkunftsstaaten, insbesondere von Tunesien, mitgetragen werden.

Melonis Problem besteht nun darin, dass sich auch der größte Teil der angekündigten Maßnahmen als stumpfe Waffe erweisen könnte: Italien kann noch so viele Abschiebelager bauen und die Verweildauer darin noch so erhöhen – in welcher Zahl und wie schnell die abgelehnten Asylwerber abgeschoben werden können, werden auch in Zukunft nicht die drei regierenden Rechtsparteien in Rom, sondern die Herkunftsländer entscheiden. Italien, das nur mit vier Herkunftsstaaten Rücknahmeabkommen hat (darunter Tunesien), schafft es im Jahr gerade einmal, 5000 bis 6000 Personen zu repatriieren – bei knapp 130.000 Menschen, die in diesem Jahr bereits angekommen sind.

Außenminister warnt

Außenminister Antonio Tajani warnte ausdrücklich vor Illusionen. "Angesichts von Krieg, Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Hunger und Terrorismus in den Herkunftsländern nützen uns Notmaßnahmen wenig: Die Menschen dort flüchten, um nicht zu sterben." Allein in Afrika würden im Jahr 2050 2,5 Milliarden Menschen leben – "das ist die Dimension, von der wir reden, nicht die 10.000 Migranten auf Lampedusa", betonte Tajani im Corriere della Sera. Man müsse das Problem in seiner ganzen Komplexität angehen: "Selbst wenn es uns gelingen würde, Tunesien und Libyen 'dicht' zu machen – dann würden die Migranten am Tag darauf von Marokko und Algerien kommen."

Es gibt laut Tajani nur eine Möglichkeit, die Situation in den Griff zu bekommen: die Diplomatie, unter Einbezug der Uno, sowie die wirtschaftliche Kooperation mit den Herkunftsstaaten. Neben den nun beschlossenen Maßnahmen verfolgt auch Meloni diesen Ansatz: Italien will die Maghreb-Staaten und andere afrikanische Länder dabei unterstützen, mit Solar- und Windkraftwerken in der Sahara zu Großproduzenten grüner Energie zu werden, die Europa helfen werde, das russische Gas zu ersetzen. Den hehren Absichtserklärungen müssten nun aber Taten folgen. Sonst steht in Lampedusa bald der nächste hohe Besuch an. (Dominik Straub aus Rom, 18.9.2023)