
Peter Kaiser eilt der Ruf des Intellektuellen voraus. Insofern war es stimmig, dass der Kärntner Landeshauptmann auf ein (angebliches) historisches Zitat zurückgriff. "Und sie bewegt sich doch", hob Kaiser an, meinte im Gegensatz zu Galileo Galilei aber nicht gleich die ganze Erde. Um ein zentrales Gestirn im politischen Universum ging es jedoch allemal: Die Bundesregierung war es, die den Sozialdemokraten zu der freudigen Feststellung verleitete.
Gefallen ist der Satz nach der jüngsten Verhandlungsrunde zum neuen, bis November abzuschließenden Finanzausgleich. Seit vielen Monaten feilschen Vertreter von Bund, Länder und Gemeinden darum, wie das Gros der staatlichen Steuereinnahmen für die nächsten fünf Jahre aufzuteilen ist – bislang in nicht gerade gutem Einvernehmen. Unter dem turnusmäßigen Vorsitz Kaisers haben die Landeshauptleute am Montag deshalb zu einer außerordentlichen Konferenz nach Wien gerufen. Geladen war – mehr Angeklagter als Stargast – auch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP).
Die Schlüsselfrage
Dass Länder und Gemeinden mehr Geld fordern, wird bei Verhandlungen wie diesen niemanden überraschen. Doch diesmal geht es um besonders hohe Summen – wobei die Argumente nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen sind. Die Kosten für Spitäler, Pflege und Kinderbetreuung sind tatsächlich gestiegen und werden in den nächsten Jahren weiter steigen. Gleichzeitig spüren die für diese Aufgaben zuständigen Länder und Gemeinden den Einnahmeausfall aus den vom Bund verfügten Steuersenkungen. Besonders stark schlägt sich die Abschaffung der sogenannten kalten Progression nieder.
Konkretes Ziel ist die Änderung des sogenannten vertikalen Verteilungsschlüssels zu eigenen Gunsten: Die Länder sollen künftig 25 statt 20 Prozent der gemeinschaftlichen Bundesabgaben (2022: 104,6 Milliarden Euro) erhalten, die Gemeinden 15 statt zwölf Prozent. Der Bund müsste sich mit 60 statt 68 Prozent begnügen – und gemessen am aktuellen Volumen eine Einbuße von etwa sieben bis acht Milliarden Euro pro Jahr hinnehmen.
Doch die aus der ÖVP und den Grünen bestehende Bundesregierung will darauf nicht einsteigen: Der Verteilungsschlüssel soll unangetastet bleiben. Stattdessen bietet Brunner an, Geld extra für bestimmte Zwecke draufzulegen. Sein erstes Angebot kam bei der Gegenseite allerdings als Provokation an, laut Länderrechnung seien nur 473 Millionen Euro an "frischem Geld" dabei gewesen. Selbst bei Brunners Parteifreunden in den Ländern war der Ärger groß. Der Finanzminister besserte in der Folge auf 1,3 Milliarden Euro nach, doch erst das neuerliche Offert vom Montag löste einen Anflug von Wohlwollen aus. 2,3 Milliarden Euro stehen nun zur Disposition, zwei Milliarden davon sind laut der Kalkulation der Landeshauptleute frisch.
Der Zukunftsfonds
Während 1,3 Milliarden überwiegend in die Finanzierung der Spitalsleistungen und der Pflegeversorgung fließen sollen, ist eine Milliarde für einen sogenannten Zukunftsfonds veranschlagt. Dieses Konstrukt soll offenbar Brunners Maxime in die Realität umsetzen, kein Geld "ohne Mascherl" verteilen zu wollen. Nach Darstellung der Ländervertreter nach dem montäglichen Treffen soll das dort deponierte Geld vor allem für projektbezogene Investitionen in die Kinderbetreuung und den Klimaschutz bereitstehen. Unter welchen Bedingungen und mit welchen Zielen sich das Brunner vorstellt, habe dieser aber noch zu erklären. Letztlich dürften die Kriterien nur im Einvernehmen und keinesfalls von der Bundesseite im Alleingang festgelegt werden, so das Diktum.
Ob ein einmalig dotierter Fonds überhaupt für derartige Zwecke geeignet ist? "Sie haben die Schwachstelle sofort erkannt", quittiert Kaiser eine entsprechende Journalistenfrage. Eine "Anschubfinanzierung" reiche nicht aus: Gerade bei der Kinderbetreuung gehe es darum, laufende Personalkosten auf Dauer stemmen zu können, und natürlich müssten die Mittel ebenso wie die Löhne gemäß der Inflation jährlich valorisiert werden. Die Landeshauptleute pochen deshalb darauf, dass die Einrichtung des Extratopfes letztlich in einer Verbesserung des Verteilungsschlüssels zu ihren Gunsten mündet. Vorarlbergs Landeschef Markus Wallner (ÖVP) beschreibt die Gemütslage auf der eigenen Seite wie folgt: "Wir sind dem Zukunftsfonds nicht abgeneigt. Weißer Rauch ist aber noch nicht aufgestiegen."
Die Reformen
Groß waren die Hoffnungen, die manche Protagonisten in den diesjährigen Finanzausgleich setzten. Vor allem Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) proklamierte, wenn auch unter dem Vorbehalt des möglichen Scheiterns, das Ziel einer großen Reform. Dass dafür Bedarf herrscht, bestreitet niemand, der sich im Gesundheitssystem ein bisschen auskennt.
Das ausgegebene Generalziel lautet, mehr Patienten von den teuren Spitalsambulanzen zu den Angeboten niedergelassener Ärzte umzuleiten. Diese Steuerung scheiterte bisher im Wesentlichen daran, dass im System zu viele Akteure mitspielen: Die Sozialversicherung ist für den niedergelassenen Bereich zuständig, die Länder haben in den Spitälern das Sagen, die Ärztekammer genießt Einspruchsrechte. Was ein Finanzausgleich daran ändern kann? Rufen alle Seiten nach mehr Geld, lassen sich gut Bedingungen stellen. Wie Brunner kann deshalb auch der als Minister auf dem Papier weitgehend machtlose Rauch versuchen, Reformvereinbarungen als Gegenleistung durchzudrücken.
Dieses Prinzip lässt sich theoretisch auf viele Bereiche umlegen – etwa auch auf den Klimaschutzbereich, wo die Gemeinden verpflichtet werden könnten, der fortschreitenden Bodenversiegelung Schranken zu setzen.
Die Achsen
Die ÖVP sitzt in der Bundesregierung, die SPÖ darbt in der Opposition: An sich sind die Vorzeichen für eine gemeinsame Front der Landeshauptleute nicht ideal. Doch der Schulterschluss zwischen den drei roten und sechs schwarz-türkisen Vertretern hat bisher gehalten. Dass sich die SPÖ-Vertreter bei ihrer Kritik an der Regierung mehr Schärfe erlauben können, kommt taktisch durchaus auch den ÖVP-regierten Ländern zupass.
Sollte es keine Einigung geben, würde der geltende Finanzausgleich fortgeschrieben werden. Länder und Gemeinden kämen wohl in finanzielle Nöte, und auch die Bundesregierung könnte sich nicht wirklich freuen: Der Eindruck des Politikversagens bliebe picken.
Doch dieses Szenario scheint seit Montag abgewendet. Man sehe zwar noch keine Ziellinie, betonen die Landeshauptleute. Ein Crash zeichnet sich aber nicht ab. (Gerald John, 18.9.2023)