Im Gastblog erklärt der Archäologie James Lloyd, welchen Wert Musikinstrumente für seinen Forschungsbereich haben.

Wien ist von Strauß bis Falco und vom Neujahrskonzert im Musikverein bis zum Donauinselfest eine Musikstadt. Apollo sitzt mit seiner Leier auf dem Burgtheater. Mozart steht im Burggarten. Vivaldi liegt gegenüber der Karlskirche. Tourist:innen sind jeden Tag am Michaelerplatz zu einem Spießrutenlauf zwischen Konzertkartenverkäufer:innen gezwungen. Was davon würde in zweitausend Jahren überleben? Würden die Archäolog:innen der Zukunft erkennen können, dass Wien eine Musikstadt war? Ohne Zweifel würden sie das.

In den letzten Jahren hat sich die Musikarchäologie als interdisziplinäres Fachgebiet der Archäologie, Musikwissenschaft und Altertumswissenschaften entwickelt. Die Musikarchäologie lässt uns verstehen, wie das Musikleben der Antike aussah. Die Städte des antiken Griechenlands standen Wien als Musikstädte in nichts nach. Jedes Jahr nahmen etwa über 1.000 Athener Bürger an Chorwettbewerben teil: Während sie tanzten, sangen sie neue Lieder über alte Mythen und Legenden zu Ehren von Dionysos und der Stadt.

Rekonstruktion des Klangs

Es fasziniert mich, diese "antike Musikkultur" besser verstehen zu lernen und zu versuchen, regionale Unterschiede und lokale Vorstellungen auszumachen. Meine Forschung konzentriert sich auf den Zeitraum von etwa 700 bis 480 vor Christus, also das "archaische Griechenland" – eine Epoche, in der sich einerseits regionale Identitäten deutlicher herausbildeten, während Griechenland aber auch stärker mit den zahlreichen anderen Kulturen, die es umgaben, in Austausch trat.

Am spannendsten sind dabei vielleicht die erhaltenen Musikinstrumente selbst, weil sie am ehesten die Möglichkeit bieten, den Klang der antiken griechischen Musik zu rekonstruieren. Neben der Lyra und der Kithara, zwei Saiteninstrumenten, die man angeschlagen oder gezupft hatte, war der Aulos am wichtigsten: ein Blasinstrument, das aus zwei separaten Pfeifen mit je eigenem Doppelrohrblatt bestand, so als würde man zwei zylindrische Oboen gleichzeitig spielen. Hier können Sie eine Improvisation einer antiken griechischen Melodie hören, gespielt von Callum Armstrong auf einem nachgebildeten Aulos.

Callum Armstrong - Aulos Improvisation on Bellermann Exercise No. 35

Forschung abseits der Schrift

Da die Musikarchäologie ein breites Spektrum an Quellen untersucht, können wir auch Musikkulturen besser verstehen, die auf mündlicher Tradition beruhten und nicht niedergeschrieben wurden. Beispielsweise ist kein archaischer griechischer Lyriker aus Zypern bekannt. Bedeutet das, dass Musik auf Zypern weniger wichtig war als in Kleinasien, auf der Peloponnes oder in Attika – Regionen, für die uns Texte eine breite Palette von Musikern und Dichtern bezeugen?

Keineswegs! Zypern ist einer der wenigen Orte, an denen Musiker in freistehenden Kalksteinstatuen und Statuetten dargestellt wurden, wie sie auf der ganzen Insel gefunden wurden. Der Aufwand und die Sorgfalt dieser Darstellungen sowie ihre Widmung an religiöse Heiligtümer zeigen, welche Bedeutung Musik und Musiker für die zypriotischen Gemeinschaften besaßen.

Statue
Zypriotische Kalksteinstatue eines Aulos-Spielers; circa 575–550 vor Christus.
NY MET 74.51.2517 https://www.metmuseum.org/art/collection/search/242068

Aus diesem Grund untersucht das Marie-Skłodowska-Curie-Individual-Fellowship-Projekt MIKE-AGM eine Reihe von antiken Beweisen, zum Beispiel erhaltene Musikinstrumente. Blasinstrumente sind besonders hilfreich, da sich die Tonhöhen der von ihnen gespielten Noten durch sorgfältiges Ausmessen der Pfeifen und Grifflöcher abschätzen lassen. Aber alle Instrumente, unabhängig von ihrem Erhaltungszustand, können uns etwas über das umfassendere Handwerk des Musikinstrumentenbaus erzählen. Dies bedeutet, dass Musikarchäolog:innen beurteilen können, wie Instrumentenbauer die Netzwerke reisender Musiker und Händler nutzten, um Materialien wie das als "Libyscher Lotos" bezeichnete Holz aus Nordafrika zu importieren. Vergleichsdaten aus Ägypten legen die Möglichkeit nahe, dass aus Griechenland stammendes Holz auch zur Herstellung nordafrikanischer Musikinstrumente verwendet wurde.

Wissenschaftliche Methoden wie die Portable Röntgenfluoreszenzanalyse (pXRF) ermöglichen es uns, die zur Herstellung von Rohren verwendeten Metalle besser zu verstehen. Haben Musikinstrumentenbauer damals so wie heute bestimmte Legierungen verwendet, etwa wegen ihrer Klangqualität oder Farbe? In Zusammenarbeit mit Amy Smith und Peter Bray (beide Universität Reading, UK) wurde der im Ure-Museum ausgestellte "Reading Aulos" mittels pXRF untersucht. Dabei zeigte sich ein optisch komplexes Design aus drei Elementen: eine innere Pfeife aus Knochen, eine mittlere Schicht aus Kupferlegierung und eine äußere Schicht, die abwechselnd aus Silber und Messing gefertigt wurde.

Aufnahme im Labor
Vorbereitung für die Portable Röntgenfluoreszenzanalyse (pXRF) des "Reading Aulos".
ÖAW-ÖAI/J. T. Lloyd

Spuren bis in die Mythen hinein

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Methoden der Musikarchäologie es ermöglichen, die transformative und transportierende Natur der Musik zu erkennen. Das antike Publikum wurde mit bezaubernden oder belebenden Klängen an wundersame Orte entführt, wie die Verwendung von Musik zur Begleitung religiöser Rituale zeigt. Musiker gingen regelmäßig auf Tournee, um bei wichtigen nationalen Wettbewerben aufzutreten oder um ihren Lebensunterhalt mit Auftritten in nahegelegenen Städten oder im Ausland zu verdienen.

Der Mythos von Arion erfasst diese Aspekte der antiken Musik. Laut Herodot war Arion ein berühmter Musiker, der sich auf den Weg zur See machte, um im Ausland zu arbeiten. Auf seiner Rückreise stellte sich heraus, dass die Besatzung des Schiffes Piraten war. Sie sagten ihm, er solle über Bord springen, aber der Musiker wurde von Delfinen gerettet, die Dionysos geschickt hatte, und sicher ans Ufer getragen. Musik, Reisen und Religion, drei Dinge mit Macht und drei Dinge, bei denen uns die Archäologie helfen kann, sie besser zu verstehen. (James Lloyd, 21.9.2023)