Aufblasbare Raumstation von Architekturbüro Liquifer
Österreichische Firmen wie das Architekturbüro Liquifer liefern nicht nur systemkritische Bauteile für Weltraummissionen, sondern auch futuristische Konzepte wie aufblasbare Raumstationen.
Airbus DS Germany, LIQUIFER

Apfelstrudel und Schnitzel. Walzer und Lipizzaner. Seen und Berge. Wenn man ausländische Gäste nach Assoziationen zu Österreich fragt, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass zumindest einer dieser Begriffe fallen wird. Der Begriff "Weltraum" kommt wohl den wenigsten in den Sinn, wenn es um die wichtigsten Errungenschaften des Landes geht. Auch im Inland endet die Assoziation für viele beim bisher einzigen Raumfahrer, den die Nation 1991 ins All, genauer zur russischen Raumstation Mir, schicken durfte: Franz Viehböck.

Doch der fehlende Schein trügt. Denn in den vergangenen Jahren konnten sich viele österreichische Forschende, aber auch heimische Firmen und Start-ups international einen Namen machen. Im Fahrwasser wissenschaftlich motivierter Weltraummissionen sowie der neuen kommerziellen Raumfahrt, die durch Unternehmen wie Space X erst so richtig abhob, konnten sich spezialisierte Zulieferfirmen erfolgreich in Nischen positionieren.

150 Organisationen mit etwa 1200 Beschäftigten – zwei Drittel davon Unternehmen – generieren über 200 Millionen Euro Umsatz im Jahr, hat das für den Weltraum zuständige Klimaschutzministerium durch die Fachhochschule Nordwestschweiz erheben lassen. Vier von fünf Beschäftigten entfallen demnach auf die Bereiche Forschung und Entwicklung.

Elektronik Satellit Beyond Gravity
Auf vielen Satelliten ist Elektronik aus Österreich verbaut, wie etwa der des Zulieferers Beyond Gravity.
Martin Stepanek

Sensoren, Navigationsempfänger, Thermalisolationen, Satellitenantriebe und Treibstofftanks sind nur einige der Bauteile aus Österreich, die in den Weltraum fliegen. Das Wiener Weltraum-Architekturbüro Liquifer überlegt mittels visionärer, aber gleichzeitig funktionaler Konzepte, wie wir künftig in der Schwerelosigkeit in Raumstationen sowie auf den lebensfeindlichen Oberflächen von Mond, Mars und anderen Himmelskörpern leben können. Und an der FH Wiener Neustadt kann man mit "Aerospace Engineering" mittlerweile sogar Weltraumtechnik als Master-Studiengang belegen.

Österreicher als Esa-Chef

Aber auch personell gibt es einige Aushängeschilder. Der Tiroler Josef Aschbacher ist seit zwei Jahren Generaldirektor der europäischen Weltraumagentur Esa. Und mit Carmen Possnig, Reserve-"Austronautin" der Esa, ist erstmals seit mehr als 30 Jahren auch wieder eine bemenschte Mission mit österreichischer Beteiligung vorstellbar.

"Wir haben als kleines Land zwar keine große Organisation wie die Nasa vorzuweisen, müssen uns aber definitiv nicht verstecken", sagt Gernot Grömer, Direktor des Österreichischen Weltraum-Forums (ÖWF). So wie in der Autoindustrie kaum ein komplettes Auto hier gebaut werde, aber viele Spezialteile aus Österreich stammen, sei das auch in der Weltraumindustrie der Fall. "Dass mittlerweile eine kritische Technologie wie die Druckgasbehälter für das Galileo-System von einem oberösterreichischen Hersteller, Peak Technology, stammt, war noch vor einigen Jahren schwer vorstellbar", erklärt Grömer.

Aber auch bei anderen Themen sei man weit über Europa hinaus bekannt. Als Beispiele nannte er die Bekämpfung von Weltraumschrott, Analogforschung wie Simulationen von Mond- und Marsmissionen, Weltraummedizin, aber auch Grundlagenforschung im Bereich Magnetosphären und Heliosphären. Vor allem Graz habe sich mit den dort ansässigen Universitäten, vor allem aber auch dem Institut für Weltraumforschung (IWF), einen Namen gemacht. "In Wahrheit gibt es wohl kaum ein europäisches Weltraumprojekt, bei dem nicht in irgendeiner Form Grazer Expertise mit an Bord ist", sagt Grömer.

Exoplanetenforscherin Christiane Helling
Die Exoplanetenforscherin Christiane Helling leitet das Institut für Weltraumforschung in Graz.
IWF/A. Scherr

Ein Bereich, in dem das zur Österreichischen Akademie der Wissenschaften zählende Institut neben Sonnen- und Plasmaphysik künftig noch stärker punkten möchte, ist die Exoplanetenforschung. Das ist wenig überraschend – steht mit Christiane Helling doch seit zwei Jahren eine renommierte Forscherin aus genau diesem Fachgebiet an seiner Spitze.

In den vergangenen 20 Monaten sei es gelungen, 13 zusätzliche Forschende ans Institut zu bekommen, knapp die Hälfte davon seien über EU-Gelder finanziert, freut sich die IWF-Direktorin im Gespräch mit dem STANDARD. Das gemeinsam mit der TU Graz und Uni Graz kürzlich ins Leben gerufene Nachwuchsförderprogramm YRP@Graz erzeuge bereits jetzt jede Menge "lokale Energie" und soll Forschungskompetenz vor Ort nicht nur aufbauen, sondern auch langfristig sichern.

Neuland für Forschung

"Bei den meisten Missionen betritt man Neuland. Oft dauert es zehn bis 20 Jahre, bis ein Forschungsvorhaben im Weltraum umgesetzt werden kann", sagt Helling. Um erfolgreich zu sein, brauche es daher beides: eine langfristige Finanzierung von Ingenieuren und Technikerinnen, welche die Hardware entwickeln, sowie Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die Grundlagenforschung betreiben und die Auswertung gesammelter Daten übernehmen.

Mit diversen Förderprogrammen, die etwa aus dem Budget des Wissenschaftsministeriums gespeist, aber auch über die dem Klimaschutzministerium unterstellte Agentur für Luft- und Raumfahrt der FFG abgewickelt werden, ist Österreich laut Ansicht von Helling in beiden Bereichen gut aufgestellt. Gelegentlich würde sie sich bei Förderanträgen allerdings noch einen geringeren administrativen Aufwand wünschen.

Grömer lobt zwar den gestiegenen Beitrag Österreichs zum Esa-Budget, für seine Begriffe könnte jedoch das Bekenntnis zu einer selbstbewussten und aktiven Weltraumpolitik noch stärker ausfallen. Wie das gehen könne, zeige aktuell Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vor, dessen Regierung den Weltraum als Zukunftsthema auserkoren habe. In München sei so ein Weltraum-Cluster entstanden, der mehr Firmen, Arbeitsplätze und Risikokapital als in ganz Österreich hinter sich vereine.

Klimasatellit Pretty
Der österreichische Klimasatellit Pretty soll im Oktober ins All starten.
Lunghammer/TU Graz

Dass man sich hierzulande nicht ewig "nur" mit der Zulieferrolle begnügen will, soll der von der TU Graz, Beyond Gravity Austria und den Seibersdorf Laboratories entwickelte Klimasatellit Pretty beweisen, der im Oktober ins All startet. Aus wirtschaftlicher Sicht sei der Weltraum ein wachsendes Geschäftsfeld, das viel Potenzial biete, sagt Beyond-Gravity-Geschäftsführer Kurt Kober. Um dieses ausschöpfen zu können, sollte der nächste österreichische Satellit aber größer sein: "Cube-Sats sind spannend, aber wirklich Geld verdienen kann man damit nicht."

Als Vorbild für ein derartiges Projekt nannte er die Schweiz, die zuletzt auch aus militärischen Überlegungen in Weltraumtechnologien investierte. Dass das kleine Österreich mittlerweile eigene Satelliten bauen und Systeme integrieren könne, mache stolz, sagt auch Stephan Mayer, Esa-Technologieexperte bei der Agentur für Luft und Raumfahrt der FFG. Auch er wünscht sich allerdings, dass der Anspruch in Österreich künftig noch höher werde.

231 Millionen Euro Beitrag

Beim Klimaschutzministerium verweist man auf den gestiegenen Beitrag Österreichs zum Esa-Budget, das bis 2025 mit 231 Millionen Euro vereinbart wurde. Ob noch weiter aufgestockt werden könne, sei Gegenstand von Verhandlungen mit dem Finanzministerium. Wirtschaftlich würde einiges dafür sprechen, denn ein Großteil des investierten Geldes fließt über Aufträge wieder zurück ins Land.

Christiane Helling, Carole Mundell und Andreas Geisler.
Hoher Besuch: Die Esa-Wissenschaftsdirektorin Carole Mundell (Mitte) besuchte unlängst Graz, wo sie von IWF-Direktorin Christiane Helling und ALR-Leiter Andreas Geisler empfangen wurde.
IWF/A. Scherr

Aber auch inhaltlich sieht das Ministerium im finanziellen Engagement für den Weltraum keinen Widerspruch. "Weltraumtechnologie ist eine Schlüsseltechnologie im globalen Klimaschutz", sagt Henriette Spyra, Sektionsleiterin im Klimaschutzministerium. Erdbeobachtung aus dem All sei unerlässlich, um den Klimawandel und dessen Auswirkungen zu verstehen und besser gegensteuern zu können.

Das sieht auch Exoplanetenforscherin Helling so. Je tiefer der Blick ins All gelingt, desto klarer werde, wie einzigartig und damit schützenswert die Erdatmosphäre sei. "Wir haben schon so viele Planeten außerhalb unseres Sonnensystems entdeckt, deren Zusammensetzung und Atmosphäre ganz anders sind, als man sich lange Zeit vorstellen konnte. Eine zweite Erde haben wir bisher aber nicht gefunden", sagt Helling. (Martin Stepanek, 21.09.2023)