Benficas Team wirft Roger Schmidt in die Luft.
Roger Schmidt hat sich bei Benfica flott zum Meistermacher und Fanliebling aufgeschwungen. Bei Salzburg hatte er einst längere Anlaufzeit gebraucht.
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Roger Schmidts erste Schritte im Spitzenfußball endeten im Gatsch. Zum Saisonstart 2012 hatte Red Bull Salzburg den damals 45-Jährigen vom deutschen Zweitligisten Paderborn geholt, nach etwa einem Monat war er der Depp der Nation. Schmidt hatte drei seiner ersten vier Pflichtspiele gewonnen, dazwischen aber ein folgenschweres 0:1 in Düdelingen kassiert. Das mit dem Gesamtscore von 4:4 von der Auswärtstorregel besiegelte CL-Quali-Aus gegen die Luxemburger Halbprofis war peinlich sensationell und sensationell peinlich.

"Es ist eine Katastrophe für ganz Österreich", sagte Innenverteidiger Martin Hinteregger. Trainer Schmidt gab sich ungleich nüchterner: "Über zwei Spiele war das zu wenig." Sportdirektor Ralf Rangnick, heute ÖFB-Teamchef, gab seinem Landsmann Zeit. Zeit, die sich lohnen sollte: Eineinhalb Jahre später zerlegte ein entfesseltes Bullen-Team Ajax Amsterdam in der Europa League mit dem Gesamtscore von 6:1.

Salzburg knocks Ajax out of EL
AFC Ajax

Spricht man heute vom Idealtyp des Red-Bull-Fußballs, spricht man in Wahrheit über Roger Schmidt. Er war es, der in Rangnicks Auftrag den Hollodaro-Kick lehrte, der aus dem Paria RB einen in den Augen vieler Fans unterstützenswerten Unterhaltungsklub machte. Er war es, der gnadenloses Gegenpressing und temporeiches Spiel in die Tiefe zur Selbstverständlichkeit machte.

Heutzutage sind ähnliche Spielanlagen längst üblich, doch 2012 waren sie Raritäten. Jürgen Klopps Heavy-Metal-Fußball war eine Marke, Rangnick hatte mit ähnlichen Prinzipien reüssiert. Schmidt setzte das noch kompromissloser um. "Ich habe noch nie gegen eine Mannschaft gespielt, die mit einer so hohen Intensität gespielt hat", sagte Pep Guardiola nach einem 0:3-Testspiel gegen Salzburg. 2014 warb Leverkusen den Erfolgstrainer ab – wegen seiner Art, Fußball zu spielen, betonte Bayers Sportdirektor Rudi Völler.

Sehr überzeugt

Wer es gut mit Schmidt meint, nennt ihn einen Mann starker Überzeugungen. Wer es weniger gut mit ihm meint, nennt ihn einen Sturkopf. In seiner ersten Saison in Leverkusen unterbrach Schiedsrichter Felix Zwayer ein Match für neun Minuten, weil sich der ausgeschlossene Trainer weigerte, auf die Tribüne zu verschwinden. Zwei Jahre später endete sein Engagement bei der Werkself auch, weil er ein 2:6 gegen Dortmund als "sehr guten Auftritt" analysierte. Motto: "Ich lasse mich nicht vom Ergebnis blenden."

Nach dem Ende bei Leverkusen verbrachte Schmidt zwei Jahre bei Beijing Guoan, war danach ein Jahr vereinslos und kam 2020 bei PSV Eindhoven unter. Zwei Vizemeistertitel später wechselte er im Vorjahr zu Benfica Lissabon und blühte dort so richtig auf.

Roger Schmidts Flaschen-Schupfer
Anibal06

Schmidt hält bei Benfica bei einem spektakulären Punkteschnitt von 2,48, so erfolgreich war außer Interimstrainern keiner seiner Vorgänger bei dem Traditionsklub. In seiner ersten Saison gewann er die Champions-League-Gruppe ungeschlagen vor PSG und Juventus, im Viertelfinale kam gegen den späteren Finalisten Inter Mailand ob zweier später Gegentore das Aus. "O Grande Schmidt", wie ihn Benficas Anhänger nennen, durfte sich mit dem Meistertitel trösten, sein Vertrag wurde vorzeitig bis 2026 verlängert.

Treu geblieben ist Schmidt auch seiner Persönlichkeit. Der Sturkopf kann auch Hitzkopf, im Februar schmiss er eine auf ihn geworfene Wasserflasche zurück ins Publikum. Für Flaschen-auf-den-Boden-Pfeffern war er in Salzburg schon bekannt. "Während des Spiels sollte man mich nicht so ernst nehmen. Da bin ich in einem anderen Modus", sagte er dem "Profil" 2014.

Sehr überzeugend

Auf dem Feld hat Schmidt gelernt, seinen Spielstil zu modulieren. Bei Eindhoven verzichtete er auf sein Turbopressing, bei Benfica lässt er auch einmal Raum für geduldige Kombinationen – wobei die präferierte Methode weiterhin der gepflegte Überfallsangriff ist. Der von Taktikfans "Rogerball" getaufte Kick ist so ansehnlich und erfolgversprechend, dass sein 56-jähriger Schöpfer als potenzieller DFB-Teamchef ins Spiel gebracht wurde. Schmidt sagte ab: "Ich bin sehr glücklich. Ich liebe meine Spieler, ich liebe meinen Staff. Meine Vertragsverlängerung war eine klare Entscheidung für Benfica."

Niemand hätte nach dem Düdelingen-Debakel angenommen, dass Schmidt Salzburg elf Jahre später als Lichtgestalt wiedersieht. Nun ja: fast niemand. In einer Beziehung, sagte Schmidt einst, habe er ein unerschütterliches Selbstbewusstsein: "Ich weiß, dass ich ein guter Trainer bin." Trotzdem war der Job für den Ex-Profikicker lange nur Plan B, mit 40 arbeitete der gelernte Maschinenbauingenieur bei einem Autozulieferer und coachte nur nebenbei. Als Schmidt damit aufhören wollte, kam ein Angebot des Drittligisten Preußen Münster. "Mein Ziel war es vorher nie, hauptberuflich Fußballtrainer zu sein", sagte er später. Seine Entscheidung habe er "aus dem Bauch heraus" getroffen.

In Lissabon sind einige Benfiquistas heilfroh über diese Entscheidung. Am Mittwoch (21 Uhr, live auf Sky, Servus TV und im STANDARD-Ticker) ist Portugals Meister zum Auftakt der Champions-League-Gruppe D klarer Favorit. Salzburg-Coach Gerhard Struber sagt trotzdem: "Wir wollen mit unserer Wucht und unserer Power so stark sein, dass wir Benfica überraschen." (Martin Schauhuber, 19.9.2023)

Technische Daten und mögliche Aufstellungen
(Champions-League, Gruppe D - 1. Runde)

Benfica Lissabon - Red Bull Salzburg (Lissabon, Estadio da Luz, Mittwoch, 21.00 Uhr MESZ/live ServusTV, Sky, DAZN, SR Halil Umut Meler/TUR)

Benfica: Trubin - Bah, Silva, Otamendi, Aursnes - Neves, Kökcü - Di Maria, Rafa, Joao Mario - Musa

Salzburg: Schlager - Dedic, Solet, Pavlovic, Terzic - Gourna-Douath - Bidstrup, Gloukh, Kjaergaard - Simic, Konate

Fraglich: Gourna-Douath (Knöchel), Solet (Oberschenkel)

Es fehlen: Fernando (Adduktoren), Okoh (Oberschenkel/nicht im CL-Kader), Omoregie (Rücken/nicht im CL-Kader), Wallner, Yeo (beide Knöchel/nicht im CL-Kader)