Woher kommen wir? Warum ist das Universum so aufgebaut, wie es ist? Und was hat es mit der sagenumwobenen Dunklen Materie auf sich? Wenn man Jochen Schieck zuhört, könnte man meinen, einem Philosophen gegenüberzustehen. Doch der Direktor des Instituts für Hochenergiephysik (Hephy) ist Naturwissenschafter durch und durch, was per se ja auch kein Widerspruch ist.

Heute, an diesem warmen Spätsommertag im September, macht er am Institut in Wien Werbung für Österreichs Engagement am Cern, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf, und für die Teilchenphysik im Allgemeinen. Denn sie sei notwendig, um die wesentlichen Fragen unserer Existenz – etwa durch Experimente mit dem dortigen Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) – beantworten zu können.
Angesagt hat sich Wissenschaftsminister Martin Polaschek, der sich bei dieser Gelegenheit auch die Forschungslabore sowie die eigene Werkstatt im fünften Wiener Gemeindebezirk zeigen lässt. In der Vergangenheit haben andere Wissenschaftsminister, allen voran Johannes Hahn im Jahr 2009, immer wieder einmal die mit finanziellem Aufwand verbundene Mitgliedschaft beim Cern infrage gestellt. Aktuell steuert Österreich etwa 27 Millionen Euro zum knapp 1,3 Milliarden Euro schweren Jahresbudget der Forschungsorganisation bei.
Europäischer Standort
Den aktuellen Minister scheint Schieck aber offenbar nicht überzeugen zu müssen. Bei seinem Besuch am Institut betont Polaschek die Wichtigkeit, in Grundlagenforschung zu investieren. Nur so könne man die Grundfragen unseres Lebens verstehen und sich als Gesellschaft weiterentwickeln. Organisationen wie das Cern würden wesentlich dazu beitragen, internationale Forscherinnen und Forscher nach Europa zu holen und die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit zu verbessern. Er kündigte an, das Cern im Oktober zu besuchen.
Beim Hephy, das 1966 nicht zuletzt gegründet wurde, um von Österreichs Cern-Beitritt Ende der 1950er-Jahre auch im Land besser profitieren zu können, verweist man auf die aktive Rolle, die das Land trotz des relativ geringen Beitragsanteils von 2,2 Prozent stets gespielt habe. So habe man essenzielle Vorarbeiten für Experimente, etwa in der Detektorentwicklung, sowie bei der Auswertung der Daten durchgeführt und so wesentlich zur Entdeckung des Higgs-Teilchens im Jahr 2012 beigetragen. Dieses war ein halbes Jahrhundert lang das einzige Elementarteilchen des Standardmodells der Teilchenphysik, das experimentell nicht nachgewiesen werden konnte.

"Salopp könnte man sagen, dass jedes Higgs-Boson am Cern durch die Elektronik des Hephy gehen musste", sagt Schieck nicht ganz ohne Stolz. Was seine eigene Rolle betrifft, bleibt er bescheiden. Dass er als Vizepräsident des Cern Council die Ausrichtung der Organisation mitbestimmt, erwähnen am Institut andere.
Tatsächlich sind auch noch andere österreichische Forschende in führenden Positionen am Cern vertreten. So stellt das Hephy mit Wolfgang Adam nicht nur den stellvertretenden Sprecher der CMS-Kollaboration, die den gleichnamigen LHC-Detektor betreibt, sondern mit der Physikerin Claudia-Elisabeth Wulz auch die Vorsitzende.
Wichtige Rolle am Cern
Erst vor wenigen Tagen teilte das zur Österreichischen Akademie der Wissenschaften zählende Institut mit, dass der Physiker Thomas Bergauer zum Leiter der Teilchendetektor-Forschung ernannt wurde. In seiner Funktion wird er die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten von hunderten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern koordinieren und die jeweils dahinterstehenden internationalen Forschungsgruppen unterstützen und beraten.
Ziel ist es, neue Technologien zu entwickeln, die für künftige Teilchenphysik-Experimente eingesetzt werden können. Neben der Forschung am Cern sind solche auch am japanischen Forschungszentrum KEK geplant, das in der Vergangenheit ebenfalls auf die Expertise des österreichischen Instituts zurückgegriffen hat. Ein langfristiges Ziel ist der Future Circular Collider, ein bis zu 100 Kilometer langer Kreisbeschleuniger, mit dem noch höhere Energieflüsse erreicht werden sollen.
Mit solchen Experimenten wollen die Forschenden astrophysikalische Phänomene wie Dunkle Materie und Dunkle Energie erklären, die 95 Prozent des Universums ausmachen, laut Schieck mit dem Standardmodell der Teilchenphysik aber nur unzureichend erklärt werden können. Forschungserfolge bei Teilchendetektoren kommen auch der Medizin zugute. Schon jetzt wird die Technologie in der medizinischen Strahlentherapie, aber auch in der Tumorerkennung verwendet. (Martin Stepanek, 20.09.2023)