Die unvorstellbare Zerstörung Dernas.
Die unvorstellbare Zerstörung Dernas.
REUTERS/AYMAN AL-SAHILI

"Alles ist in Ordnung" sind wohl nicht die Worte, die derzeit irgendjemand in der ostlibyschen Katastrophenstadt Derna in den Mund nehmen würde. Nach dem doppelten Dammbruch vor rund einer Woche liegt ein Teil der Küstenstadt in Trümmern. Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 11.300 Menschen ums Leben kamen, ebenso viele gelten als vermisst.

Und doch ist ausgerechnet für Saddam Haftar, den Sohn des ostlibyschen Warlords Khalifa Haftar, "alles in Ordnung", wie er jüngst auf Nachfrage einer britischen Journalistin von Sky News in Derna über die Hilfsmaßnahmen und die Kritik am Vorgehen der Behörden sagte.

Saddam Haftar, der bereits als Nachfolger seines Vaters gehandelt wird und berüchtigte Milizen in Ostlibyen anführt, ist im Zuge der Dammkatastrophe trotz fehlender Erfahrung zum obersten Katastrophenmanager ernannt worden – zum Frust der Bevölkerung. Denn die Lage in Derna ist alles andere als in Ordnung.

Nicht nur muss angenommen werden, dass rund acht Prozent der Einwohner der Stadt durch die Fluten mehr oder minder auf einen Schlag ausgelöscht wurden. Es verdichten sich die Anzeichen, dass die Dämme den Extremregenfällen nicht standhielten, weil sie von den Zuständigen in Bengasi, die in Ostlibyen das Sagen haben, (wie auch von der rivalisierende Gegenregierung in Tripolis) nicht sachgemäß verwaltet und gewartet wurden, und dass die Bevölkerung nicht ausreichend gewarnt wurde. Hinzu kommt, dass sich die Menschen nun vor Erkrankungen wegen des verschmutzten Wassers hüten müssen.

Dass der Frust in Derna enorm ist, haben die Proteste vom Montag gezeigt – als unzählige junge Männer vor der Moschee nach Rechenschaft für ihre Liebsten und Nachbarn verlangten. Einige Demonstranten sollen auch das Haus des zurzeit suspendierten Bürgermeisters Abdel-Moneim al-Gheithy in Brand gesetzt haben.

Seither scheinen die Behörden bemüht, die Demonstranten als "Terroristen" zu diffamieren. So zeigte der saudische TV-Sender Al Hadath offenbar Bilder einer Festnahme eines am Boden geknebelten Journalisten aus dem Jahr 2019, der dagegen nun gerichtlich vorgehen will.

Dazu kommt, dass Derna nun trotz der katastrophalen Situation seit rund zwei Tagen von Internet- und Telefonsperren betroffen ist – wohl um die Informationen, insbesondere über Proteste, zu kontrollieren, die aus Derna herauskommen, vermuten Experten.

Die Online-Plattform "NetBlocks", die solche Netzblockaden auf den sozialen Medien meldet, sprach am Dienstag von örtlichen Internetstörungen. Das Telekommunikationsunternehmen LPTIC berichtete von einem "Glasfaserbruch" und sprach von einem möglichen "Sabotageakt".

Zeitgleich wurden insbesondere internationale Journalistinnen und Journalisten aufgefordert, Derna zu verlassen. Später sprachen Medienvertreter von widersprüchlichen Anweisungen der Behörden. Vor Ort zu bleiben sei möglich, aber zu berichten nicht. Eine Kommunikation sei nur über Satellit möglich, berichtet etwa die Stephanie Glinski von "Foreign Affairs" aus Derna am Dienstag. Tags darauf blieb es auf ihrem X-Account, vormals Twitter, still.

Zuvor war auch berichtet worden, dass ein Uno-Hilfsteam Schwierigkeiten habe, nach Derna zu reisen. Jedoch würden all jene Uno-Helfer, die bereits vor Ort seien, sehr wohl Katastrophenhilfe leisten. Während einige Länder inzwischen Hilfe vor Ort (Such- und Bergungsaktionen, Erstversorgung, Nothilfe) leisten, gibt es aber auch Berichte von Helfern, die Derna verlassen. Demnach hätten Internetstörungen die Zusammenarbeit zwischen Helfern massiv erschwert.

"Zweifellos geht es hier nicht um Gesundheit oder Sicherheit, sondern um die Bestrafung der Demonstranten in Derna", schrieb dazu der Libyen-Experte Emadeddin Badi von der US-Fabrik Atlantic Council auf X (vormals Twitter). Ähnlich äußerte sich dazu auch Tarek Megrisi vom European Council on International Relations, er sprach von "extrem düsteren Nachrichten aus Derna". Die Bewohner, die noch immer unter den Überschwemmungen litten, hätten laut Megrisi nun "große Angst vor einem unmittelbar bevorstehenden militärischen Vorgehen als kollektive Bestrafung für die gestrigen Proteste und Forderungen". (Flora Mory, 21.9.2023)