Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bei einer Pressekonferenz
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kündigte in einem Interview eine überraschende Wende in der Ukraine-Politik seines Landes an.
EPA/Tomasz Gzell

Mit dieser Reaktion hatte kaum jemand gerechnet: Der polnische Premier Mateusz Morawiecki kündigte am Mittwochabend an, dass sein Land die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellt. Damit scheint Kiew einen langen Unterstützer und Verbündeten im Krieg gegen Russland zu verlieren. Im Hintergrund schwelt schon lange der Konflikt um Getreideimporte, aber auch der Wahlkampf in Polen dürfte eine entscheidende Rolle spielen. DER STANDARD hat die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengefasst.

Frage: Was hat Mateusz Morawiecki genau gesagt?

Antwort: Auf die Frage eines Moderators vom Privatsender Polsat, ob Polen trotz des Getreidestreits die Ukraine weiter mit Waffenlieferungen und humanitärer Hilfe unterstützen werde, sagte der polnische Premier: "Wir liefern schon keine Rüstungsgüter mehr an die Ukraine, sondern rüsten uns selbst mit den modernsten Waffen aus." Die Streitkräfte sollten so modernisiert werden, dass Polen über eine der stärksten Landarmeen Europas verfügen werde, führte er weiter aus.

Frage: Wird es tatsächlich so weit kommen?

Antwort: Polens Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak gab eine ausweichende Antwort, als er auf die Äußerung Morawieckis angesprochen wurde. "Es ist der Regierungschef, der entsprechende Beschlüsse des Kabinetts unterschreibt, und die Weitergabe von Rüstungsgütern geschieht auch auf der Grundlage solcher Beschlüsse", sagte Błaszczak dem öffentlich-rechtlichen polnischen Radio. Donnerstagfrüh stellte der polnische Minister für Staatsvermögen, Jacek Sasin, im Privatsender Radio Plus dazu klar: "Im Moment ist es so, wie der Premierminister gesagt hat. In Zukunft werden wir sehen." Die Politik Polens könnte sich in dieser Hinsicht also bald wieder ändern. Vonseiten Tschechiens und der Slowakei hieß es bereits am Donnerstag, dass von einem Missverständnis ausgegangen werde: "Irgendeine stärkere Aussage muss man nicht unbedingt buchstäblich nehmen", sagte der tschechische Staatschef Petr Pavel in New York. Er habe nichts bemerkt, was man als ernsthaften Bruch bezeichnen könnte.

Liefert Polen keine Waffen mehr an die Ukraine?
AFP

Frage: Warum will Polen die Waffenlieferungen beenden?

Antwort: Hintergrund ist zum einen der Streit um Getreideimporte zwischen der Ukraine und Polen, der diese Woche eskalierte. Wegen des Kriegs versucht die Ukraine, zu deren wichtigsten Einnahmequellen Agrargüter zählen, Produkte statt über das umkämpfte Schwarze Meer verstärkt über den Landweg zu exportieren. Polen und andere osteuropäische Länder befürchten dadurch einen Preisverfall bei Agrarprodukten und beschränken deshalb ukrainische Importe. Vorübergehend hat die EU-Kommission die Handelsbeschränkungen für ukrainische Getreideprodukte erlaubt, seit vergangenem Freitag tut sie das aber nicht mehr.

Polen, Ungarn und die Slowakei untersagten zunächst aber weiterhin Getreideeinfuhren. Die Ukraine hat deshalb vor der Welthandelsorganisation (WTO) Beschwerde gegen die drei Länder eingereicht. Bei der UN-Vollversammlung hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj Polen dann kritisiert und gesagt, das "politische Theater" um Getreideimporte aus der Ukraine komme nur Russland zugute. Aus Protest zitierte Warschau den ukrainischen Botschafter ins Außenministerium.

Zuletzt hieß es am Donnerstag, dass Auch die Landwirtschaftsminister beider Länder sich um einen Ausweg aus dem Konflikt bemühen. Die Slowakei hat sich mit der Ukraine mittlerweile auf ein Lizenzsystem geeinigt, der Importstopp soll deshalb aufgehoben werden und die Ukraine ihre Beschwerde gegen die Slowakei bei der WTO zurückziehen.

Frage: Was spielt noch eine Rolle im Zusammenhang mit Polens Kehrtwende?

Antwort: Die polnische Innenpolitik. Am 15. Oktober wird ein neues Parlament gewählt. Die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) liegt in den Umfragen mit etwa 37 Prozent zwar vorne, wird zum Weiterregieren aber vermutlich einen Koalitionspartner brauchen. Ausgerechnet die PiS, die einen migrationsfeindlichen Kurs verfolgt und die Verteilung von Flüchtlingen in der EU ablehnt, ist nun mit einem Skandal um die angeblich massenweise illegale Vergabe von Schengen-Visa an Menschen aus Afrika, dem Nahen Osten und Asien konfrontiert. Dabei sollen in polnischen Konsulaten Schmiergelder geflossen sein. Die stärkste Oppositionskraft, die liberale Bürgerkoalition rund um Ex-Premier Donald Tusk, dürfte von der Affäre allerdings weniger profitieren als die ebenfalls oppositionelle nationalistische Partei Konfederacja. Letztere ist es auch, die seit längerem fordert, die Unterstützung für die Ukraine herunterzufahren, um sich selbst besser verteidigen zu können. Dieses Narrativ scheint Premier Morawiecki nun zu übernehmen, auch um den befürchteten Stimmenabfluss zur Konfederacja einzudämmen.

Mateusz Morawiecki und Wolodymyr Selenskyj umarmen sich
Ein Bild aus besseren Zeiten: Mateusz Morawiecki und Wolodymyr Selenskyj am ersten Jahrestag der Invasion im Februar.
REUTERS/VIACHESLAV RATYNSKYI

Frage: Welche Rolle spielt die militärische Unterstützung Polens für die Ukraine?

Antwort: Nach Angaben des Kiel-Instituts für Weltwirtschaft sind die USA mit militärischer Unterstützung in Höhe von mehr als 42 Milliarden Euro in absoluten Zahlen jenes Land, das bis Ende Juli am meisten militärische Hilfe für die Ukraine geleistet hat. Polen liegt hier mit drei Milliarden Euro auf Platz sieben. Die USA geben allerdings nur 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Unterstützung für die Ukraine aus, Polen im Rahmen bilateraler Hilfe 0,7 Prozent. Wolodymyr Selenskyj besucht diesen Donnerstag Washington und wird auch mit US-Präsident Joe Biden zusammentreffen, dabei wird die Ankündigung eines weiteren US-Militärhilfspakets erwartet. Zuletzt hieß es, die US-Regierung halte eine Lieferung weitreichender Marschflugkörper vom Typ ATACMS an die Ukraine für möglich, nach Angaben aus dem Weißen Haus wurde aber noch keine Entscheidung dazu getroffen. (Noura Maan, Gerald Schubert 21.9.2023)