Der Verfassungs- und Verwaltungsjurist Heinz Mayer, der auch Proponent des Antikorruptionsvolksbegehrens war, hat auch zum ÖOC eine eindeutige Meinung.
STANDARD/Regine Hendrich

Freitag, 11 Uhr, beginnt in einem Wiener Hotel die Hauptversammlung des Österreichischen Olympischen Comités (ÖOC). Wichtigste Tagesordnungspunkte, im O-Text laut Einladung: Abstimmung über Wahlen/Beschlussfassungen: offen oder geheim; Entlastung des Vorstandes (inklusive Präsidium); Entlastung des Generalsekretärs und der Bereichsleiter für Sport und Marketing (Leitungsorgan); ÖOC-Neuwahlen Präsident, Vorstand (inkl. Vizepräsident:innen, Rechnungsprüfer:innen); Statutenänderung.

Es wird keine ruhige Versammlung, das ist klar. Durch die heimische Sportlandschaft geht ein Riss, auch die Sportverbände sind völlig uneins. Angeblich 24 Fachverbände versammelten sich zuletzt in einer gemeinsamen Erklärung hinter ÖOC-Präsident Karl Stoss und Generalsekretär Peter Mennel – trotz der Strafanzeige gegen Mennel und das Präsidium wegen Untreue beziehungsweise Beihilfe. Die 24 Verbände übernehmen das Mennel/Stoss-Wording, auch sie schreiben von einer "beispiellosen medial begleiteten Schmutzkübelkampagne". Und obwohl die Staatsanwaltschaft Wien, bei der die Sachverhaltsdarstellung einging, einen "hinreichenden Anfangsverdacht gegeben" sieht und Mennel bald einvernehmen will, schreiben diese Verbände in weiterer Folge, es liege "der Verdacht auf der Hand", dass schlicht und ergreifend "die Wahl beeinflusst werden soll".

Die Zahl 24 ist übrigens nicht in Stein gemeißelt, sondern eher schon zerbröckelt. Zumindest ein Verband wurde ohne seine Zustimmung aufgelistet. Dabei handelt es sich um den Fußballbund (ÖFB), wie dessen Präsident Klaus Mitterdorfer im Gespräch mit dem STANDARD bestätigte. "Diese Erklärung kann ich nicht unterzeichnen", sagte Mitterdorfer, "weil ich die Angelegenheit ja nicht beurteilen kann. Ich kann bestätigen, dass es nicht der ÖFB war, der hinter der Anzeige gegen die ÖOC-Führung steckt. Und ich betone, dass wir auf eine vernünftige Lösung hoffen. Aber dass der ÖFB diese Erklärung unterzeichnet hat, stimmt ganz sicher nicht." Zuvor hatte Herbert Hübel, Präsident des Salzburger Fußballverbands und ÖOC-Vorstandsmitglied, erklärt, er selbst habe - "auch nach fernmündlichem Kontakt" mit Mitterdorfer - den ÖFB auf die Liste der 24 setzen lassen. Da dürfte, wie es aussieht, ein grobes Missverständnis vorgelegen haben oder immer noch vorliegen. Jedenfalls wird Hübel den ÖFB in der Hauptversammlung am Freitag vertreten.

Andere Verbände verlangen Aufklärung von Mennel und Stoss. Hermann Krist, Präsident des Dachverbands Askö, kündigte im STANDARD schon an, er werde Stoss "sicher nicht wählen. Ich müsste ja einen Vogel haben, wenn ich mit meiner Stimme den alten Vorstand entlaste und dann noch dafür sorge, dass der Präsident eine weitere Amtszeit erhält. Würde ich das tun, könnte man mir Fahrlässigkeit vorwerfen." Mennel und dem Präsidium wird in der Anzeige Unterue beziehungsweise Beihilfe dazu vorgeworfen, der verursachte Schaden soll bei 416.000 Euro liegen. Er soll dadurch entstanden sein, dass das ÖOC die Bilanzverluste der Crowdfunding-GmbH "I believe in you"-Österreich zur Gänze abdeckte, obwohl es nur Drittelteilhaber war. Darüber hinaus sehen sich Stoss und Mennel mit offenen Fragen zur Veräußerung einer Immobilie konfrontiert.

Im Gegensatz zum Vorstand, der mit einfacher Mehrheit gewählt wird, bräuchte Stoss für seine Wiederwahl eine Zweidrittelmehrheit. Doch kann er in der derzeitigen Situation überhaupt gewählt werden? Müssten sich die ÖOC-Mitglieder, wie Krist sagt, Fahrlässigkeit vorwerfen lassen? Der Verfassungs- und Verwaltungsjurist Heinz Mayer beantwortet diese und andere Fragen. Er wundert sich über Peter Schröcksnadel und über Vorstandsmitglieder mit etwaigen Erinnerungslücken.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation des ÖOC? Am Freitag findet eine Hauptversammlung statt, der alte Vorstand soll entlastet, ein neuer gewählt werden. Ist es für Sie vorstellbar, dass das passiert?

Mayer: Vorstellbar ist alles. Aber schwierig wäre das schon. Eine Entlastung des alten Vorstands durch die Hauptversammlung würde bedeuten, die Mehrheit der ÖOC-Mitglieder vertritt die Meinung, dass garantiert keine schweren Verfehlungen passiert sind. Und ob man diese Meinung angesichts der Anzeige gegen das ÖOC-Präsidium und den Generalsekretär wirklich vertreten kann, weiß ich nicht.

STANDARD: Kennen Sie den Inhalt der Sachverhaltsdarstellung?

Mayer: Nein, aber ich kenne den Rechtsanwalt, der sie eingebracht hat. Der weiß genau, was er tut. Und ich weiß, dass die Staatsanwaltschaft Wien einen hinreichenden Anfangsverdacht gegeben sieht. Das ist nicht irgendetwas, das kann die Hauptversammlung nicht außer Acht lassen. Das ist eine klare Aufforderung, zumindest einmal nachzufragen, wie es dazu kommen konnte.

STANDARD: Machen sich ÖOC-Mitglieder haftbar, wenn sie einen Vorstand entlastet haben und es stellt sich später heraus, dass Verfehlungen passiert sind?

Mayer: Nein, dafür kann man sie nicht haftbar machen. Aber eine Entlastung sozusagen im Zweifel wäre ja auch ein politisches Signal, das hieße: Wir vertrauen dem Vorstand voll. Auf der anderen Seite wäre der Vorstand auch trotz Entlastung nicht aus dem Schneider, wenn sich im Nachhinein grobe Verfehlungen herausstellen und beispielsweise Gläubiger auf den Plan treten.

STANDARD: ÖOC-Vizepräsident Peter Schröcksnadel hat in einem ORF-Interview folgenden Satz gesagt: "Sponsorengelder, die wir im ÖOC erwirtschaften, können wir auch außerhalb verwenden." Wie beurteilen Sie diese Aussage?

Mayer: Das ist ein klassischer Schröcksnadel-Sager. Das geht natürlich nicht. Alle Gelder, die ein Verein einsammelt, auch Gelder von Sponsoren, muss er wieder im Sinn des Vereinszwecks investieren. Sonst ist das eine klassische Untreue. Aber diese Aussage zeigt halt auch die selbstherrliche Einstellung dieser Leute, nach dem Motto: Putzts euch, das ist unser Geld.

STANDARD: Und der Vorstand des Vereins müsste darauf achten, dass der Verein seine Gelder laut Vereinszweck einsetzt?

Mayer: Im Gegensatz zur Hauptversammlung ist der Vorstand sehr wohl in der Haftung. Das Vereinsrecht ist ja auch diesbezüglich verschärft worden.

STANDARD: Der ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel sagte in der jüngsten Hauptversammlung, der Vorstand habe auch den nun zur Anzeige gebrachten Transaktionen im Zusammenhang mit der Crowdfunding-Plattform "I believe in you" zugestimmt. In Protokollen von Vorstandssitzungen finden sich aber keine Hinweise darauf. Wie erklären Sie sich das?

Mayer: Das erschließt sich mir nicht. Vielleicht können sich einige auch nicht mehr erinnern, was da genau vorgetragen wurde. Solche Sitzungen können sehr ermüdend sein.

STANDARD: Sieht das Vereinsrecht vor, dass der Vorstand bestimmten Transaktionen oder Geschäften zustimmen muss?

Mayer: Das sollte schon in den Statuten eines Vereins festgehalten sein. Dass zum Beispiel bei Grundstückstransaktionen oder bei Überschreitung bestimmter Beträge nicht bloß eine Person, etwa der Präsident, sondern der Vorstand zustimmen muss. Es wäre unüblich, wenn das nicht in den Statuten steht.

STANDARD: In den ÖOC-Statuten steht nicht, dass die Zustimmung des Vorstands zwingend notwendig ist. Dort steht, dass solche Geschäfte nur "mit Zustimmung des Präsidiums vorgenommen werden sollen". Ich wiederhole: sollen.

Mayer: Wie gesagt, das ist unüblich.

STANDARD: Hat auch diese Unüblichkeit das ÖOC in die Situation gebracht, in der es sich befindet?

Mayer: Diese Situation hat vor allem mit den handelnden Personen zu tun. Mein Gefühl, mein Eindruck ist, dass es sich bei der ÖOC-Führung um eine selbstherrliche Truppe handelt. Den Peter Mennel kenn ich seit vielen Jahren, nicht besonders gut, aber ich kenne ihn. Ich halte ihn an sich für einen anständigen Menschen, aber er schert sich nichts. Ich kann mir vorstellen, dass er vielleicht kein Bewusstsein mehr hat für Dinge, die einfach nicht gehen. Diese Leute denken sich, sie tun eh etwas Gutes. Aber was das Gute ist, das bestimmen immer noch sie. (Fritz Neumann, 21.9.2023)

Anmerkung: um 18:10 ergänzt um Statement von ÖFB-Präsident Klaus Mitterdorfer