Es geht ein Gespenst um, und das schon seit mehr als zweihundert Jahren: Die Maschinen werden dem Menschen die Lohnarbeit wegnehmen. Heute wird etwas differenzierter darüber gesprochen: Welche Branchen werden betroffen sein; wer muss umschulen – von Bankberaterin auf KI-Expertin, von Busfahrer auf Pädagoge? Und: Wie schnell wird und muss das geschehen?

Bei Paneldiskussionen wird gerne Panik verbreitet, diese Auftritte sind für einige selbsternannte Expertinnen und Experten sicher gewinnbringend. Ein bekannter deutscher Fernsehphilosoph warnte in einem Buch bereits vor fünf Jahren davor, dass Millionen von Buchhaltern, Bankangestellten, Finanzanalysten und Versicherungsagenten dank KI ihre Arbeit verlieren würden. Außerdem würden unzählige Dienstleistungsberufe alsbald von Robotern ersetzt. Etliche CEOs, Bildungsbeauftragte und Human-Resources-Expertinnen stiegen in die Diskussion ein, es wurde vieles gesagt, wie so oft auch von viel zu vielen. Doch die prognostizierte Kündigungswelle blieb aus. Die Massenarbeitslosigkeit trat trotz der Vielzahl an Behauptungen, dass maschinelles Lernen und Automatisierung der Industrie 4.0 in den 2010er-Jahren Arbeitsplätze gefährden würden, nicht ein. Manch einer ärgert sich über den Alarmismus. Der Fernsehphilosoph verkaufte währenddessen tausende Bücher. Das Tragische dabei: Er könnte immer noch recht behalten. Doch der Einsatz von KI wird weder zum direkten Ende der Demokratie noch zum wirtschaftlichen Systemumsturz führen.

Erinnerungen an den "Maschinensturm"

Schon Anfang des 19. Jahrhunderts, im Zuge des "Maschinensturms", war die Angst groß. Vor dem Verlust traditioneller Privilegien, Verschlechterung des sozialen Status oder schlicht der Kündigung. Die Arbeiterinnen und Arbeiter versuchten die neuen Maschinen in den Gewerben zu zerstören, um sich gegen die befürchteten Konsequenzen der Industrialisierung zu wehren. Gegen die Technologien selbst vorzugehen führte letztlich nicht zu Verbesserungen. Denn um die sozialen Umstände, das Hausen in Baracken, die marode Infrastruktur in den Städten zu verbessern, brauchte es viel eher umfassende Sozialreformen, politischen Willen, höhere Steuereinnahmen und Arbeitszeitverkürzungen. Auch heute sind sozialpolitische Lösungen gefragt.

Ja, wir arbeiten mittlerweile weniger. Doch selbst wenn die durchschnittlichen Arbeitsstunden der Menschen im Laufe der Zeit sinken, wie der historische Trend zeigt, werden KI-Anwendungen nicht unbedingt zu einer geringeren Beschäftigungsrate führen. Viel eher werden neue Jobs entstehen. Davon darf man ausgehen, schließlich führten Erfindungen wie die der Elektrizität, der Glühbirne, des Internets und des Smartphones zu einigen neuen Berufsgruppen. Welche Berufe das in Zukunft genau sind, das lässt sich beim besten Willen nicht sagen. Professor Deb Roy vom MIT gab mir dazu jüngst folgenden Ratschlag: Sei misstrauisch gegenüber jeder Person, die dir sagt, sie könne die Zukunft vorhersehen. Und ich gebe ihm gerne recht. In der Geschwindigkeit, mit der die Menschheit Technologie vorantreibt, gibt es keine Gewissheiten in der Arbeitswelt mehr.

Selbstständiges Denken

Viel ertragreicher und spannender wäre es also, schon vor dem Berufseinstieg Kreativität, Erfindertum und Exzellenz zu fördern. Mit Texten über Österreichs antiquiertes Schulsystem wurden bereits viele Zeilen gefüllt. Doch eines sei gesagt: Selbstständiges Denken und kreative Lösungsfindung werden sicher nicht zur Regel, wenn Zentralmatura und verschulte Bachelorstudiengänge weiterhin auf Auswendiglernen und standardisierten Schemata aufbauen. Lösen wir uns von der Illusion der Vorhersage, und ermöglichen wir mehr Freiräume in den Bildungsstätten. Vielleicht verschwindet das Gespenst doch noch aus den Debatten. (Sebastian Lang, 22.9.2023)