Arbeiter bringt Solarpaneele an
Das Interesse an Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften ist hoch. Die aus dem Ukrainekrieg resultierenden Strompreiserhöhungen zeigten zuletzt jedoch Defizite auf.
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Für Josef Walch war das Strompreischaos im letzten Jahr eigentlich ein Glücksfall. Denn der Forscher der FH Wiener Neustadt untersucht Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (EEG) in der Gründungsphase. Quasi im Realexperiment konnte er mitprotokollieren, wie sich Menschen, die selbstproduzierten Solar- oder Wasserstrom untereinander teilen wollen, im Extremfall verhalten. Eines kann Walch jetzt mit Bestimmtheit sagen: Es gibt Grenzen, wo sich Gemeinsinn und Eigennutz zu spießen beginnen – "und das kann man niemandem übelnehmen". Wenn Energiegemeinschaften reüssieren sollen, müsse jedenfalls vieles "flexibler, einfacher und transparenter werden".

Als Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften im Herbst 2021 rechtlich möglich wurden, war das Interesse groß. Diverse Gemeinden wollten mit ihren Gebäuden wie Schulen, Bauhöfen und Kläranlagen gemeinsam mit kleinen Betrieben und privaten Haushalten die Energiezukunft proben. Im Rahmen der vom Klimaschutzministerium geförderten Forschungsinitiative Green Energy Lab untersucht Walch seit damals eine EEG in Wieselburg. Als weitere Projektpartner fungierten etwa das Austrian Institute of Technology (AIT) und das K1-Kompetenzzentrum BEST – Bioenergy and Sustainable Technologies.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Mit Photovoltaikanlagen auf öffentlichen und privaten Dächern will man Haushalte und Betriebe mit eigenem Strom versorgen, aber auch Energiesektoren koppeln, im Ortszentrum eine E-Tankstelle betreiben und Pumpen in der Kläranlage für das Lastmanagement nutzen. Denn auch das ist eine künftige Aufgabe einer EEG: Netze zu stabilisieren, in denen nur noch erneuerbarer Strom zirkuliert. Sie sollen die meiste Energie selbst verbrauchen und so das Netz entlasten.

Bei Engpässen könnten die Energiegemeinschaften aber auch ihren Überschussstrom automatisch Netzbetreibern anbieten oder ihnen deren Überschussstrom abnehmen. Damit könnte man Wärmepumpen gratis betreiben oder Batterien für die E-Tankstelle günstig befüllen. Leider sei so ein "Flexibilitätsmarkt" aber noch Zukunftsmusik, sagen Experten wie Günther Eibl, der an der FH Salzburg etwa im Forschungsprojekt Ecosint an stabilen und sicheren Energienetzen der Zukunft forscht. Denn zunächst müsse man möglichst viele Gemeinschaften gründen.

Sind diese vorhanden, muss sichergestellt sein, dass die Netzarchitektur stabil, aber auch die Datensicherheit gewährleistet ist. Denn um Erzeugung und Verbrauch auszugleichen, müssen die Netzbetreiber die Informationen darüber kennen, ohne dass Teilnehmer die Daten der Nachbarn lesen können. "Das ist ein komplexes System, es gibt keine einfachen Antworten darauf", erklärt Eibl.

Finanzielle Zuckerl

Damit nicht nur Idealisten angesprochen werden, wurde so manches finanzielle Zuckerl gewährt: Unter anderem werden einer EEG 60 Prozent der Netzkosten erlassen, wenn sie Strom nur lokal auf niedrigster Netzebene verteilt – ein Körbergeld. Das sei auch nur fair, denn es werden keine Leitungen des übergeordneten Netzes genutzt. Zudem können Mitglieder ihren Stromtarif selbst bestimmen. Im Prinzip könnte eine Gemeinschaft ihren Strom an ihre Mitglieder auch verschenken. Mehrheiten für solche Modelle dürfte es aber nur in Ausnahmefällen geben, etwa wenn Menschen Nachbarn helfen wollen.

Solardach auf Wohnhaus
Für viele lohnt sich das Einspeisen nicht.
IMAGO/MiS

Die Standardsituation sieht eher so aus: Die Mitglieder teilen das Netzkostenkörberlgeld auf. Wer seine PV-Anlage einbringt und Strom einspeist, bekommt ein paar Cent mehr zum garantierten Referenzwert. Stromkonsumenten wiederum bekommen ein paar Cent pro Kilowattstunde Abschlag zum Netztarif, weil auch sie am Körberlgeld mitnaschen können.

Als durch den Ukrainekrieg die Energiemärkte verrückt spielten, kam das Konzept "Nachbarn teilen Strom mit Nachbarn" an seine Grenzen: Zuerst schoss der Strompreis in die Höhe und damit auch der garantierte Abnahmetarif für Ökostrom. "Da haben viele Besitzer von PV-Anlagen, die einer Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaft beitreten wollten, plötzlich die Sinnfrage gestellt", sagt Walch.

Ausnahmesituation

Denn wer auf eine EEG-Teilnahme pfiff und direkt ins Netz einspeiste, bekam bis zu 50 Cent pro Kilowattstunde Solarstrom garantiert – ein Vielfaches von dem, was eine Gemeinschaft zu zahlen bereit wäre. Damit wurde die EEG-Teilnahme auch für kleine Haushalte unattraktiv. Nicht zuletzt durch die Strompreisbremse, die im September 2022 beschlossen wurde, entstand die kuriose Situation, dass kleine Haushalte ihren Strom günstiger von großen Netzbetreibern beziehen konnten als von einer EEG – trotz Aufteilung des Körberlgelds. Dass Nachbarn ihren Nachbarn lokalen Strom verkaufen können, interessierte so gut wie niemanden mehr.

Mittlerweile hat sich die Aufregung zwar ein wenig gelegt. Der neue Referenzpreis für Ökostrom liegt nun nicht mehr bei 50, sondern bei knapp 14 Cent pro Kilowattstunde. "Das war schon auch eine Ausnahmesituation, mit der niemand rechnen konnte", sagt Roland Kuras, der die EEG Grätzl Energie in Wien gegründet hatte. "Bis zur endgültigen Normalisierung wird es aber noch Jahre dauern." Zumindest mehrere Hundert Gemeinschaften sind bislang eingemeldet.

Dynamische Preisanpassung

"Wir sehen die Probleme jetzt viel deutlicher", erklärt Walch. Umfragen, die er mit seinem Forscherkollegen Michael Wölk durchführte, würden zeigen, was sich EEG-Teilnehmer wünschen: "Mehr Flexibilität, Einfachheit und Transparenz." Ein Modell dafür haben die Wieselburger Forscher bereits entwickelt: Nicht nur einmal pro Jahr oder vierteljährlich soll der EEG-Tarif angepasst werden, sondern dynamisch, am besten in Echtzeit. Dabei folgt der Preis dem Referenzpreis an der Strombörse im Idealfall im Viertelstundentakt. "Das würde die EEG auch für ein lokales Wasserkraftwerk attraktiv machen."

Preisaufschläge für Stromproduzenten und Preisnachlässe für Stromkonsumenten könnten sofort berücksichtigt werden. Kein Produzent müsste sich über Vor- und Nachteile eines EEG-Betritts den Kopf zerbrechen. Technisch möglich wäre es. Die Flexipreise könnten auch für kleine EEG-Haushalte noch 50 bis 100 Euro jährlich an Einsparungen bringen, wie erste Berechnungen zeigen.

Das sei zwar nicht viel, meint Walch, aber Schnäppchenjäger wie Umweltbegeisterte könnten angelockt werden – solange die EEG-Anmeldung einfach ist. "Diese ist noch viel zu kompliziert und sollte so einfach wie der Wechsel eines Handytarifs auf einer Handy-App seinl." Das sieht auch Kuras von Grätzl Energie Wien so. "Das Anmelden muss volldigitalisiert möglich sein. Sonst schreckt das von der Teilnahme ab." Und das wäre, im Sinne der Energiewende, mehr als schade. (Norbert Regitnig-Tillian, 24.9.2023)