Internationale Raumstation ISS
Längere Zeit in einer Raumstation wie der ISS zu leben ist aus der Sicht eines Mikrobioms offenbar nicht so anders, als viel Zeit in einem Badezimmer zu verbringen.
AP

Das Universum ist in seinen Dimensionen für unseren Verstand kaum fassbar. Ähnlich unbegreifbar erscheint die Zahl von ungefähr 100 Billionen Mikroorganismen, die den menschlichen Körper vom Darm über die Haut bis zu den Schleimhäuten besiedeln. Diese Mikrobiom genannte Wohngemeinschaft aus Bakterien, Archaeen, Pilzen, Einzellern und Viren ist untrennbar mit dem Menschen und sämtlichem irdischen Leben verbunden.

Mikrobielle Vielfalt

Krankmachende Mikroben machen nur einen Bruchteil der mikrobiellen Vielfalt aus. Die überwiegende Mehrzahl der winzigen Organismen lebt in Symbiose mit ihren Wirten, indem sie etwa die Verdauung und das Immunsystem unterstützen. Ist das Mikrobiom stabil und im Gleichgewicht, widersteht es kurzfristigen Turbulenzen und pendelt sich üblicherweise rasch wieder ein.

Bei Raumfahrtmissionen können Faktoren wie Schwerelosigkeit, kosmische Strahlung, Isolierung oder Stress die Mikroben und damit dieses Gleichgewicht negativ beeinflussen. Was auf mikrobieller Ebene geschieht, wenn sich Menschen längere Zeit völlig losgelöst vom planetaren Geschehen in einem hermetisch abgeschlossenen System aufhalten, wurde bereits in irdischen Simulationen wie Mars 500 und HI-SEAS (Hawaii Space Exploration Analog and Simulation) sowie auf der Internationalen Raumstation ISS untersucht.

Das Habitat Raumstation

Über die Jahre waren Forschende um die Mikrobiologin Christine Moissl-Eichinger von der Medizinischen Universität Graz in diese Projekte involviert und haben die Daten aus diesen Habitaten ausgewertet. Zwar würde sich die Diversität des Mikrobioms der Astronautinnen und Astronauten mit Fortdauer der Mission wohl etwas reduzieren, eine konkrete gesundheitliche Gefahr könne man aus den mikrobiellen Veränderungen an Bord aber vorerst nicht ableiten.

Die Besiedelung von Mond und Mars wird nicht zuletzt auch über Weltraumstationen als Zwischenstopps stattfinden.
Airbus DS Germany, LIQUIFER,

"Wir sprechen von einem relativ unspektakulären Mikrobiom, ähnlich wie in einem Badezimmer auf der Erde – einfach weil die Feuchtigkeit relativ hoch ist oder an den Flächen kondensieren kann", fasst Alexander Mahnert, Postdoc in dieser Forschungsgruppe, die Kernergebnisse für die Internationale Raumstation zusammen.

Generell könne man auch sagen, dass es in einem abgeschlossenen System langfristig zu einer "longitudinalen Homogenisierung", also einer gewissen mikrobiellen Angleichung zwischen Mensch und direkter Umwelt, komme. Ein feuchtes Milieu auf den Oberflächen könnte jedoch zu Problemen für die strukturelle Integrität der Raumstation oder eines Raumfahrzeugs führen.

Balanceakt

Zum einen gelte es darauf zu achten, dass sich Feuchtigkeit nicht absetze. Denn sonst drohten sich Biofilme zu bilden, die Materialien angreifen könnten. Andererseits sollten Oberflächen auch nicht bis zur völligen Sterilität gereinigt werden, weil sich dort sonst mangels Konkurrenz schädliche Pathogene besser ausbreiten könnten.

Aufbauend auf solchen Erkenntnissen zeichneten die Grazer Forschenden im Vorjahr im Journal Microbiome die möglichen Implikationen einer Reise zum Mars für das menschliche Mikrobiom nach. Bei einem solchen Unterfangen wird es demnach wesentlich sein, schon vor dem Abflug ein individuelles Referenzgenom für alle Crewmitglieder zu erstellen und während der Reise immer wieder per Echtzeitsequenzierung Proben zu sammeln und damit abzugleichen.

Wichtige Vorsichtsmaßnahmen

Notfalls könne man mit geeigneten Nahrungsmitteln gegensteuern, falls die Diversität der Organismen im Darm nachlässt. Hilft das nicht oder ist das Team im schlimmsten Fall von einer Durchfallerkrankung betroffen, können laut Ansicht der Forschenden auch Eigenstuhltransplantationen helfen.

Leben auf dem Mars
Leben auf dem Mars
Design ESA-Spaceship EAC und LIQ

Das mikrobielle Leben bedarf aber nicht nur in der bemenschten Raumfahrt einer ständigen Kontrolle. Dasselbe gilt für alle anderen Missionen, die mit fremden Himmelskörpern in Kontakt kommen. Wie im Weltraumvertrag (Outer Space Treaty) von 1967 festgehalten, soll durch Maßnahmen für den planetaren Schutz verhindert werden, dass terrestrische Lebensformen andere Planeten, Monde, Kometen oder Asteroiden versehentlich kontaminieren. Derartige Vorsichtsmaßnahmen gelten umgekehrt natürlich auch für das Zurückholen von extraterrestrischen Proben zur Erde.

Langer Flug zum Jupiter

Im April brach die europäische Raumsonde Juice auf ihre achtjährige Reise zum Jupitersystem auf, um den größten Planeten des Sonnensystems und seine Eismonde zu erforschen. Auch bei dieser Mission fliegt mikrobielle Expertise aus Graz mit.

Unter anderem geht es darum, eine Standardisierte Messmethode der Nasa durch neuere Methoden zu ergänzen. Damit wolle man ein möglichst objektives Bild bekommen, welche Mikroorganismen es gebe und inwieweit sie gefährlich seien, erklärt Mahnert. Im Detail gehe es dabei um den Einsatz von Technologien im Bereich der Echtzeitsequenzierung zur besseren Analyse und Klassifizierung von Mikroorganismen.

Ankunft 2031

Die längerfristige Idee hinter diesem Pilotprojekt mit der europäischen Raumfahrtorganisation Esa, zu der auch das österreichische Klimaministerium einen finanziellen Beitrag leistet, ist wie folgt: Daten aus Mikroben-Proben sollen sukzessive in ein mathematisches Modell eingespeist werden, das dann einen mikrobiellen Risikowert für künftige Missionsziele ausgibt.

Bis Juice 2031 beim Jupiter ankommt, werden dann vielleicht auch schon einige jener "essenziellen Wissenslücken von mikrobiellen Zuständen während langfristiger Weltraummissionen" geschlossen sein, auf die die Grazer Mikrobiomforschenden in ihrem Kommentar zu einer Mars-Mission ausdrücklich hinweisen. (Mario Wassserfaller, 16.10.2023)