Sensibilität und Überlebenshumor zeichnen den Comic des Journalisten Saviano und des Zeichners Hanuka aus.
Saviano/Hanuka

"Du brockst dir immer Ärger ein." "Du bist wie ich." Hatte der Opa das Wesen seines Enkels bereits erkannt, als dieser noch in den Kinderschuhen steckte? – "Zum Glück hat er nicht mehr alles miterlebt." Der Enkel ist der italienische Journalist und Autor Roberto Saviano. Als er 2006 seinen Reportageroman Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra (Deutsch 2008) über die neapolitanische Mafia veröffentlichte, war er nicht nur binnen kürzester Zeit berühmt, sondern alsbald auch in Lebensgefahr. Der auf jahrelanger verdeckter Recherche beruhende Roman wurde in 52 Sprachen übersetzt und über zehn Millionen Mal verkauft.

Die Art und Weise, wie der gebürtige Neapolitaner das internationale, zugleich astronomische illegale Geschäftsmodell der Camorra, von Kokainhandel bis Textilindustrie, vom Zementmonopol bis zu den Giftmülltäuschungsmanövern, mit dokumentarischer Anschaulichkeit und literarischer Verve beschrieb, war enthüllend und machte die Camorristen nervös.

Der frühzeitig an die Öffentlichkeit gesickerte Plan zur Ermordung des Autors, der es noch wagte, während einer Lesung in Casal di Principe, der nahe Neapel gelegenen Hochburg der mafiösen Vereinigung, mit dem Finger auf die Clan-Chefs zu zeigen, ist offensichtlich gescheitert: I’m Still Alive ist Savianos Statement eines Etappensiegs gegen die Camorra – und ein Aufschrei.

17 Jahre Quarantäne

Der Comic, der im Deutschen den Untertitel Im Fadenkreuz der Mafia trägt und den Saviano zusammen mit dem israelischen Zeichner Asaf Hanuka geschaffen hat, befasst sich nicht mit den wuchernden Metastasen der Mafia.

Vielmehr ist es ein intimes Selbstporträt des Autors unter ständigem Begleitschutz. Seit nunmehr 17 Jahren führt Saviano ein Leben – um an einer kollektiven Erfahrung zu streifen – unter strengster Quarantäne, ein Leben, in dem "die einfachsten Dinge außerordentlich kompliziert" geworden sind. Der Umstand wirft die Frage auf, wie es überhaupt zu diesem Zusammentreffen kommen konnte?

Im Gespräch verrät der Zeichner, dass Saviano, offenbar angetan von Hanukas Comic Der Realist (2015), sich die Zusammenarbeit erwünschte. In der Folge stellte der Verleger Michele Foschini von Bao Publishing den Kontakt her. Unter entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen konnte der Zeichner den Autor tatsächlich persönlich treffen. Trotz anfänglicher Bedenken ob möglicher Gefahren sei aus dem Angebot für Hanuka ein zutiefst eigener Auftrag geworden: "Ich konnte nicht widerstehen, diese Geschichte zu erzählen."

Ein weiterer Auzug aus dem Comic.
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Mozzarella mit Erdbeeren

In rund 15 Episoden erzählt Saviano aus seinem Leben unter Polizeischutz, über die rituellen Abläufe bei der Begehung einer neuen Unterkunft, die bis ins Abstellkammerl von seinen Bewachern nach Bomben oder Attentätern abgeklopft wird, bevor der Schützling auch nur einen Schritt hineinsetzt und sein Zwei-Zimmer-Reich sich mit seinem Elixier aus Buchstaben auf Papier anfüllt. Doch innerhalb dieser Wände fühlt es sich an "wie ein Minotaurus im Labyrinth": "Ohne jeden Ausweg." Das ist "meine Wunde", schreibt Saviano im Vorwort.

Ähnlich anderen Aufdeckern und Whistleblowern wie Edward Snowden und Julian Assange oder Autoren wie Salman Rushdie muss Saviano mit einem Verlust an Freiheit leben, wie er kaum vorstellbar ist. In den klaren halbrealistischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen und sparsam geometrischen Kolorierungen spiegelt sich das eingeschränkte Leben des Autors wider. In den Beschreibungen von Isolation, Leere und Einsamkeit drängt sich das Motiv eines schmerzerfüllten Ecce homo auf. Doch das ist nur einer der Stränge. Den bitteren Umständen stellt der Autor seine Liste von Dingen entgegen, die "das Leben noch immer lebenswert" machen: ganz oben der Büffelmozzarella aus Aversa, serviert mit Erdbeeren, oder die Klänge von Bill Evans. Viele seiner Favoriten müssen allerdings Träume bleiben: ein schlichter Spaziergang ohne Eskorte, ein spontanes Treffen mit einem Freund in einer Bar, ein Besuch zu Hause oder unbeschwerter Sex.

Künstlerischer Dialog

In anderen Episoden, jeweils charakterisiert durch eine Hauptfarbe, kehrt der Autor in die Kindheit zurück, sie schildern Schlüsselerlebnisse des jungen Roberto, der einen Mafiamord auf offener Straße miterlebt. In den Zeichnungen finden sich Zitate der Brutalo-Architektur von Scampia, des äußersten Randbezirks von Neapel.

Der Zwölfjährige wird Augenzeuge der Aktion von Don Peppe Diana, dem der Autor bereits in Gomorrha ein eigenes Kapitel gewidmet hatte. Der beherzte Priester hatte Anfang der 1990er-Jahre "sein berühmtes Manifest" an den Mauern von Casal di Principe verbreitet. "Ich werde nicht schweigen", heißt es da: "Denn die Mafia ist eine Diktatur innerhalb einer Demokratie." Und Don Peppino brach mit dem Mythos einer religiösen Mafia, indem er sich der Instrumentalisierung der Religion durch eine mörderische Gewaltpolitik unmissverständlich widersetzte. "An dem Tag", als Don Peppe Diana 1994 von der Camorra ermordet wurde, "traf ich eine Entscheidung." Wie für sein Vorbild kam für Saviano Schweigen nicht infrage.

In liebevollen Hommagen wiederum umreißt der Autor die Beziehung zu seinen Familienmitgliedern. Dass auch ihr Leben durch die Veröffentlichung von Gomorrha in Mitleidenschaft gezogen wurde, lässt sich erraten. Umso herzzerreißender sind die Szenen mit seinem Bruder, die den Comic umrahmen. Mit großer Behutsamkeit führt der Zeichner den künstlerischen Dialog mit dem Autor. Visuelle Metaphern und surreale Bildelemente verschieben das Zwiegespräch zwischen Text und Bild auf eine universelle Ebene.

Roberto Saviano, Asaf Hanuka, "I’m Still Alive. Im Fadenkreuz der Mafia". Aus dem Italienischen von Jörg Faßbender. € 30,90 / 144 Seiten. Cross Cult, Ludwigsburg 2023
Archaia

Bemerkenswerte Resilienz

Dabei ist ein Kunstgriff noch gar nicht erwähnt. Denn zwischen die autobiografischen Episoden ist eine Serie kürzester Interviews gestreut. "Roberto, stellen Sie sich je vor, wie Sie sterben werden?", "Stimmt es (…), dass jemand Ihr Essen vergiften wollte?" Die teils rotzfrechen Fragen sind geradezu richtig, um den Comickünstler aus der Reserve zu locken, der hier mit explosiv-grotesken Bildern aufwartet.

Der Ernst wird mit Überlebenshumor gelöchert: "Um ehrlich zu sein, ich hab mehr Angst davor, dass mir jemand hineinspuckt!" Die widerspenstigen Elemente bringen Savianos bemerkenswerte Resilienz zum Ausdruck und seine Entschlossenheit: "Ich lebe noch, ihr Bastarde!" (Martin Reiterer, 24.9.2023)