Besucher im Wiener Wurstelprater
Der Wurstelprater sollte eigentlich ein Ort harmloser Freuden sein, mitunter wird er aber auch zum blutigen Tatort, zeigt sich im Landesgericht für Strafsachen Wien.
Privat

Wien – Der 1. Mai ist besonders in Wien ein Tag, an dem viel und gerne zu Fuß gegangen wird. Neben dem traditionellen Maiaufmarsch der Arbeiterparteien lockt schließlich auch das Praterfest in den Vergnügungspark. Für Herrn S. und seine beiden Cousins endete dieser Ausflug nun mit einer Anklage wegen schwerer Körperverletzung vor Richterin Anna Marchart. Der 22-Jährige soll bei einem zufälligen Aufeinandertreffen erst seiner Ex-"Schwiegermutter" durch einen Kopfstoß die Nase und dann gemeinsam mit seinen Verwandten ihrem Lebensgefährten Handknochen gebrochen haben.

Noch bevor das Verfahren im neuen Verhandlungssaal 14 des Landesgerichts für Strafsachen Wien beginnt, muss Richterin Anna Marchart angesichts der anwesenden Journalistin und ihres Berufskollegen etwas klarstellen: "Wir haben hier keine Drogenparty gefeiert!", weist sie jegliche Verantwortung für den penetranten süßlichen Geruch im Raum zurück. "Wir liegen direkt über der Verwahrstelle", erklärt sie, wo offenbar beschlagnahmte illegale Rauschmittel nicht luftdicht gelagert werden können.

Von den drei unbescholtenen Angeklagten bekennt sich zunächst nur der Erstangeklagte zum Nasenbeinbruch schuldig. Für die Verletzung des Mannes will jedoch niemand verantwortlich sein. Seine Mandanten seien zwar "anwesend und involviert" gewesen, sagt ihr Rechtsvertreter, sie hätten aber nur schlichtend eingreifen wollen.

Zufälliges Familientreffen 

Richterin Marchart muss nun also versuchen herauszufinden, was genau passiert ist. Der Erstangeklagte erzählt es so: Er habe sich an diesem Tag mit dem Drtittangeklagten, seinem 19-jährigen Cousin, im Prater getroffen, dann sei noch der 22-jährige Zweitangeklagte samt Frau und Kind dazugestoßen. "Ich bin angestanden, um mir was zu essen zu kaufen, da habe ich zufällig meine Ex-Freundin mit unserer Tochter im Kinderwagen gesehen", schildert S. die Situation. Auch sie hatte mit Verwandten einen Ausflug gemacht. "Ich bin hin, um meine Tochter in den Arm nehmen zu können. Meine Ex hat nichts dagegen gehabt, sie hat mir geholfen, hat den Kinderwagen aufgemacht und den Sonnenschirm entfernt", ist der Angestellte sich keiner Schuld bewusst.

Während er sein Kind im Arm hatte, sei die Ex-Partnerin ihn verbal angegangen und habe sich beschwert, dass er sich seit zwei Monaten nicht mehr gemeldet habe und um kein Besuchsrecht für die gemeinsame Tochter angesucht habe. Allerdings: Es bestand eine einstweilige Verfügung gegen den Mann, er durfte sich seiner Ex gar nicht nähern, wie man im Verhandlungsverlauf erfährt.

Dann habe sich die 45-jährige ehemalige "Schwiegermutter" eingemischt. "Sie hat gesagt, ich soll das Kind in Ruhe lassen, und es sei nicht die Zeit und der Ort, um die Probleme zu lösen", erinnert der Erstangeklagte sich. Schließlich habe sie gedroht, die Polizei wegen geplanter Kindesentführung zu alarmieren, was sie tatsächlich machte. Um Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, habe er das Kleinkind daher zurück in den Kinderwagen gelegt und wollte die Örtlichkeit verlassen, behauptet er.

"Schlag zu, wenn du dich traust!"

"Als ich mich umgedreht habe, ist meine Schwiegermutter plötzlich ganz knapp hinter mir gestanden", sagt der großgewachsene, muskulöse 22-Jährige. "Sie hat gesagt: 'Komm, schlag zu, wenn du dich traust!' Das hat mich provoziert. Es ist mir hochgekommen, wie sehr sie gegen mich war, da habe ich ihr einen Kopfstoß verpasst", schildert der Erstangeklagte eher lapidar.

Nach seinem Angriff habe er sofort Schläge auf dem Hinterkopf gespürt, als er sich umwandte, sei dort der Lebensgefährte der "Schwiegermutter" gestanden und habe die Faust geballt gehabt. "Ich habe ihn mit beiden Händen weggeschubst, gestürzt ist er aber nicht", beteuert S., der allerdings zugesteht, dass er und der Kontrahent sich schlagen wollten, von anderen aber zurückgehalten worden seien. Im folgenden Tumult seien zwar beide Männer zu Sturz gekommen, weitere Angriffe habe er aber nicht wahrgenommen. "War das sehr gscheit, was da passiert ist?", will sein Verteidiger Arthur Machac wissen. "Nein", muss der 22-Jährige zugeben. Als Zeichen, dass S. die Tat aber bereut, übergibt Machac der Privatbeteiligtenvertreterin der Frau auch gleich 1.000 Euro in bar als Schmerzengeld.

Die Cousins des Erstangeklagten bleiben dabei: Sie seien erst eingetroffen, als der Tumult schon im Gange war, und hätten nur versucht, die Streitparteien zu trennen. Der Zweitangeklagte gesteht zwar zu, es sei nur möglich gewesen, den 45 Jahre alten "Schwiegervater" zu stoppen, indem er ihm von hinten in die Kniekehlen trat, bis er umfiel, aber zu schweren Verletzungen könne das nicht geführt haben.

Einstweilige Verfügung gegen Kindesvater

Die Gegenseite erzählt eine andere Geschichte: Die Ex-Freundin sagt, sie sei nicht einverstanden gewesen, dass S. die Tochter aus dem Wagen nimmt, habe aber nichts gesagt. Geholfen habe sie aber sicher nicht. "Er spielte dann den großen Papa", hatte die 21-Jährige bei der Polizei gesagt, das habe sie geärgert. "Er hat sich Monate gar nicht um die Kleine gekümmert", moniert sie auch vor Gericht. "Aber er durfte sich Ihnen ja nicht nähern!", wirft Marchart ein. "Aber er hätte ein Besuchsrecht beantragen können. Das hat er auch nicht gemacht." Die junge Frau bestätigt aber, dass sie erfolglos versuchte, ihrer Mutter das Mobiltelefon wegzunehmen, als diese die Exekutive rief, da sie keine Involvierung der Behörden wünschte.

Die "Schwiegermutter" bestreitet jegliche Provokation des Erstangeklagten, sie habe ihn lediglich aufgefordert, das Kind wieder herzugeben. Erst auf Nachfrage von Verteidiger Machac fällt ihr doch noch eine damalige Äußerung zum Erstangeklagten ein: "Egal wo du bist, du machst immer Probleme!", habe sie ihm beschieden. Dabei habe sie bis einige Monate vor dem Vorfall ein gutes Verhältnis zu S. gehabt, aber dann sei die Situation zwischen ihm und ihrer Tochter eskaliert. "Ich habe wirklich Bedenken, wie das weitergeht", verrät sie der Richterin. "Das kann ich Ihnen nicht sagen, mich interessiert das Strafrecht, ich bin keine Familienrichterin", erklärt ihr Marchart dazu.

Sprung, Schläge, Tritte

Ihr Lebensgefährte erzählt, er habe nach dem Angriff auf seine Partnerin S. auf den Hinterkopf geschlagen, um seine Freundin zu beschützen. Dann sei ihn plötzlich der Zweitangeklagte von hinten angesprungen, habe ihn zu Boden gerissen und mit den Fäusten auf ihn eingeprügelt. Als er auf der Erde gelegen sei, hätten ihn mehrere Personen auch getreten, wer, könne er nicht sagen, da er seinen Kopf geschützt habe. Als er sich wieder aufgerappelt hatte, habe ihn auch der Erstangeklagte in den Schwitzkasten genommen und geschlagen. Wann er seine Verletzung genau erlitten hat, weiß er aber nicht.

Der Zweitangeklagte entschließt sich am Ende schließlich, doch Verantwortung zu übernehmen, und will nicht ausschließen, dass er seine Nothilfe ein klein wenig übertrieben und den 45-Jährigen dabei verletzt hat. Das erspart ihm schließlich eine Vorstrafe, er kommt mit einer diversionellen Erledigung davon. S. erhält ein Jahr bedingt, über den 19 Jahre alten Drittangeklagten wird ein Schuldspruch ohne Strafe verhängt. (Michael Möseneder, 22.9.2023)