Egon Schieles
Egon Schieles "Dirne" (1912) wurde aus dem MoMA restituiert. Laut Staatsanwaltschaft besitzt das Aquarell einen Wert von 1,5 Millionen US-Dollar.
AP

In die Causa rund um den einstigen Kunstbesitz des österreichischen Kabarettisten Fritz Grünbaum kam in den letzten Tagen gehörig Bewegung. Genauer in New York, wo die Erben Ende vergangenen Jahres mehrere Institutionen, Museen und Sammler auf die Rückgabe von Werken Egon Schieles verklagten. Zum Auftakt verfügte die Staatsanwaltschaft Manhattan vorvergangene Woche die Beschlagnahme dreier Werke aus den Beständen des Art Institute of Chicago, des Carnegie Museum of Pittsburgh sowie des Allen Memorial Art Museum am Oberlin College in Ohio.

Diese Woche wurde nun die "freiwillige Rückgabe" von sieben Schiele-Werken bekannt, und zwar aus dem Museum of Modern Art, der Morgan Library & Museum (beide New York), dem Santa Barbara Museum of Art in Kalifornien sowie aus zwei Privatsammlungen: aus jener von Ronald S. Lauder, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, und aus dem Nachlass von Serge Sabarsky, dem 1996 verstorbenen, aus Wien gebürtigen Kunsthändler und Sammler.

So ganz aus freien Stücken erfolgte die am Mittwoch im Büro des Bezirksstaatsanwalts in Manhattan als "Feier der Gerechtigkeit" zelebrierte Übergabe an die Erben allerdings nicht. Denn wie der offiziellen Pressemitteilung zu entnehmen ist, waren die sieben Werke zuvor beschlagnahmt worden. Die "Freiwilligkeit" bezog sich folglich eher darauf, dass sich die verklagten Institutionen und Personen wohl keinem kostspieligen Verfahren stellen wollten. Zumindest sechs der sieben Werke, deren Gesamtwert sich Angaben der Staatsanwaltschaft zufolge auf 9,53 Millionen Dollar beliefe, sollen noch heuer zugunsten einer Grünbaum-Stiftung für junge Musiker bei Christie’s versteigert werden. Dem Vernehmen nach dürfte das Auktionshaus davon erst über Medienberichte erfahren haben.

Schicksal der Ermordung

Das grausame Schicksal der Ermordung von Fritz Grünbaum (1941 in Dachau) und seiner Ehefrau Lilly (1942) fand bei der Zeremonie etwas beiläufig Erwähnung. Mehr Raum gab es für das an die "Staatsanwälte und Ermittler der Strafverfolgungsbehörden" gerichtete Lob, die es geschafft hätten, "Verbrechen aufzuklären, die vor über 80 Jahren begangen wurden" – als diese "Kunstsammlung vom Naziregime gestohlen wurde", Grünbaums Ehefrau gezwungen worden sei, die "gesamte Kunstsammlung an die Nazis zu übergeben", die schließlich "im September 1938" bei der Spedition Schenker & Co "beschlagnahmt" worden wäre. So mancher, der bisher in Österreich näher mit der Geschichte der Sammlung Grünbaum befasst war, mag sich angesichts dieser Interpretationen, die auch Grundlage für ein Urteil 2018 waren, etwas verwundert die Augen gerieben haben.

Kurz nachdem die Erben nach Grünbaum das Museum of Modern Art im Dezember 2022 verklagten, verschwand der Eintrag zu Egon Schieles
Kurz nachdem die Erben nach Grünbaum das Museum of Modern Art im Dezember 2022 verklagt hatten, verschwand der Eintrag zu Egon Schieles "Dirne" vom Netz: Angaben zur historischen Provenienz waren dort nicht vermerkt.
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Denn in 25 Jahren intensiver Forschung konnte für exakt diese Argumente kein Nachweis erbracht werden: weder Dokumente zu einer Beschlagnahme oder Sicherstellung im Zeitraum von 1938 bis 1945 noch Hinweise auf einen Verkauf von Werken aus der Sammlung (rund 400, darunter 80 von Schiele) über die im September 1940 gegründete "Verwertungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo".

Angebliche Beschlagnahme

Nichts fand sich von alledem, das sonst die Kriterien für eine Entziehung in der NS-Zeit erfüllt und am österreichischen Kunstrückgabegesetz orientiert eine Restitution jener zwölf Werke Egon Schieles aus der einstigen Sammlung Grünbaum in der Albertina oder dem Leopold-Museum zur Folge gehabt hätte.

Am Beispiel der angeblichen "Beschlagnahme" der Sammlung bei der Spedition Schenker im September 1938 erklärt: Nach Fritz Grünbaums Deportation nach Dachau im Mai 1938 musste seine Ehefrau im Herbst aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen und quartierte sich bei einer Freundin ein. Die Kunstsammlung lagerte sie deshalb bei der Spedition Schenker ein, die am 5. September in ihrem Namen ein Ansuchen um Ausfuhrbewilligung an die Zentralstelle für Denkmalschutz stellte, das drei Tage später auch bewilligt wurde. Warum die Ausfuhr letztlich nicht erfolgte, ist unbekannt.

Wenngleich die Umstände und die Dauer des Verbleibs der eingelagerten Kunstwerke im Dunkeln blieben, fand jedoch keine Beschlagnahme statt, die aktenkundig geworden wäre. Jedoch tauchten 14 Jahre nach der Einlagerung erste Werke auf dem Schweizer Markt auf: über Fritz Grünbaums Schwägerin und Elisabeths Schwester Mathilde Lukacs, die mit ihrem Ehemann 1938 nach Belgien emigriert war.

Österreichische Museen

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist seitens der Grünbaum-Nachfahren weder ein Rückstellungsantrag noch eine Suche nach den Kunstwerken dokumentiert. Allerdings reiste Mathilde Lukacs nach dem Krieg mehrmals nach Wien und nahm Teile der Sammlung an sich. So verkaufte sie von Mai 1952 bis Herbst 1956 beispielsweise 72 Werke Egon Schieles an Kornfeld & Klipstein (Bern).

Selbstporträt Egon Schieles
Auch betroffen: ein Selbstporträt Egon Schieles.
AP/The Morgan Library & Museum

Von dort wurden die ehemaligen Grünbaum-Schützlinge über Privatsammler oder Kunsthändler wie Otto Kallir, der nach New York emigriert war, in die ganze Welt verstreut und landeten in renommierten Museen oder Privatsammlungen: in Österreich etwa in den Beständen des Leopold-Museums und der Albertina, die, wie auch die Republik, ebenfalls verklagt wurden. Ausgang ungewiss, da noch nicht über die Zuständigkeit US-amerikanischer Gerichte entschieden wurde. Leihgaben aus Bundesbesitz in die USA sind derzeit wohl nicht zu empfehlen. (Olga Kronsteiner, 22.9.2023)