Papst Franziskus am Freitag vor dem Abflug nach Frankreich.
Papst Franziskus am Freitag vor dem Abflug nach Frankreich.
via REUTERS/VATICAN MEDIA

Ein Kreuz, ein Herz und ein Anker: Aus diesen schlichten Symbolen besteht das gusseiserne Memorial für "im Meer verschollene Matrosen und Migranten" hoch über Marseille. Papst Franziskus wollte es am Freitagabend zum Auftakt seiner zweitägigen Visite in der südfranzösischen Hafenstadt besuchen. Der Erinnerungsort war 2008 nach dem Tod zweier örtlicher Fischer eingerichtet worden; zwei Jahre später wurde er nach tragischen Schlauchbootunglücken durch das Gedenken an ertrunkene Migranten erweitert.

Dass ihm der Papst die Aufwartung machte, hat seinerseits Symbolwert: Franziskus beschließt an diesem Wochenende die dritten "mediterranen Begegnungen" der katholischen Kirche. Die zwei ersten hatten 2020 in Bari und 2022 in Florenz stattgefunden. Sie widmen sich Themen wie Armut, Klimakrise oder Migration. Der in Algerien geborene Erzbischof von Marseille, Jean-Marc Aveline, hatte im Vorfeld des Papstbesuchs aufgelistet, wie aktuell das Kirchentreffen sei – angesichts des Erdbebens in Marokko, der Flutkatastrophe in Libyen, der Waldbrände in Griechenland, des Wirtschaftselends im Libanon und natürlich des Migranten-Hotspots Lampedusa.

Friedhof Mittelmeer

Franziskus hatte im August selbst kritisiert, dass das Mittelmeer mehr und mehr zum "Friedhof" für Migranten werde. Der 86-jährige Pontifex hatte den Schmelztiegel Marseille, der seit der Römerzeit Eingangstor für Einwanderer ist, nicht zufällig gewählt. Am Samstag wollte er zunächst "schwache" Einwohner in "prekärer" Lage treffen und am Nachmittag im Papamobil über die breite Prado-Avenue fahren, um dann im legendären Stadion Vélodrome vor 57.000 Gläubigen eine Großmesse abzuhalten.

Unter sie wollte sich auch Emmanuel Macron mischen. Seine Präsenz war im Besuchsprogramm des Vatikans genauso wenig vorgesehen wie ein einstündiges Tête-à-Tête des Präsidenten mit Franziskus. Letzterer hatte zuerst abzuwimmeln versucht, indem er erklärte, er komme "nach Marseille, nicht nach Frankreich" – also zu einem rein geistlichen, nicht offiziellen Besuch.

Macron, der den Papst schon dreimal im Vatikan besucht hatte, ließ aber nicht locker. Mit seinem ostentativen Messbesuch setzt er sich bewusst über die Einwände der politischen Opposition hinweg. Der Linksabgeordnete Alexis Corbière erklärte, Macron verstoße gegen das Laizismusgebot der französischen Verfassung: Es erlege gerade dem Staatspräsidenten ein religionsneutrales Verhalten auf.

Macron wusste, dass die in Frankreich sehr strikten Laizisten diesen Einwand erheben würden. Er ließ verlauten, auch Vorgänger wie Charles de Gaulle oder Valéry Giscard d’Estaing hätten Messen besucht. Wie sie werde er auf die Kommunion verzichten, um das Neutralitätsgebot einzuhalten.

Weiter Spagat

Macron hat damit, was er wollte: Er stellt sich in eine Reihe mit betont katholischen Staatschefs, was in Frankreich nicht erst seit de Gaulles Tagen wahlentscheidend sein kann. Mit seinem kontroversen Messbesuch verdrängt der Präsident zudem den Umstand, dass seine Migrationspolitik in klarem Widerspruch zu Franziskus’ Haltung steht. Macron ließ diese Woche durch Innenminister Gérald Darmanin klarmachen, Frankreich werde "keine Migranten" aus den überfüllten Lagern in Lampedusa aufnehmen. Zudem will Macron das Migrationsgesetz verschärfen, bevor die Europawahlen von 2024 anstehen.

Das ist auch eine Antwort an die konservativen Republikaner und die erstarkenden Rechtsextremen von Marine Le Pen, die beide eine Volksabstimmung über das Thema Migration verlangen. Zugleich bemüht sich Macron in Marseille um ein humanitär-soziales Image. Das zwingt ihn zu einem weiten – die antiklerikalen Laizisten sagen: einem sehr katholischen – Spagat zwischen Le Pen und Franziskus. (Stefan Brändle aus Paris, 22.9.2023)