Für jene, die im Leben nicht auf die Butterseite gefallen sind, können Preissprünge bedrohlich sein.
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Franz Sinabell hat ein Hobby, das nicht alltäglich ist. Der Ökonom ist ständig auf der Suche nach dem günstigsten Brot. Das war zuletzt durchaus aufregend – in einem Jahr, in dem die Preise und Gewissheiten in seinem Fachgebiet, der Lebensmittelproduktion, anscheinend aus den Fugen gerieten. Brot hat vor der starken Teuerung 99 Cent gekostet, vergangenen Sommer waren es 1,69 Euro, exakt so viel wie jetzt.

Kakaopulver
750 Gramm sind jetzt im Ovomaltine-Packerl drin, tausend Gramm waren es vor einem Jahr. Macht eine Preissteigerung um bis zu einem Drittel. Bei bestimmtem Waschmittel gibt es für dasselbe Geld oft weniger Waschgänge. Shrinkflation lautet der Begriff für diese Tricks der Hersteller.

Dabei werden manche Lebensmittel schon wieder etwas günstiger. Mit 9,8 Prozent ist die Teuerung in diesem Bereich im August erstmals seit mehr als einem Jahr unter die Zehn-Prozent-Marke gesunken. Wifo-Forscher Sinabell weiß, wie die Sache läuft: Steigen die Agrarrohstoffpreise, wozu etwa Getreide gehört, wird mit Verzögerung auch Brot teurer. Sinken sie, kommt das bei den Konsumenten nicht an. Ein wiederkehrendes Muster. Auch die Butter aufs Brot folgt diesen Gesetzen. Das Viertelkilo Markenbutter ist wieder um 1,40 Euro zu haben. 2,60 Euro waren vor einem Jahr, als die Preise förmlich durch die Decke gingen, keine Seltenheit. Wer ein gutes Gedächtnis hat, weiß: Vor der Krise wurde Butter um 79 Cent verkauft. Butter und Brot sind also günstiger geworden, bleiben aber teuer.

Fatih Aydogdu, Michael Matzenberger, Robin Kohrs, Pauline Reitzer

Alles nicht neu, sagt Forscher Sinabell. Die hohe Inflation hat aber dafür gesorgt, dass sich alle Augen auf einen komplizierten Markt gerichtet haben. Was ist geschehen? Bei den Eigenmarken der Handelsketten, die immer als besonders günstig gepriesen wurden, stiegen die Preise besonders deutlich. Dann waberte erneut die seit Jahren von Verbraucherschützern monierte Differenz zum deutschen Nachbarn hoch: Österreicher zahlen für ihre Lebensmittel um einiges mehr.

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Eines war tatsächlich neu: Plötzlich kosteten Bioprodukte teils weniger als konventionelle Waren. Die Düngemittel, auf die bei Bio weitgehend verzichtet wird, machten den Unterschied. Das ging beinahe unter in den hitzigen Debatten. Verbraucherschützer, Politik, Produzenten und Handel mischten kräftig mit und sparten nicht mit Schuldzuweisungen. Selbstverständlich haben Handelsketten und Produzenten bei der Preisgestaltung freie Hand – aber wer will schon als Abzocker gelten?

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Wer sahnt ab?

Lebensmittel sind lebensnotwendig. Für jene, die im Leben nicht auf die Butterseite gefallen sind, sind die Preissprünge bedrohlich. Selbst in wohlhabenden Staaten kann man da nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die Verbraucher wurden mit Fragen konfrontiert, mit denen sie sich selten beschäftigen. Gibt es ausreichend Wettbewerb trotz hoher Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel? Verdienen sich Unternehmen ein Körberlgeld? Wer gewinnt in der vielgliedrigen Wertschöpfungskette? Der Handel, die Produzenten, die Logistiker?

Fragen, die noch Gegenstand einer großen Branchenuntersuchung durch die Wettbewerbsbehörde sind, die auch die Lieferanten umfasst. Ende Oktober sollen Ergebnisse vorliegen. AK-Verbraucherschützerin Gabriele Zgubic ist gespannt darauf. Sie hat durchaus den Handel im Verdacht, dass die hohen Preise teilweise auch auf sein Konto gehen. Eine erste Antwort gaben jüngst Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) und Natalie Harsdorf-Borsch, interimistische Chefin der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Allen Beteuerungen zum Trotz, dass der Wettbewerb funktioniere, sollen Lebensmittelhändler künftig verpflichtend Preise an private Preisvergleichsplattformen melden müssen. In Israel sei das Preisniveau so um vier bis fünf Prozent gesunken.

Muster bei Preissteigerungen

Vergleichsplattformen verschaffen zumindest den Konsumenten Überblick. Einige erkannten im Handel ein Muster bei Preissteigerungen nach Rabattaktionen. Ist das legal? Preissprünge sind das eine, dass Absprachen dahinterstehen, ist damit nicht gesagt beziehungsweise schwer zu beweisen. Es ist einer der Punkte, den die Wettbewerbsbehörde untersucht. Illegal wäre, würden die Händler im stillen Kämmerlein die Preise absprechen. Für solche Praktiken verhängte die BWB vor Jahren ein Bußgeld von 70 Millionen Euro. Interessant ist aber ein anderer Aspekt – im Fokusbericht der Behörde ist er unter dem Stichwort "Informationsasymmetrie" zusammengefasst. Unternehmen sind gut informiert – besser als Konsumenten. "Mehr Transparenz ist immer gut", sagt AK-Verbraucherschützerin Zgubic.

Fatih Aydogdu, Michael Matzenberger, Robin Kohrs, Pauline Reitzer

Die wünscht sich auch Nina Eichberger. Beim Verein für Konsumenteninformation (VKI) häufen sich Klagen anderer Art. Nicht nur, dass manche Produzenten weniger Inhalt bei gleichem Preis servieren, auch bei den Zutaten werde gespart. Pringels sind für Eichberger der Gipfel: "Die haben von ursprünglich 200 Gramm auf jetzt 185 reduziert in der gleichen Packungsgröße – und jetzt ist Palmöl drin." Bei Kellogg’s verweist man auf die geopolitische Lage, die Beschaffung von Sonnenblumenöl sei schwierig geworden. Ab 2024 will man aber wieder Sonnenblumenöl verwenden. Die Verpackungsgröße passe man hin und wieder an Vertriebskanäle und Essgewohnheiten der Verbraucher an. Spricht man mit Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes, ärgert er sich, dass solche Tricksereien auf dem Negativkonto der Händler verbucht würden. Wie vieles andere auch. Will tischt eine Menge Zahlen auf. Die selbstständigen Kaufleute, die Verluste schrieben, die niedrigen Margen, die vielen Rabatte, die Marktkonzentration in anderen Ländern. Zahlen, die er als Beleg dafür sieht, dass der Handel zu Unrecht an den Pranger gestellt werde. "Bedrückend und betrüblich" sei das, sagt Will.

Früher waren 200 Gramm in der Röhrendose der Pringles-Chips, heute sind es nur noch 185 Gramm. Dazu kommt: Sonnenblumenöl wurde gegen Palmöl ausgetauscht. Skimpflation nennt sich diese Knauserei.
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Der Ökonom Franz Sinabell wird weiter das günstigste Brot suchen und die Preise für Butter aus dem Stegreif referieren. Sein Gedächtnis ist nicht so kurz wie das der meisten. Frankreich etwa habe seit Jahren ein ausgefeiltes Preismonitoring, in Österreich gab es Ansätze. "Jetzt ist wieder der Punkt erreicht, wo alle sagen, wir müssen etwas tun." Nur seien solche Systeme aufwendig und kostspielig. Bis sie startklar seien, werde auch die Inflation wieder gesunken sein, sagt Sinabell. "Dann interessiert das keine Katz mehr." (Text: Regina Bruckner, GRAFIKEN: Fatih Aydogdu, Michael Matzenberger, Robin Kohrs, Pauline Reitzer, 24.9.2023)