Marvin Spindler vom Zirkus Safari steht in der Manege und jongliert mit Kegeln.
Marvin Spindler jongliert, ist Clown und arbeitet mit Tieren. Das Programm im Zirkus muss jährlich neu gestaltet werden. Auch weil die Konkurrenz im Zirkusgeschäft immer größer wird.
HO / Christian Parragh

Ein lauer Wind weht durch die Manege. Da, wo sonst das Publikum sitzt, sitzt Marvin Spindler, Clown und Jongleur des familieneigenen Zirkus Safari. Wie ist das Leben im Zirkus? Wie die Konkurrenz im Business? Ein Gespräch über ein etwas anderes Leben.

STANDARD: Das Leben im Zirkus in wenigen Worten zusammengefasst ...

Spindler: Speziell. Anders. Freier.

STANDARD: Was macht es speziell?

Spindler: Du lebst nicht in einer Wohnung oder in einem Haus und gehst jeden Abend nach Hause. Man kann sich selber einteilen, was man wann und wo macht. Mal hat man um 20 Uhr Feierabend, dann wieder erst um ein Uhr morgens.

STANDARD: Gibt es beim Leben auf Achse auch die Sehnsucht nach einem fixen Zuhause?

Spindler: Nein, weil wir es gar nicht anders kennen. Wir kennen ja nur das Reisen. Für uns ist es schön so.

STANDARD: Wie finanziert sich ein Zirkus? Nur aus Ticketverkäufen und Popcorn, oder gibt es noch andere Einnahmequellen?

Spindler: Nein. Nur Tickets, Popcorn, Getränke, kleine Souvenirs. Hauptsächlich finanzieren wir uns über die Tickets. Wenn etwa im Sommer die Zuschauer ausbleiben, dann sieht es schlecht aus.

STANDARD: Wie kommt man dann über die Runden?

Spindler: Hoffen. Wenn keine Gäste kommen, wird es eng. Die Gäste ermöglichen uns unseren Lebensstandard. Kommt über eine längere Zeit niemand, wüssten wir auch nicht, was wir machen sollen.

STANDARD: Wie war das während der Pandemie?

Spindler: Wir hatten keine Zuschauer, keine Einnahmen. Wir wurden dann irgendwann auch von dem Platz verwiesen, auf dem wir damals gestanden sind. Wir haben zum Glück viel Hilfe bekommen von den Anwohnern. Es gab Futterspenden – auch Sachspenden und finanzielle Hilfe von der Bevölkerung. Das hat uns damals das Überleben gesichert.

STANDARD: Wer entscheidet, wann ihr wo euer Zelt aufschlägt? Buchen euch die Gemeinden, oder muss man sich immer selbst um den nächsten Standort kümmern?

Spindler: Meistens entscheiden wir selber. Wir schauen uns verschiedene Flächen an und müssen dann anfragen, ob wir das Okay dafür bekommen. Wir schauen, wie groß die Stadt oder der Ort ist, und überlegen, wie lange es sich dort rentiert, Shows zu machen. Wir müssen ja darauf achten, dass genug Gäste kommen. Wenn man außerhalb von Wien acht Wochen gastiert, wird bei den Shows nicht viel los sein. Da reichen oft drei Wochen spielen, und dann ziehen wir weiter.

STANDARD: Wie groß ist euer Zirkus?

Spindler: Wir sind ein klassischer Familienbetrieb. Mein Opa hat den Zirkus vor mehr als 25 Jahren in Berlin gegründet.

STANDARD: Hat die nächste Generation Interesse daran, das Zirkusleben weiterzuleben?

Spindler: Das wissen wir noch nicht. Aber aus der Erfahrung ist es so, dass die Jungen das dann weitermachen. Wir wachsen ja so auf. Da ist man mit zwei oder drei Jahren das erste Mal in der Manege. Und dann ist mal drinnen. Wenn du einmal Sägespäne im Schuh hattest, dann kriegst du die nicht mehr heraus.

STANDARD: Mit zwei Jahren in der Manege, permanent auf Reisen mit Kindern. Wie löst man das Thema Schule?

Spindler: Die Kinder gehen immer dort zur Schule, wo sie gerade sind. Wechselt der Zirkus die Stadt, wechseln die Kinder die Schule. Sie müssen sich halt mehr anpassen an den Stoff, der gerade durchgenommen wird. Aber das geht schon.

STANDARD: Gibt es keine Debatte darüber, ob kleine Kinder schon in der Manege stehen dürfen/sollen?

Spindler: Es gibt hier ja überhaupt keinen Zwang. Wir haben aktuell einen Dreijährigen, wenn der mitmachen will, dann macht er mit. Wenn nicht, bleibt er im Wohnwagen. Wenn man jemanden zwingt, hat er später auch keine Lust darauf. Wenn ein Kind nicht will, dann will es eben nicht.

STANDARD: Muss jeder von euch aktiv in der Manege mitmachen? Oder kann man sich auch für Aufgaben entscheiden, die im Bereich der Organisation liegen, die Buchungen der Standplätze, Marketing etc.?

Spindler: Nicht jeder, der bei uns ist, arbeitet in der Show mit. Man sieht in der Manege ja, ob jemand nicht mit vollem Herz dabei ist. Das fällt dem Publikum auch auf. Es gibt auch welche, die vom Zirkus weggehen und etwas anderes machen.

STANDARD: Wie bucht man Attraktionen? Wie lange behält man diese in der Show? Wie oft muss hier das Angebot geändert werden?

Spindler: Wir studieren selber viele Nummern ein und überlegen auch immer, was wir neu machen. Würden wir immer nur das Gleiche machen, kämen irgendwann keine Leute mehr. Und ohne Leute keine Tickets. Ohne Tickets kein Geld – dann wird es schwer. Wir überlegen uns jedes Jahr etwas Neues. Wir schauen uns natürlich auch bei anderen Anbietern um, schauen im Internet – lassen uns inspirieren. Sucht man etwas Spezielles wie die Todeskugel, schaut man halt, wer wen kennt, und besorgt sich Kontakte.

STANDARD: Was macht heute die Faszination Zirkus aus? Im Zeitalter von Handy und Playstation.

Spindler: Zirkus ist etwas ganz anderes. Das gibt es in der täglichen Routine der Kinder nicht. Es ist etwas komplett anderes, was nicht dem Alltag entspricht. Wir merken aber auch, dass weniger Jugendliche kommen. Eigentlich gar nicht mehr. Es kommen Eltern mit jüngeren Kindern, so bis zehn, zwölf Jahren. Die Gruppe von dreizehn bis achtzehn, neunzehn ist bei uns nicht mehr zu sehen.

STANDARD: Wo tourt ihr hauptsächlich?

Spindler: Hauptsächlich in Österreich. In Deutschland waren wir schon fast 30 Jahre nicht mehr. Wir waren auch schon mal zwei Jahre in Slowenien und dreimal für eine Saison in Kroatien. Als Nächstes gastieren wir in Floridsdorf, im Winter werden wir in Graz sein.

STANDARD: Wie groß ist denn die Konkurrenz im Zirkusgeschäft?

Spindler: Groß. Und sie wird immer größer. Früher konnte man in Österreich entspannt seine Route fahren. Jetzt wird der Konkurrenzkampf immer größer.

STANDARD: Dass Zirkus ein expandierendes Business ist, hätte ich jetzt nicht gedacht. Stichwort Playstation und Co ...

Spindler: Es gibt in Deutschland sehr viele Zirkusse. Viele davon kommen jetzt auch nach Österreich. Daher müssen wir auch besser koordinieren, wo wir als Nächstes hinfahren. Wenn wir uns einen Platz aussuchen, wo erst vier Wochen davor ein Zirkus war, kommt ja keiner mehr. Zudem wird alles teurer, die Leute schauen mehr auf ihr Geld. Das merken wir auch. Nach Corona haben wir bemerkt, dass die Leute kommen, weil sie wieder was erleben wollten. Jetzt merken wir, dass die Leute mehr auf das Geld schauen müssen.

Marvin Spindler vom Zirkus Safari steht in der Manege als Clown verkleidet. In seinem grünen Gewand streckt er die Arme nach oben.
"Wenn die Leute nicht mehr lachen würden und ich keinen Applaus mehr bekommen würde – das wäre fatal", sagt Marvin Spindler vom Zirkus Safari.
HO / Christian Parragh

STANDARD: Auf eurer Homepage steht, dass ihr das größte Zirkuszelt in Österreich besitzt. Wie lange dauert es, bis das Zelt, das mehreren Hundert Menschen Platz bietet, auf- und abgebaut ist?

Spindler: Das kommt darauf an, wie viele mithelfen. Mit ein paar Erwachsenen ist alles in drei Tagen weg.

STANDARD: Müsst ihr Standgebühr für eure Plätze zahlen?

Spindler: Ja.

STANDARD: Wie hoch ist die?

Spindler: Hoch. Mal höher, mal niedriger. In Wien hoch. Eine vierstellige Summe pro Monat war es zuletzt für einen Standort in Wien.

STANDARD: Ihr seid ein Zirkus, der immer noch Tiere hat. Dafür steht ihr oft in der Kritik. Was haltet ihr Kritikern entgegen?

Spindler: Jeder, der etwas gegen die Tiere sagt, soll bitte herkommen und sich ein eigenes Bild machen. Unseren Tieren geht es gut. Wir haben größere Boxen für die Tiere, als im Gesetz vorgeschrieben ist. Wir haben ein großes Gehege, haben im Gehege in Wien zuletzt fast sieben Tonnen Sand aufgeschüttet, damit der Boden für die Tiere weicher ist. Es ist immer genug Futter da. Amtsärzte, Tierärzte schauen regelmäßig vorbei. Auf jedem Platz werden wir neu kontrolliert.

STANDARD: Verstehen Sie die Kritik? In Frankreich etwa sind Tiere im Zirkus ja bereits verboten.

Spindler: Es gibt immer Leute, die dafür oder dagegen sind. Kritiker gibt es immer. Ich kann mich nur wiederholen: Unseren Tieren geht es so. Viele Tiere leben schon ihr ganzes Leben bei uns. Schauen wir uns mal die Situation mit Haustieren an. Da leben Hunde auch oft in Einzimmerwohnungen.

STANDARD: Ihr habt aktuell zwei Pferde verkauft. Warum?

Spindler: Das waren unsere beiden ältesten Pferde, die jetzt quasi in Pension sind und auf einem Hof untergekommen sind.

STANDARD: Euer Programm ist ein Mix aus Clowns, Akrobatik, Tiere – kommt jede Nummer überall gleich gut an?

Spindler: Das ist von Stadt zu Stadt und von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich. In Wien rastet das Publikum oft aus, jubelt und pfeift. In Graz ist das schon anders. Da gibt es viel Applaus. Die jubeln weniger, dafür ist der Applaus lauter. Du merkst auch, wer in welcher Stadt besser ankommt. Man merkt bei den ersten zwei, drei Nummern, wie das Publikum ist. Der Clown muss versuchen, bei seiner ersten Nummer das Publikum auf seine Seite zu reißen. Gelingt das nicht, bekommt er das Publikum fast nicht mehr.

STANDARD: Der Clown ist also das Stimmungsbarometer?

Spindler: Auf jeden Fall.

STANDARD: Gibt es eine Location, von der ihr träumt?

Spindler: Nein. Ich bin gerne in Wien und Graz. In Klagenfurt waren wir schon länger nicht mehr, das war auch immer toll. Kroatien war auch sehr schön, am Meer.

STANDARD: Was ist der Traum eines Zirkusclowns?

Spindler: Die Leute zum Lachen zu bringen. Wenn die Leute nicht mehr lachen würden und ich keinen Applaus mehr bekommen würde – das wäre fatal. Es sollen immer genug Gäste kommen, damit man genug zum Leben hat und man den Alltag finanzieren kann.

STANDARD: Neben Geld lebt ein Künstler auch vom Applaus und der Zuneigung vom Publikum. Wie ist das in den spielfreien Wochen – vermisst man den Applaus?

Spindler: Die ersten zwei Stunden vielleicht nicht. Dann schon. Ich stehe sehr gerne in der Manage. Das fehlt einem dann schon.

STANDARD: Welche Frage ist die, die den Zirkusleuten nie gestellt wird?

Spindler: Wie es uns eigentlich geht.

STANDARD: Also: Wie geht es euch?

Spindler: Aktuell gut. Wir haben neben schönen auch schlechte Tage. Für die Show ist das dann aber egal: Dann muss man performen.

STANDARD: Wie geht ein Clown in Pension?

Spindler: Gar nicht. Daran denke ich noch gar nicht. (Bettina Pfluger, 24.9.2023)