Tigist Assefa
Tigist Assefa und ihre Siegerinnenzeit im Berlin-Marathon, mit der sie Sportgeschichte geschrieben hat.
AP/Markus Schreiber

Von einer durchbrochenen Schallmauer ist im Sport gern die Rede, so eine bestimmte Marke erreicht, übertroffen oder unterboten wird. 2:14 Stunden, das wäre im Marathon so eine Schallmauer gewesen, stand doch der Weltrekord der Frauen bis Sonntag bei 2:14:04. Gehalten wurde er seit Chicago 2019 von der Kenianerin Brigit Kosgei. Ginge man im Minutentakt weiter, so wäre bei 2:13 die nächste Schallmauer gefallen, bei 2:12 die übernächste. Wobei eine Minute im Marathon schon alles andere als ein Klacks ist. Doch am Sonntag war die 26-jährige Äthiopierin Tigist Assefa beim Berlin-Marathon in 2:11:53 Stunden im Ziel. Zwei Stunden, elf Minuten, 53 Sekunden, man fasst es nicht.

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Auch Julia Mayer hat es nicht gefasst. "Von dieser Zeit bin ich fast ein bissl geschockt", sagt Österreichs schnellste Marathonläuferin, die heuer in Wien nach 2:30:42 ankam und damit die bisherige Bestmarke von Andrea Mayr um eine Sekunde verbesserte. Eine Sekunde, das ist knapp, aber vergleichsweise normal. Eine Verbesserung des Weltrekords um zwei Minuten und elf Sekunden? "Völlig bizarr", sagt Mayer (30) dem STANDARD. "Eigentlich unvorstellbar. Eine Zeit, für die sich viele Männer sehr plagen."

Drei flotte(re) Österreicher

Tatsächlich sind, nur zum Beispiel, erst drei Österreicher schnellere Marathons gelaufen als Tigist Assefa. Nämlich Rekordhalter Peter Herzog (2:10:06, 2020), Lemawork Ketema (2:10:44, 2019) und Günther Weidlinger (2:10:47, 2009). Am Sonntag waren nur 28 Männer flotter als die Siegerin, allen voran der Kenianer Eliud Kipchoge, der zum fünften Mal in der deutschen Hauptstadt siegte, aber mit 2:02:42 recht klar über seinem Weltrekord von Berlin 2022 (2:01:09) und im Schatten Assefas blieb.

Julia Mayers Prognose: "Dieser Rekord wird sehr lange stehen."
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Diesen neuen Weltrekord, eine derartige Zeit, hätte Mayer "nie für möglich gehalten. Für mich ist das die beste Leistung, die je ein Mensch im Marathon erbracht hat. Als Frau eine 2:11 zu laufen – das steht über allem, auch über dem Männer-Weltrekord. Das ist auch höher einzustufen als die 1:59, die Kipchoge auf der Hauptallee gelaufen ist."

Assefa kommt von der 800-m-Strecke, da hatte sie 2014 eine Bestmarke von 1:59:24 Minuten. Zum Vergleich der ÖLV-Rekord von Stephanie Graf: 1:56:64. Vor fünf Jahren wechselte die Äthiopierin auf die Langstrecke, im Marathon blickt sie auf ähnlich viel Erfahrung zurück wie Julia Mayer.

Rekord für die Ewigkeit?

Der Weltrekordlauf am Sonntag war erst ihr dritter Marathon, allerdings hatte sie in ihrem zweiten, 2022, schon Streckenrekord in Berlin erzielt – 2:15:37. Bedeutet also binnen Jahresfrist eine Steigerung um drei Minuten und 44 Sekunden. Mayer prognostiziert: "Dieser Rekord wird sehr lange stehen. Es ist fraglich, ob da überhaupt jemals wer herankommen kann."

Mayer freut sich, wenn Frauensport generell und Frauenmarathon speziell mehr Aufmerksamkeit bekommen. Gleichzeitig sagt sie: "Die Afrikanerinnen laufen in einer anderen Welt, sind für mich kaum relevant." Sie orientiere sich an skandinavischen oder deutschen Läuferinnen. "Da weiß ich, die haben die gleichen Voraussetzungen, und da seh ich, was auch für mich möglich ist." Das meint etwa die Deutsche Domenika Mayer, die zweifache Mutter ist, 2022 ihr Marathondebüt gab und am Sonntag in Berlin in 2:23:47 klar das Olympialimit für Paris 2024 unterbot.

Paris ist auch Mayers erklärtes Ziel. Im Dezember in Valencia will sie die Qualifikation schaffen, die bei 2:26:50 völlig außer Streit stünde. Mayer traut sich das auf Sicht jedenfalls zu, das erklärte Ziel ist aber zunächst eine Zeit unter 2:30. Persönliche Schallmauer quasi. (Fritz Neumann, 25.9.2023)