Über fünf Jahrhunderte lang – bis um das Jahr 1200 vor unserer Zeitrechnung – bildete das Reich der Hethiter eine der großen Mächte der antiken Welt. Während der glanzvollen Zeit des sogenannten Neuen Reiches wurden die Hethiter, die weite Teile der heutigen Türkei und Teile von Syrien und dem Irak beherrschten, zu den wichtigsten geopolitischen Rivalen des alten Ägypten. Hattuša war vom späten 17. bis zum Anfang des zwölften Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung die Hauptstadt dieses Reiches.

Rund um das Jahr 1200 vor unserer Zeitrechnung war es damit allerdings vorbei. Doch nicht nur das Reich der Hethiter ging unter. Mehrere andere bedeutende Kulturen im Nahen Osten und im östlichen Mittelmeerraum erlebten einen schweren Schlag. Das stabile internationale System der späten Bronzezeit brach mit einem Mal zusammen, nachdem es mehrere Jahrhunderte bestanden hatte – vermutlich auch wegen einer längeren Trockenperiode in den Jahren 1196 bis 1198 vor unserer Zeitrechnung, wie eine "Nature"-Studie im Frühjahr dieses Jahres nahelegte.

Mit dem Kollaps ging aber auch das Wissen um die Hethiter nach und nach verloren. Das änderte sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Im Zuge der Grabungen nahe dem türkischen Ort Boğazkale in Zentralanatolien, etwa 180 Kilometer östlich von Ankara, fand der deutsche Altorientalist Hugo Winckler Tafeln, die in Keilschrift und einer unbekannten Sprache abgefasst waren. Sie belegten, dass an dieser Stelle ursprünglich die Stadt Hattuša gestanden war, die das Zentrum des Hethiterreichs bildete.

30.000 gefundene Tontafeln

In den über 100 Jahren, in denen hier in der nördlichen Zentraltürkei Ausgrabungen durchgeführt wurden, sind fast 30.000 Tontafeln mit Keilschrift gefunden worden. Diese Tafeln, die 2001 in das Unesco-Weltdokumentenerbe aufgenommen wurden, liefern reichhaltige Informationen über die Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft und nicht zuletzt die religiösen Traditionen der Hethiter und ihrer Nachbarn.

Keilschrift Hattusa Hethiter
Fundstelle der Keilschrifttafel mit dem Ritualtext in (bisher) unbekannter Sprache.
Andreas Schachner

Jährliche Forschungen unter der Leitung des deutschen Archäologen Andreas Schachner, des derzeitigen Leiters der Ausgrabungsstätte und der Istanbuler Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, erweitern die Keilschriftfunde kontinuierlich. Die meisten Texte sind in hethitischer Sprache verfasst, der ältesten bezeugten indogermanischen Sprache und der vorherrschenden Sprache an diesem Ort. Doch die Ausgrabungen dieses Jahres brachten eine Überraschung zutage. In einem Ritualtext, der in hethitischer Sprache verfasst ist, versteckt sich eine Rezitation in einer bisher unbekannten Sprache.

Sprache von Kalašma

Daniel Schwemer (Universität Würzburg), der die keilschriftlichen Funde der Ausgrabung bearbeitet, berichtet, dass der Text dieses Idiom als die Sprache des Landes Kalašma bezeichnet, einer Gegend am nordwestlichen Rand des hethitischen Kernlands, wahrscheinlich in der Gegend des heutigen Bolu oder Gerede.

Die Entdeckung einer weiteren Sprache in den Archiven von Hattuša kam nicht völlig unerwartet, wie Schwemer erklärt: "Die Hethiter waren in einzigartiger Weise daran interessiert, Rituale in fremden Sprachen aufzuzeichnen. Ritualtexte, die von Schreibern des hethitischen Königs verfasst wurden, spiegeln verschiedene anatolische, syrische und mesopotamische Traditionen und sprachliche Milieus wider."

Diese Ritualtexte geben wertvolle Einblicke in die wenig bekannten sprachlichen Landschaften des spätbronzezeitlichen Anatolien, wo nicht nur Hethitisch gesprochen wurde. So enthalten Keilschrifttexte aus Boğazkale-Hattuša Passagen in Luwisch und Palaisch, zwei weiteren anatolisch-indoeuropäischen Sprachen, die eng mit dem Hethitischen verwandt sind, sowie in Hattisch, einer nichtindoeuropäischen Sprache. Jetzt kann die Sprache von Kalašma zu diesen Sprachen hinzugefügt werden.

Ähnlich dem Luwischen

Da der "Kalašma-Text" in einer neu entdeckten Sprache geschrieben wurde, ist er noch weitgehend unverständlich. Schwemers Kollegin Elisabeth Rieken (Philipps-Universität Marburg), eine Spezialistin für altanatolische Sprachen, hat bestätigt, dass das Idiom zur Familie der anatolisch-indoeuropäischen Sprachen gehört. Laut Rieken scheint der Text trotz seiner geografischen Nähe zum palaischen Sprachgebiet mehr Merkmale mit dem Luwischen zu teilen.

Wie eng die Sprache von Kalašma mit den anderen luwischen Dialekten des spätbronzezeitlichen Anatolien verwandt ist, wird nun Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. (red, tasch, 25.9.2023)