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Annekathrin Kohout weiß, wovon sie spricht. Sie hat ein Faible für Katzen – das sieht man ihrem Arbeitszimmer an. Die deutsche Kunstwissenschafterin ist für unser Gespräch über Video zugeschaltet, hinter ihr steht ein Katzenbaum. Ein Tier lässt sich während des einstündigen Gesprächs allerdings nicht sehen.

STANDARD: In Österreich ist sie das populärste Haustier: Wieso ist die Katze so beliebt?

Annekathrin Kohout: Auch wenn das keine sehr originelle Antwort ist: Die Katze ist besonders pflegeleicht, sie gilt als autonom und gelassen. Sie ist wohl das unabhängigste aller Haustiere. Heute kommt hinzu, dass sie ein Symbol für Internetkultur geworden ist. Katzenvideos, -bilder oder -Memes haben Internetgeschichte geschrieben. Sie gehören zum festen Kanon der Netzkultur. Sprechen wir heute von Katzen, denken wir das alles mit.

STANDARD: Warum kann der Hund im Netz nicht mithalten?

Kohout: Das ist eine gute Frage, die mir immer wieder gestellt wird. Ein Hund ist über seine Rasse semantisch vordefiniert. Es gibt Wachhunde, Jagdhunde, Schoßhunde, ihr Verhalten lässt sich nicht so leicht entschlüsseln. Katzen hingegen sind semantisch sehr frei. Egal, ob Rasse- oder Hauskatze – sie ähneln sich in ihrem Verhalten und in ihren Bewegungsabläufen.

STANDARD: Sie werden überall auf der Welt verstanden?

Kohout: Richtig, ich folge vielen Katzen-Accounts aus Japan oder Südkorea, die mir dennoch nicht fremd erscheinen. Der Hund steht außerdem eher für Domestizierung als für Autonomie. Während Katzen vor der Kamera oft unkontrollierbar witzige Dinge tun, ist das bei Hunden nicht so der Fall. Ein lustiges Hunde-Video zu machen ist schwieriger. Aber es gibt sie natürlich trotzdem!

STANDARD: Warum ist ausgerechnet die Katze zum Star geworden?

Kohout: Die Katze wird in der Popkultur stark vermenschlicht. Das ist aber nicht bloß menschlicher Chauvinismus. Wir wollen der Katze nicht nur unsere Eigentümlichkeiten auferlegen, sondern auch etwas von der Autonomie und vom Charme der Katze in uns selbst sehen. Denken Sie nur an Garfield. Die Comicfigur verkörpert menschliche Eigenarten und Laster. In Gestalt der Katze sind aber Schrulligkeiten erlaubt, die sonst eher beäugt werden. Daher können sie einfach gut zum Thema gemacht werden.

Der Zeichentrickkater Garfield wird für seine Launen geliebt.
Der Zeichentrickkater Garfield wird für seine Launen geliebt.
imago/United Archives

STANDARD: Garfield mag Lasagne und Fernsehen, hasst Bewegung und ist ziemlich selbstsüchtig. Können wir mit ihm über unsere Schwächen lachen?

Kohout: Vielleicht amüsieren wir uns auch über seinen gelassenen Umgang mit Schwächen und Fehlern. In vorchristlicher Zeit wurde die Katze in Ägypten für ihren Gleichmut verehrt, ebenso in China und in arabischen Ländern. In Serien wie Garfield wird diese Zuschreibung fortgesetzt.

STANDARD: Taylor Swift postet auf Instagram Katzen-Selfies, der expressionistische Künstler Ernst Ludwig Kirchner hat sich schon vor hundert Jahren mit seiner Katze porträtiert. Die Vorstellung von der Katze als Alter Ego ist nicht ganz neu, oder?

Kohout: Menschen verwenden seit jeher Attribute, um auf Bildern ihre Persönlichkeit auszudrücken. Schaut man in der Kunstgeschichte zurück, stellt man fest, dass sie fester Bestandteil von Selbstporträts sind. Das gilt auch für heutige Selfies. Taylor Swift zeigt sich als prominente Person mithilfe ihrer Haustiere von einer privaten Seite. Das hat Tradition: In der Zeit der Industrialisierung setzte man in der Kunst der Disharmonie des urbanen Lebens mit der Katze etwas Heimeliges entgegen. Dazu kommt heute aber auch, dass Frauen die Katze seit einiger Zeit als feministisches Attribut einsetzen – so wie die Rapperin Doja Cat.

Rapperin Doja Cat kam zur Met-Gala im Katzen-Outfit.
Rapperin Doja Cat kam zur Met-Gala im Katzen-Outfit.
IMAGO / Doug Peters

STANDARD: Karl Lagerfeld wollte seine Katze sogar heiraten!

Kohout: Lagerfeld hat sich mit Choupette einmal mehr als Individualist inszeniert. Bei ihm wurde die Perserkatze mit ihrem weißen Fell zum Signature-Piece.

STANDARD: Am Erfolg der Katze im Internet dürfte ihre Niedlichkeit nicht unschuldig sein.

Kohout: Wir konsumieren im Internet Unmengen an negativen Nachrichten, sind umgeben von polarisierenden Debatten und gehässigen Kommentaren. Niedlicher Content bietet eine Art Erholung von diesen Inhalten, dazu gibt es mittlerweile auch Studien. Mithilfe von Cat-Content kann man den Debatten und Diskursen, der Schwere des Weltgeschehens entfliehen. Und sich auf Alltagserfahrungen, die kleinen banalen Dinge konzentrieren. Daneben befriedigt die Beschäftigung mit Katzen im Netz unser Bedürfnis nach Heimeligkeit, Intimität und Nähe. Besonders Videos, die haptische Qualitäten haben, helfen uns über die digitale Distanz hinweg.

Mithilfe von Cat-Content kann man den Debatten und Diskursen, der Schwere des Weltgeschehens entfliehen.
IMAGO/NurPhoto

STANDARD: Warum wurde das Niedliche lange nicht ernst genommen?

Kohout: Im intellektuellen und wissenschaftlichen Bereich ging es seit dem 19. Jahrhundert vor allem um das Schöne und Erhabene. Niemand wäre darauf gekommen, sich mit Niedlichkeit auseinanderzusetzen. Als vermeintlich kleine weibliche Ästhetik wurde sie der großen männlichen Ästhetik programmatisch gegenübergestellt. Mittlerweile werden diese Vorstellungen auf verschiedenen Ebenen aufgelöst. Man hinterfragt Geschlechterzuschreibungen, und die Grenzen zwischen High und Low, zwischen Popkultur und Hochkultur erodieren so langsam. Damit geht auch eine Neubewertung des künstlerischen Kanons einher. Viele Arbeiten junger Künstlerinnen und Künstler fordern geradezu dazu auf, Phänomene wie das Niedliche neu zur Disposition zu stellen. In der Alltags- und Popkultur hatte sie hingegen schon immer einen hohen Stellenwert.

STANDARD: Wieso ist das so?

Kohout: Das Niedliche zieht schnell Aufmerksamkeit auf sich. Wenn einen in einem Supermarktregal ein Tier mit großen Kulleraugen anschaut, reagiert man sofort – und greift zum Produkt. Die Katze entspricht der perfektionierten Konsumästhetik.

STANDARD: Im Internet sind in den Zehnerjahren Katzen wie Grumpy Cat oder Choupette zu Stars geworden. Wie konnte das passieren?

Kohout: Das hat individuelle Gründe. Grumpy Cat sah aufgrund eines genetischen Effekts missmutig aus. Sie hatte einen Wiedererkennungswert. Und sie eignet sich ziemlich gut als Kommentar zu allem, was in der Gegenwart passiert. Die Internetkultur ist eine Reaktionskultur, man kommentiert und kontextualisiert Dinge neu. Choupettes Prominenz war natürlich in erster Linie der Bekanntheit Karl Lagerfelds zu verdanken.

STANDARD: Sie lebt nach dem Tod ihres Herrchens auf Instagram weiter.

Kohout: Und nicht nur sie. Heute gibt es unzählige erfolgreiche Katzen-Accounts. An ihnen lässt sich illustrieren, wie schnell sich in der Netzkultur Genres entwickeln und ein erfolgreiches Motiv zum Vorbild werden kann. Dazu gehört auch, dass letztlich nur ein Bruchteil der Katzen-Accounts wirklich erfolgreich ist.

STANDARD: Im Internet ging es schon in den 1990er-Jahren mit dem Cat-Content los. Waren Katzen das naheliegendste Objekt für Experimente im Netz, weil sie auf dem Sofa lagen?

Kohout: Da kann man nur spekulieren. Die Katze ist natürlich auch für Programmiererinnen und Programmierer ein geeigneteres Haustier als der Hund. Die frühe Internet- und Nerdkultur ist allerdings verschränkt mit einem Popkultur-Enthusiasmus. Wahrscheinlich handelt es sich bei jenem frühen Cat-Content bereits um popkulturelle Verweise. Heute kann man oft beobachten, wie mit Cat-Content ehemalige Hochkultur entthront wird. Auf dem Instagram-Profil Fat Cat Art wird zum Beispiel eine beleibte rothaarige Katze in die Meisterwerke der Kunstgeschichte montiert – von den Gemälden Leonardo da Vincis bis zu Edward Hopper.

STANDARD: Sah Cat-Content früher anders aus als heute?

Kohout: In der Anfangszeit dominierten zufällig entstandene Amateurvideos. Heute ist das Genre professionalisiert und ökonomisiert, Menschen kaufen sich eine Katze, um einen Social-Media-Star aufzubauen. Viele Inhalte wiederholen sich deshalb auch. Sie haben das Ziel, Likes zu generieren oder Haustiernahrung zu verkaufen. Und natürlich ist Cat-Content ein Schlagwort geworden. Wir verwenden es als Beispiel für eine kommentierende, augenzwinkernde, ironisierende, Problemen ausweichende Netzkultur.

STANDARD: Für welche Social-Media-Kanäle eignet sich die Katze?

Kohout: Für alle, würde ich behaupten. Auf Tiktok gibt es extrem viele Katzenvideos, die noch standardisierter sind als Beiträge auf Instagram. Sie werden mit Musik unterlegt und dürften aufgrund ihrer Kurzweiligkeit der Plattform Youtube den Rang abgelaufen haben. Ich glaube jedenfalls nicht, dass der Hype um die Katze in absehbarer Zeit ein Ende findet.

STANDARD: Die Katze hat lange polarisiert. In Japan ist das Gegenstück zur glückbringenden Winke-Katze Maneki-neko die Katzendämonin Bakeneko. Im Mittelalter wurden Katzen in Europa sogar verbrannt. Ist sie heute nurmehr das süße Kuschelwesen?

Kohout: Nun, im Netz tauchen immer wieder aus dem Nichts skurrile Subkulturen auf, daher kann ich das nicht ausschließen. Aber im Großen und Ganzen spielt die Dämonisierung des Tiers keine Rolle mehr. Katzen gelten als niedlich, ironisch, witzig. Sie stehen für Unbeschwertheit und Sensibilität.

Katzengöttin Bastet trägt Nasenring.
Katzengöttin Bastet trägt Nasenring.
Album / Oronoz

STANDARD: Die ägyptische Katzengöttin Bastet stand schon vor 9000 Jahren für Fruchtbarkeit, aber auch für Sexualität. Und heute?

Kohout: Die Analogie von Katze und Frau gibt es auch heute noch. Während im Rokoko Künstler wie Fragonard die Katze als erotisches Attribut verwendeten, kann man das Spiel der Rapperin Doja Cat mit der erotischen Seite der Katze als popfeministisch bezeichnen. Sie macht sich den männlichen Blick auf den weiblichen Körper zu eigen. Das kann aber nicht jede. Als sich ihre Fans zuletzt "Kittenz" nennen wollten, hat sie darauf ziemlich allergisch reagiert.

STANDARD: Ob bei den Simpsons oder in "Sex and the City": Das Motiv der "Crazy Cat-Lady", der alleinstehenden, mit Katzen lebenden Frau, hält sich hartnäckig. Wieso?

Kohout: Manche Motive sind so stark ins kulturelle Gedächtnis eingeschrieben, dass es schwerfällt, sich von ihnen zu lösen. Obwohl man sie benennt und hinterfragt. Im Mittelalter galt die Katze als Begleiterin alleinstehender Frauen, die als Heilerinnen und Hebammen Wissen über Verhütung besaßen und deshalb als Hexen verfolgt wurden, um zur Familien- und Hausarbeit diszipliniert zu werden. Seither wird Singlefrauen mit Katze(n) unterstellt, diese dienten als Ersatz und Kompensation für Kind oder Familie. Das kann in Einzelfällen stimmen, in vielen anderen Fällen überhaupt nicht.

STANDARD: Wie sieht es aus mit Männern und Katzen in der Popkultur?

Kohout: Nun ja, Garfields Besitzer Jon Arbuckle ist männlich.

STANDARD: Dann wären da Petterson und Findus …

Kohout: Wenn wir länger nachdenken, fallen uns sicher noch mehr ein.

STANDARD: Beim Online-Dating werden Männer mit Katzen als weniger maskulin eingeschätzt. Sind unsere Geschlechterbilder noch immer so konventionell?

Kohout: Eindeutig ja. Trotz aller Formen von Geschlechterfluidität arbeiten wir uns an althergebrachten Rollenzuweisungen ab. Aber vielleicht strahlt ein Mann mit Katze auch aus, kein Familienmensch zu sein. Das könnte auf einem Datingportal möglicherweise auch ein Ausschlusskriterium sein. (RONDO, Anne Feldkamp, 28.9.2023)

Annekathrin Kohout ist Kunstwissenschafterin und schreibt unter anderem über Popkultur und Internetphänomene.
Annekathrin Kohout ist Kunstwissenschafterin und schreibt unter anderem über Popkultur und Internetphänomene.
Robert Hamacher