Tigist Assefa
Marathon-Weltrekordlerin Tigist Assefa hält im Scoring Table des Weltverbands bei 1318 Punkten.
AP/Markus Schreiber

Gut, die Aufregung im Forum ist bald einmal groß. Aber die STANDARD-Story über den fabelhaften Marathon-Weltrekord der Äthiopierin Tigist Assafe in Berlin (2:11:53) hat die Userinnen und User besonders getriggert. Da erklärte Österreichs Marathonrekordlerin Julia Mayer: "Für mich ist das die beste Leistung, die je ein Mensch im Marathon erbracht hat. Als Frau eine 2:11 zu laufen – das steht über allem, auch über dem Männer-Weltrekord." Das "für mich" hatten nicht wenige überlesen, natürlich steht es Julia Mayer völlig frei, eine persönliche Meinung zu haben und sie auch zu äußern.

Diese Meinung wird nun von World Athletics (WA) quasi untermauert. Der Weltverband bestätigt nicht nur alle Weltrekorde, sondern führt auch Punktelisten aller Leistungen in der Leichtathletik, womit diese letztlich doch irgendwie vergleichbar werden. Im "Scoring Table" der WA wird Assefas Weltrekord mit 1318 Punkten tatsächlich höher bewertet als Eliud Kipchoges Weltrekord von Berlin 2022 (2:01:09), der 1312 Punkte wert ist.

Jan Železný
Speerwurf-Weltrekordler Jan Železný ragt mit 1365 Punkten heraus
imago/sportfotodienst

Die Punktevergabe passiert nicht aus Jux und Tollerei, sondern hat für einige Kerndisziplinen eine lange Tradition und einen konkreten Zweck – als Grundlage für die Bewertung der Disziplinenleistungen im Frauen-Sieben- und im Männer-Zehnkampf. Wer am Ende die meisten Punkte erreicht hat, gewinnt. Meter und Sekunden lassen sich ja nicht summieren.

Endlose Diskussionen

Ist Assefas Rekord einer für die Ewigkeit? Ist er wirklich höher zu bewerten als Kipchoges Zeit? Welche Leistungen sind die allerbesten? Usain Bolts Fabelrekorde über 100 und 200 Meter? Oder sind Florence Griffith-Joyners 10,49 im Frauensprint noch beeindruckender? Was ist mit Mike Powells 8,95 Metern im Weitsprung, verglichen mit den 6,23 Metern von Armand Duplantis im Stabhochsprung?

Usain Bolt.
Der Sprintweltrekorde von Usain Bolt ist 1356 Punkte wert.
imago sportfotodienst

Wahre Leichtathletikfans können über solche Fragen endlos diskutieren. Es gibt beliebte Youtube-Kanäle wie Total Running Productions, die sich ganz den Bestleistungen in den gut 40 Einzeldisziplinen dieser Sportart widmen und nur so schwelgen in Superlativen.

Rekorde in verschiedenen Disziplinen in Relation zueinander stellen geht gar nicht, sagen die einen mit dem üblichen Verweis auf Äpfel und Birnen. Außerdem habe sich auch in der Leichtathletik das Material (der Laufbahnen und der Schuhe) in den letzten Jahren verbessert. Und viele der immer noch bestehenden Uraltweltrekorde bei den Frauen (insbesondere in Wurfbewerben) sind offensichtlich mit Dopinghilfe zustande gekommen.

Florence Griffith-Joyner
Der Sprintweltrekord von Florence Griffith-Joyner ist 1314 Punkte wert.
imago sportfotodienst via www.im

Die andere Fraktion weist auf statistische Parameter hin, die sehr wohl objektivierbare Vergleiche zwischen Geschlechtern und Disziplinen zulassen: Um wie viel Prozent hat der neue Weltrekord den alten verbessert? Wie lange hat(te) er Bestand? Wie hoch ist die Dichte unter den Top Ten, den Top 50 oder den Top 100 einer Sparte?

Grandiose Leistungen

Die Weltrekorde im 100-Meter-Lauf, im Kugelstoßen und im Marathon liegen jeweils etwas über 1300 Punkten. Herausragend bei den Männern sind unter anderem die 9,58 von Usain Bolt über 100 Meter und die 19,19 über 200 Meter, die in 1356 bzw. 1351 Punkte umgerechnet werden, oder Jan Železnýs 98,48 Meter im Speerwurf aus dem Jahr 1996, die 1365 Punkte wert sind. Bei den Frauen erhält der 1988 fixierte Diskus-Weltrekord von Gabriele Reinsch (DDR) 1382, jener im Kugelstoßen 1372 Punkte. Die nächstbesten Leistungen stammen ebenfalls fast alle aus den Anabolika-verseuchten 1980ern.

Weißhaidinger
Weißhaidingers Diskusrekord (70,68 m) ist 1257 Punkte wert.
EPA

Hannes Gruber, Sportkoordinator des heimischen Verbands (ÖLV), gehört eher der Äpfel-Birnen-Fraktion an. "So richtig gut", sagt er, "kannst du Leistungen nur innerhalb einer Disziplin vergleichen." Doch da sind die Scoring Tables des Weltverbands für ihn von großem Interesse. "Wir ziehen sie auch bei Kadererstellungen heran", sagt Gruber. "Schließlich bilden sie die Basis für die Weltrangliste."

Normen für Großevents sind entweder direkt mit Spitzenleistungen zu erfüllen, wie das etwa schon Lukas Weißhaidinger (Diskus), Victoria Hudson (Speer) und Susanne Gogl-Walli (400 m) für die Olympischen Spiele 2024 gelang. Oder aber man sammelt Punkte für die Weltrangliste. Da zählt nicht nur die Leistung an sich, sondern auch, wo sie erbracht wurde. Denn die Meetings sind in einer eigenen Liste auch wieder unterschiedlich bewertet, und eine Leistung bei der Diamond League in Zürich ist mehr wert als dieselbe Leistung in Kickritzpotschen. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. (Fritz Neumann, 27.9.2023)