Am Sonntag wurde ein kosovarischer Polizist von serbischen Angreifern, die sich für Nato-Truppen ausgaben und später in einem Kloster verschanzten, getötet.
Am Sonntag wurde ein kosovarischer Polizist von serbischen Angreifern, die sich für Nato-Truppen ausgaben und später in einem Kloster verschanzten, getötet.
EPA/GEORGI LICOVSKI

Nach dem terroristischen Anschlag serbischer Krimineller auf die kosovarische Polizei am Sonntag in den frühen Morgenstunden, bei dem ein Polizist und vier Angreifer getötet wurden, veröffentlichte der kosovarische Premier Albin Kurti Fotos von Waffen, darunter Raketenwerfer, Lastwagen, 115 Uniformen und ein Panzerfahrzeug, welche die Terroristen offenbar benutzen wollten.

Die Waffen ließen keinen Zweifel daran, dass die Täter "nicht allein, sondern mit Unterstützung des Staates" gehandelt hätten, so Kurti. "Serbien muss die Verantwortung für die Unterstützung terroristischer Gewalt auf dem Territorium des Kosovo tragen."

False-Flag-Operation

Derzeit gehen die kosovarischen Ermittler gehen davon aus, dass es sich um eine False-Flag-Operation, also ein Täuschungsmanöver gehandelt haben könnte, denn die Terroristen hatten gefälschte Aufschriften und gefälschte Aufkleber mit der Bezeichnung "Kfor" – die Nato-geführten internationalen Truppen im Kosovo – bei sich.

Möglicherweise wollten die Angreifer Bilder erzeugen, auf denen diese falsche "Kfor-Einheit" mit der kosovarischen Polizei in einen bewaffneten Konflikt gerät, um die kosovarischen Institutionen zu diskreditieren und ihnen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Möglicherweise wollte die militante Truppe auch mittelfristig den Norden des Kosovo unter ihre Kontrolle bringen. Schließlich wurde ein großes Ausmaß an Waffen und militärischer Ausrüstung gefunden.

Kriminelle Politiker

Offensichtlich wurde die militante Truppe aus rund 30 Männern jedoch von der kosovarischen Polizei vor ihrer geplanten Aktion "überrascht". Denn die allermeisten Waffen befanden sich noch in den Fahrzeugen, als die Polizei eingriff. Sie war offenbar davon ausgegangen, dass es sich um Schmuggler handelte, als sie die zwei Lastwagen, die eine Brücke blockierten, untersuchte. Der kosovarische Beamte, der dabei verstarb, hatte eine schusssichere Weste an, er wurde jedoch am Hals von einer Kugel getroffen. Innerhalb von einer Stunde und zwanzig Minuten kam massive polizeiliche Verstärkung.

Die meisten Angreifer konnten über die Grenze nach Serbien entkommen, Drohnen nahmen ein Video davon auf. Sechs wurden hingegen verhaftet. Sie hatten sich in dem Kloster Banjska verschanzt, wo sich serbische Pilger befanden, die in Sicherheit gebracht wurden. Zwei wurden bereits einvernommen.

Das kosovarische Innenministerium veröffentlichte indes ein Video von den Angreifern, auf dem auch Milan Radoičić zu sehen ist. Außerdem seien Radoičićs Papiere und sein Waffenschein in einem der konfiszierten Fahrzeuge gefunden worden. Er gilt nicht nur seit Jahren als einer der Anführer der organisierten Kriminalität im Norden des Kosovo, sondern er ist auch der Vizechef der Partei Srpska Lista, die unter der Kontrolle des serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vučić zur dominierenden Kraft im Norden des Kosovo wurde.

Es gibt zahlreiche Fotos von Treffen zwischen Vučić und Radoičić. Der Kriminelle soll sich zurzeit in einem Krankenhaus in Serbien befinden. In Serbien wurde indes auch für den Mittwoch ein Staatstrauertag für die im Kosovo getöteten "Opfer" – gemeint sind die serbischen Angreifer, die bei dem Polizeieinsatz starben – ausgerufen.

Nicht nur die serbischen Medien dämonisieren den kosovarischen Premier Kurti, seit Monaten schon diffamiert Vučić Kurti. Er behauptete auch jetzt wieder, dass Kurti an allem schuld sei. Nach einem Treffen zwischen Vučić und dem russischen Botschafter in Belgrad, Alexander Botsan-Kharchenko, behauptete der serbische Staatschef, dass im Kosovo "brutale ethnische Säuberungen" stattfänden, die "Kurti mit Unterstützung eines Teils der internationalen Gemeinschaft organisiert". Vergangenen Freitag traf sich Serbiens Außenminister Ivica Dačić mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow.

Mit Vučić kuscheln

Offen ist, ob sich nach dem Anschlag auf die Polizei die Haltung des Westens gegenüber Serbien ändern wird. Bisher haben die USA und die EU eine Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Regime des autokratisch regierenden Präsidenten Vučić beibehalten, obwohl dieser die EU-Sanktionen gegen den Kreml nicht mitträgt. Die Regierung Kurti wurde hingegen kritisiert, und es gab sogar Maßnahmen der EU gegen den Kosovo.

Der Wiener Politologe und Balkan-Experte Vedran Džihić meint: "Die Verhältnismäßigkeit fehlt, Kuscheln mit Vučić und Watschen für Kurti sind keine gute Voraussetzung für einen Dialog." Zu einem Kurswechsel des Westens gegenüber Serbien müsse ein Enttarnen der Verbindungen zu Russland gehören.

Angesichts der Tatsache, dass die für den Balkan zuständigen Diplomaten wie der Amerikaner Gabriel Escobar und der EU-Vermittler Miroslav Lajčak den Kurs gegenüber Serbien seit langem bestimmten, sei aber ein schneller Wechsel nicht wahrscheinlich. "Sie würden sich damit wohl selbst diskreditieren", so Džihić. Die derzeitige Verhandlungsstruktur zwischen Serbien und Kosovo habe an Legitimität verloren. Aber: "Man könnte schon einen neuen Chefverhandler einsetzen oder die Sache zur Chefsache erklären."


Im Norden Kosovos arbeiten laut Džihić seit Jahren serbische Geheimdienstleute, Politiker und kriminelle Gangs zusammen. Deshalb sei auch davon auszugehen, dass diese Strukturen bei dem Anschlag am Sonntag involviert waren. Die Verbindungen zwischen Radoičić und Vučić seien "alt und intensiv", meint Džihić. "Die Partei Srpska Lista ist seit zehn Jahren ein Werkzeug von Vučić, das systematisch unterstützt wurde."

Klar ist, dass man nun nicht einfach zum Verhandlungstisch zurückkehren kann, wie dies die EU nun forderte. Der für den Dialog zuständige EU-Diplomat Lajčak gilt zudem schon lange als einseitig für Serbien engagiert. Nach dem letzten Treffen zwischen Vučić und Kurti vor zwei Wochen brachte Lajčak ein Papier ein, das die Forderungen Belgrads enthielt.

Waitz fordert Rücktritt von Lajčak

Der grüne österreichische EU-Abgeordnete Thomas Waitz hält Lajčak für "rücktrittsreif". "Er ist mit seiner Aufgabe, Frieden durch Dialog zu schaffen, krachend gescheitert. Die Situation hat sich unter seiner Mediation massiv verschlechtert." Waitz fordert auch, dass die EU nun die Beitrittsverhandlungen mit Serbien einfriert und Geldmittel stoppt.

Der Grünen-Politiker aus der Steiermark verweist darauf, dass die Provokationen im Konflikt mit Kosovo von der serbischen Regierung ausgingen. Diese habe vergangenen Herbst angeordnet, dass sich die serbischen Bürgermeister und Polizisten aus den kosovarischen Institutionen zurückziehen. Sie forderten die Bürger auf, die Wahlen zu neuen Bürgermeistern zu boykottieren. Autos von jenen Serbinnen und Serben, die mit den kosovarischen Institutionen kooperierten, seien verwüstet worden. "Serbien destabilisiert wieder einmal die ganze Balkanregion und provoziert bürgerkriegsähnliche Zustände. Wann lernt die EU aus der Geschichte und setzt Konsequenzen?"

Waitz fordert, dass die EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien eingefroren und die Zahlungen aus dem Vorbeitrittsfonds gestoppt werden. "Vučić versteht die Sprache des Geldes." Zudem sei es nicht sehr "realitätsbezogen", wenn man denke, dass man mit der derzeitigen Politik Serbien auf die Seite des Westens ziehen könne. Gleichzeitig habe nämlich Russland "ein aktives Interesse daran, einen Konfliktherd auf dem Balkan aufleben zu lassen, um Aufmerksamkeit von der Ukraine abzuziehen", so Waitz zum STANDARD. (Adelheid Wölfl aus Belgrad, 26.9.2023)