Bo weiß genau, was er zu tun hat. Gut, das wusste Lionel Messi bei seiner wohl letzten WM vergangenes Jahr in Katar auch. Bo heißt eigentlich Blue de la Bruyere Blanche, aber Bo ist für alle einfacher. Die Weltmeisterschaft 2023 in Stubenberg und Eggendorf ist definitiv seine letzte, so viel ist klar. Mit seinen zehn Jahren ist Bo sozusagen ein alter Hund. Viele hier fragen sich, was noch geht: Wie viel ist die Erfahrung wert? Gelingt ihm noch der große Wurf?
Es ist ein heißer Herbsttag in Eggendorf, Niederösterreich. Der Übungsplatz ist gar nicht so leicht zu finden, liegt an der Peripherie von Wiener Neustadt, Orientierungshilfe ist der ABC- und Katastrophenhilfeübungsplatz Tritolwerk des Bundesheers. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine kleine Campingcommunity, manche Autos mit den teils ausländischen Kennzeichen wurden zu kleinen Aufenthaltsräumen umfunktioniert. Viele Fenster sind abgedunkelt, Hecktüren ragen in den Himmel oder sind seitwärts aufgeklappt, um für Frischluft zu sorgen. Der Weg über den Parkplatz ist nicht weit, der Untergrund staubt bei jedem Schritt – und man wird beobachtet. Immer wieder blinzeln Augenpaare aus den Kofferräumen der Autos, manchmal begleiten sie einen ein paar Schritte, manchmal ist es nur ein ganz kurzer Moment der Aufmerksamkeit: "Aha, du auch da."
Mit Helm, Weste und Leine
Auch Peter Schüler macht die Hitze etwas zu schaffen. Bevor es losgeht, lehnt der 76-Jährige an einer Absperrung, er wirkt konzentriert, aber auch entspannt, weil routiniert. Der ehemalige Berufsfeuerwehrmann aus Wien hat schon an vielen Weltmeisterschaften teilgenommen, ist sechsfacher Titelträger. Später holt er Bo. Der Riesenschnauzer mit dem pechschwarzen Fell ist an der Startlinie angeleint, Schüler hat Helm und Sicherheitsweste angelegt. Bo weiß, was zu tun ist. "Geh weiter", sagt Schüler. Bo sprintet los.
Die Weltmeisterschaft der Rettungshunde ist in drei Hauptkategorien aufgeteilt. In Eggendorf findet die Trümmersuche statt: Der Übungsplatz wirkt so, als hätte ein Kind seine volle Lego-Kiste wahllos auf den Boden ausgeleert. Nur eben mit Betonsteinen, Gerümpel und Containern. Es ist eine Simulation eines Katastropheneinsatzes, die Hunde müssen drei eingeschlossene Personen ausfindig machen, die Stelle, meist durch Bellen, anzeigen. Und dann ganz still sein: Denn ist der Führer oder die Führerin beim Opfer, hat das Tier Pause, um den Erstkontakt nicht zu stören.
Apropos stören: Weil Katastropheneinsätze nicht steril sind, stehen Statisten auf den Trümmern und klopfen auf den Untergrund. Klack, klack, klack. Ein Rasenmäher brummt monoton. Das will man so, die Hunde sollen sich nicht ablenken lassen. Denn Ablenkung kann im Ernstfall kostbare Zeit ausmachen. Die Teams haben 30 Minuten Zeit für die Übung. Anschließend gibt es ein Debriefing durch die Kampfrichter, es werden Punkte vergeben. Neben der Trümmersuche messen sich die Teams noch in Fährtensuche und Flächensuche. In der sogenannten Unterordnung geht es ausschließlich um die direkte Resonanz von Tier und Mensch, um Befehle, Gehorsam und Ausführung. Schüler sagt später über Bo: "Durch seine Erfahrung und sein Alter sprintet er nicht mehr so aufgeregt über die Trümmer, er ist sehr zielgerichtet."
Der Ernstfall geht mit dem Wettkampfcharakter der WM einher. Wer sich über die Sinnhaftigkeit von Sport Gedanken macht, wird hier fündig. Die Teams messen einander in einem Wettkampf, sonst retten sie Leben. Bo, der Riesenschnauzer mit dem pechfarbenen Fell, der so zielstrebig und flink über die Trümmer in Eggendorf jagt, war heuer bei der Erdbebenkatastrophe in der Türkei im Einsatz. Für die Hunde sind die Übungen ein Spiel. Insgesamt 140 Teams nahmen an den Wettkämpfen teil, das hört sich nach Chaos an. Aber ganz im Gegenteil: Es ist eine fast unheimliche Symbiose zwischen Mensch und Tier, die zu einer Einheit zusammenwachsen.
Physis statt Charakter
"Die Ausbildung hat sich sehr stark verändert", sagt Magdalena Koczera. Neben Eggendorf finden die Wettkämpfe im steirischen Stubenberg am See statt, sie erstrecken sich über vier Tage. Hier gibt es Fährtensuche, Flächensuche und die Unterordnung. Glaubt man manchen Teilnehmern und Teilnehmerinnen (den Menschen), ist die 57-jährige Wienerin eine der besten Rettungshundetrainerinnen überhaupt. "Früher war die Ausbildung viel härter, heute läuft alles positiver ab. Die Hunde sind Spitzensportler", sagt sie dem STANDARD. Eine Ausbildung dauert rund zwei Jahre, Hundeführer und Hundeführerinnen sind gleichzeitig für zwei bis drei Hunde verantwortlich: "Die Hunde sind dabei aber unabhängig vom Menschen, sie können auch mit anderen Führern bei Katastrophen eingesetzt werden", sagt Koczera.
Es ist ein Hundewetter an diesem Samstagvormittag in der Steiermark. Es schüttet, der Wald bietet nur teilweise Schutz, der Boden ist schlammig-weich. Bei der Flächensuche müssen die Hunde eine vorbestimmte Fläche nach Opfern absuchen und wieder Bescheid geben. Der Führer oder die Führerin starten dann im Eiltempo durch das Dickicht zur angezeigten Stelle. Der Hund wird in Zickzackbewegungen durch den Wald geschickt, während er selbst sich in möglichst gerader Linie durch den ihm zugeteilten Suchbereich bewegt.
Notdurft im Dickicht und der schwarze Blitz
Eine tschechische Teilnehmerin öffnet einen Behälter mit einem farbigen Staub, um die Windrichtung zu bestimmen. Der Geruchssinn ist der große Trumpf der Tiere. Ihr Golden Retriever wirkt ein wenig hibbelig: "Es ist immer noch eine WM, und die Hunde spüren natürlich auch, wenn der Mensch nervös oder unruhig ist", sagt Koczera. Der Golden Retriever startet in den Wald und verrichtet erst einmal seine Notdurft: "Das ist schlecht", ist das vernichtende Urteil. Die Suche wird wenig später abgebrochen: "Es bringt auch nichts, den Hund unnötigerweise durch das Gelände zu jagen. Wenn wir sehen, dass das Team keine Chance auf Erfolg hat, brechen wir ab", sagt ein Kampfrichter. Nicht zu beneiden sind gerade heute jene Personen, die die Opfer simulieren, sogenannte Figuranten oder Versteckpersonen: Sie liegen stundenlang im feuchten Wald. Mühsam? Ja sicher, aber auch hilfreich. Auch Koczera war oft Versteckperson: "Dadurch habe ich das Verhalten der Hunde noch besser kennengelernt."
Bei dem anschließenden Team aus den Niederlanden läuft es besser: Der Labrador Retriever zischt wie ein schwarzer Pfeil zielgerichtet durch den Wald. Die Hundeführerin stapft mit den Kampfrichtern den Weg entlang, ihr Baseballcap ist schnell durchnässt, der Hund findet aus allen Himmelsrichtungen immer wieder zu seiner Chefin zurück. Am Ende konnte er zwei von drei Figuranten ausfinding machen. Dem jungen Rüden wird Potenzial attestiert: "Ein toller Hund", ist man sich einig. Und er hatte Pech: Kurz bevor er die erste Versteckperson anzeigen konnte, rief ihn seine Hundeführerin zurück. Im Idealfall hätte er den Befehl ignorieren und stattdessen das Opfer ausweisen sollen: "Das ist genau dieser Ungehorsam, den wir wollen", sagt Koczera.
Bei der dritten Hauptkategorie, der Fährte, müssen die Hunde einer Fährte folgen, ohne dabei einen Geruchseindruck der Zielperson zu haben. Sie orientieren sich dabei an Veränderungen in der Natur, beispielsweise abgebrochenen Grashalmen, sogenannten Bodenverletzungen.
Rassen sind bei den Wettkämpfen die unterschiedlichsten vertreten. "Nur zu klein sollten sie nicht sein", sagt ein erfahrener Rettungshundeführer. "Wir hatten einmal einen Königspudel, der aber über Nacht alles Antrainierte wieder vergessen hat. Der ist dann nicht geeignet." Die Physis ist nebensächlich, der Charakter muss passen. Das perfekte Alter ist zwischen fünf und acht Jahren. Bei der Heim-WM gab es für Österreich Grund zur Freude: Mona Delic holte mit Jay-Junior Gold in der Fährtensuche, Jörg Klapper gewann mit Cooper con todos los Santos Silber in der Trümmerwertung. Bo (10) landete auf Platz fünf. Doch auch ohne großen Titel wird der Riesenschnauzer seinen wohlverdienten Ruhestand genießen können. (Andreas Hagenauer, 29.9.2023)