Steigende Papier- und Zustellpreise, sinkende Leserzahlen: Wie geht es in der Printbranche weiter? Printmedien hätten "eklatante Schwierigkeiten der Finanzierung", sagte dazu Medienforscher Andy Kaltenbrunner am Mittwoch im "ZiB 2"-Interview. Die Kündigung des Journalistenkollektivvertrags durch die Verleger habe ihn zwar in der Form überrascht, nicht aber in der Sache.

Systematisches Wegbröseln der Erlöse und höhere Ausgaben für Druck und Logistik ergäben ein Umfeld, das Medien vor existenzielle Probleme stelle. Dass der Kollektivvertrag ohne Vorankündigung gekündigt wurde, halte er für "ungeschickt". Denn die Verlage bräuchten die Journalistinnen und Journalisten als Mitstreiter, um ihre Anliegen vertreten zu können.

Medienforscher Andy Kaltenbrunner
Medienforscher Andy Kaltenbrunner sieht sowohl die Verlage als auch die Medienpolitik gefordert, um aus der Abwärtsspirale der Medienhäuser herauszukommen.
Screenshot/ORF-TVThek

Kaltenbrunner, der für das Medienhaus Wien und die Akademie der Wissenschaften forscht, verweist auf eine höhere Ebene. Sollte sich die Situation für Journalistinnen und Journalisten zu sehr verschlechtern, könnte es Probleme geben, künftig "qualifizierte Brancheneinsteiger und -einsteigerinnen" zu finden: "Das ist eine viel breitere Debatte als die Frage sieben Prozent, neun Prozent oder elf Prozent Gehaltserhöhung oder doch viel weniger."

ZIB 2: Medienforscher zur Krise der Print-Medien
ORF

Das Ende der Tageszeitungen naht

Ein deutscher Medienforscher prognostiziert, dass es in zehn Jahren keine Tageszeitung mehr in Deutschland geben werde. "Ist es in Österreich auch so schlimm?", fragt "ZiB 2"-Moderator Armin Wolf. Kaltenbrunner: "Man könnte ironisierend sagen, dass es in Österreich drei Jahre länger dauern wird, weil wir einen stabileren Markt hatten, der von einem höheren Sockel ausgegangen ist." Tageszeitungen, "wie wir sie kennen, ob es nun in zwölf, 15 oder 17 Jahren sein wird, wird es nicht mehr geben." Das entspreche dem veränderten Konsumverhalten der Bevölkerung. "Die Printmedien in jetziger Form werden nicht bestehen können."

Österreichische Verlage hätten die digitale Transformation ein Stück weit verschlafen: "Sie sind relativ spät eingestiegen mit spezifischen Angeboten, die vergebührt sind." Es habe viel zu lang die Strategie gegeben, dass "einfach Teile des Printjournalismus ins Netz gehängt wurden, also Copy-paste-Journalismus der schlechteren Form". Das sei kein Anreiz gewesen, die User zur Zahlung zu erziehen: "Das kann und muss sich ganz schnell ändern", sagt Kaltenbrunner mit Verweis auf internationale Beispiele wie die "New York Times" oder den "Guardian".

Regionaler Journalismus

Die "New York Times" habe "80 bis 90 Prozent der Abonnenten und Abonnentinnen online" und damit ein "nachhaltiges Geschäftsmodell entwickelt". Natürlich, räumt Kaltenbrunner ein, habe sie es als englischsprachiges Medium viel leichter, am Weltmarkt zu reüssieren. Der Medienforscher erwähnt etwa Skandinavien, wo regionale Angebote online erfolgreich seien. Sie hätten "intelligente Gebührenmodelle" implementiert, denn die Frage sei auch: "Wie zahle ich? Sind die Methoden so, dass ich gerne eine Gebühr entrichte?" Hier seien viele, aber nicht alle österreichischen Verlage im Hintertreffen.

Abdrehen von ORF.at?

Armin Wolf greift das immer wieder ins Spiel gebrachte Argument der Verleger auf, dass es nicht möglich sei, erfolgreiche Onlinebezahlmodelle zu kreieren, während die Inhalte auf ORF.at kostenlos verfügbar seien. "Ist da nicht was dran?", fragt er Kaltenbrunner. "Das hat einen Punkt, ja, ich glaube aber dennoch nicht, dass das eine hinreichende Erklärung für die große Finanzierungskrise wäre." Es sei schwer vorstellbar, dass ein Abdrehen von ORF.at zum Abschluss "wahnsinnig vieler Onlineabos" führen würde. "Das ist höchst unwahrscheinlich, weil der Markt der freien Nachrichten noch viel größer ist." Wesentlich wichtiger sei, ein "wirklich eigenständiges Angebot zu entwickeln", und: "Die Konkurrenz mit dem ORF ist nebensächlich." Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk müsse im Internet präsent sein.

Neue Onlineplattformen fehlen

Kaltenbrunner kritisiert einmal mehr die österreichische Medienpolitik: "Sie versagt hier bei den Regulativen. Was gefördert wird, ist das Stopfen von Löchern und das Nachholen von Entwicklungen, die seit 20 Jahren hätten geschehen müssen", sagt er etwa in Bezug auf die neue Förderung zur digitalen Transformation, die nach 54 Millionen Euro im Jahr 2022 aktuell mit 20 Millionen Euro dotiert ist. "Vieles von diesem Geld ist fehlgeleitet." Er plädiert für eine Qualitätsförderung statt eines Gießkanneprinzips. In Österreich fehlten viele kleinere Projekte, die sich dem Journalismus verpflichtet fühlen. In anderen Ländern entstünden "dutzende, ja hunderte neue Onlineplattformen", die sich über die Community finanzieren. "Das ist ein echtes Defizit." (Oliver Mark, 28.9.2023)

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