Zeus hat es vorgemacht. Er hat die Grenzen des Mannseins überwunden und ein Kind geboren. Die Geschichte dahinter ist, gelinge gesagt, bizarr. Der Göttervater hat nämlich seine schwangere Geliebte zuerst verschlungen und kurze Zeit später seine Tochter Athena, die Göttin der Weisheit, aus seinem Kopf heraus geboren. So überliefert es zumindest die griechische Mythologie. Die heutige Stammzellenforschung verfolgt ein ähnliches Ziel. Sie hat zwar nichts mit Kopfgeburten zu tun, allerdings befasst sie sich intensiv damit, die Fortpflanzung ohne das jeweils andere Geschlecht zum Laufen zu bringen.

Erst Anfang des Jahres hat ein erfolgreiches Experiment in Japan Wellen geschlagen. Einem Forscherteam rund um Katsuhiko Hayashi von der Universität Osaka ist es gelungen, aus den männlichen Hautzellen einer Maus eine weibliche Eizelle zu entwickeln. Sie konnte befruchtet und der entstandene Embryo der Gebärmutter einer weiblichen Maus eingesetzt werden. Kurze Zeit später kam eine gesunde Maus zur Welt – und das obwohl sie zwei biologische Väter hat. Markus Hengstschläger verfolgt diese Entwicklung mit Spannung. Er leitet das Institut für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien und ist Mitglied der österreichischen Bioethikkommission.

Derzeit wird auf Hochtouren daran geforscht, Eizellen im Labor herstellen zu können.
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Seit vielen Jahren werde an derartigen Entwicklungen gearbeitet. Die aktuellen Ergebnisse könnten nicht zuletzt gravierende Auswirkungen auf die Reproduktionsmedizin haben. Homosexuelle Paare mit Kinderwunsch oder unfruchtbare Personen wären damit nicht mehr auf eine Spenderin oder einen Spender angewiesen. Eine fehlende Eizelle oder mangelndes Sperma könnten im Labor heranwachsen. Dafür benötigen Genetiker lediglich Stammzellen, die sie in Petrischalen zu sogenannten Gameten, also Geschlechtszellen wie Ei- oder Samenzellen, umwandeln.

Spermien aus Hautzellen

Dass beispielsweise zwei Männer ohne eine Eizellenspende die biologischen Eltern eines Kindes werden, könnte die sogenannte In-vitro-Gametogenese (IVG) möglich machen. Bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) werden bisher natürlich entstandene Eizellen mit Spermien im Reagenzglas befruchtet. In Zukunft könnten anstelle der natürlichen Ei- und Samenzellen auch künstlich hergestellte Ei- und Samenzellen mittels IVG in der Petrischale heranwachsen. Der japanische Genetiker Hayashi arbeitetet dafür mit Hautzellen, prinzipiell eignen sich rein theoretisch aber viele andere Körperzellen, etwa Blutzellen.

Um aus den männlichen Hautzellen weibliche Eizellen zu machen, wurden die Hautzellen zunächst zu Stammzellen umgewandelt. Danach mussten die Forscher das Y-Chromosom entfernen. Dafür wurde eine chemische Substanz hinzugefügt, wodurch Zellen teilweise ihre Y-Chromosomen verlieren können. Zur Erinnerung: Auch männliche Mäuse haben je ein X- und ein Y-Chromosom, weibliche zwei X-Chromosomen. Daraus kann dann eine Eizelle entwickelt und mit der Samenzelle einer anderen männlichen Maus befruchtet werden. Hengstschläger: "So kann ein Kind von zwei Vätern entstehen."

"Rudimentäre" Ergebnisse

Dass künftig auch aus menschlichen Hautzellen Eizellen oder Spermien erzeugt werden können, ist für Hengstschläger sehr wahrscheinlich. Es sei ein sehr progressives Forschungsfeld, in das auch privatwirtschaftlich viel Geld gepumpt werde. Weltweit arbeiten Forscherinnen und Forscher daran, die Technologie "zumindest so sicher wie natürliche Fortpflanzung zu machen", wie Hengstschläger weiß.

Während etwa das japanische Forschungsteam in Osaka und generell Unternehmen weltweit unter Hochdruck an der Umsetzung arbeiten, rechnet Hengstschläger mit einem Entwicklungszeitraum von einem Jahrzehnt. "Viel länger wird es aber auch nicht dauern", sagt er.

Für seine These spricht, dass menschliche Ei- und Samenzellen in einem derartigen Prozess bereits hergestellt worden seien. Es sei allerdings nie getestet worden, ob sie funktionieren. Es gebe Publikationen, aber "natürlich keine Schwangerschaft und schon gar kein Kind". Aktuell handle es sich um Grundlagenforschung, die Ergebnisse seien "rudimentär" und noch "viel zu unsicher für die Anwendung an Menschen". Auch beim Mäuse-Experiment haben nur sieben von 630 transferierten Embryos tatsächlich überlebt.

Aus heutiger Sicht ist IVG laut Hengstschläger ethisch abzulehnen, weil die Technologie biologisch nicht sicher ist. Trotzdem sollten ethische und juristische Rahmenbedingungen der In-vitro-Gametogenese bereits jetzt diskutiert werden und nicht erst, wenn die Technologie ausgereift ist.

Ethische Diskussionen

Ethisch stellt sich künftig für Hengstschläger die Frage, was der Unterschied zwischen einer IVG-Eizelle und einer natürlich entstandenen Eizelle ist. "Ist eine Eizelle sicher, sprich biologisch korrekt, ergibt sich für mich kein Unterschied", sagt der Genetiker. Das Gleiche gelte für die Samenzelle. Zu diskutieren sei aber, wo wem unter welchen Umständen IVG angeboten werden soll.

Sollte IVG je zugelassen werden, braucht es auch einen rechtlichen Diskurs. Zwei Männer könnten dann zwar theoretisch ein Kind zeugen; um den Embryo auszutragen, benötigen sie aber eine Leihmutter – und das ist in Österreich verboten. Homosexuelle Frauen wiederum könnten Spermien aus Hautzellen rein theoretisch in der Petrischale generieren, mit einer Eizelle der Partnerin befruchten und ein Kind bekommen. Auch wenn das noch nie, auch nicht bei Mäusen, gemacht wurde, wären dadurch beide Mütter biologische Eltern.

Die gesellschaftliche Akzeptanz wird laut Hengstschläger nicht so lange dauern wie etwa bei künstlicher Befruchtung. Das erste IVF-Baby wurde 1978 geboren. Trotzdem hat es rund 30 Jahre gedauert, bis einer der Erfinder Robert Edwards, mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Für Hengstschläger ein "sehr langer Zeitraum, bis anerkannt wurde, dass diese Technologie die Welt verändert hat". Heute ist die Methode weltweit verbreitet und gesellschaftlich anerkannt, das "ebnet die Akzeptanz für IVG". (Julia Beirer, 13.10.2023)