Ein rot-weißer Kran steht neben einem Rohbau eines Hauses.
Der Baubranche werden schwierige Zeiten vorhergesagt.
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Berlin – Die Inflationsrate in Deutschland ist im September auf den niedrigsten Stand seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine gefallen. Die Verbraucherpreise legten nur noch um 4,5 Prozent zum Vorjahresmonat zu nach 6,1 Prozent im August, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Das ist der niedrigste Wert seit Februar 2022, als der russische Überfall begann.

Von August auf September zogen die Preise allerdings an, und zwar um 0,3 Prozent. "Von dem schlagartigen Rückgang der Teuerung geht eine wichtige Signalwirkung für den Erfolg der Inflationsbekämpfung aus", sagte Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Das könne dazu beitragen, den Preisauftrieb in den kommenden Monaten kontinuierlich abzuschwächen, wenn Verbraucher und Unternehmen unter dem Eindruck der positiven Nachrichten ihre Inflationserwartungen nach unten korrigierten.

Commerzbank-Chefvolkswirt: "Für Entwarnung viel zu früh"

"Trotzdem ist es für eine Entwarnung viel zu früh", gab Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer zu bedenken. "Denn die schneller steigenden Löhne werden die Inflation bei den arbeitsintensiven Dienstleistungen anfachen." Hinzu kämen noch De-Globalisierung, De-Karbonisierung und eine ungünstige Demografie. Für den Durchschnitt der kommenden Jahre sei daher mit Teuerungsraten deutlich über dem Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent zu rechnen.

Grund für den deutlichen Rückgang der Inflationsrate im zu Ende gehenden Monat ist ein sogenannter statistischer Basiseffekt: Die Bundesregierung hatte von Juni bis August 2022 den Tankrabatt und das Neun-Euro-Ticket eingeführt, um die Verbraucher zu entlasten. Dieses gesenkte Niveau fällt nun aus dem Vorjahresvergleich heraus, was den kräftigen Rückgang der Teuerungsrate erklärt. "Die verzerrenden Effekte des 2022er-Entlastungspaketes sind damit aus den Zahlen verschwunden", sagte Ökonom Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

Nahrungsmittel als Preistreiber

Größter Preistreiber blieben Nahrungsmittel, die 7,5 Prozent mehr kosteten als im September 2022 (August: +9,0). Energie verteuerte sich nach dem Wegfall des Tankrabattes nur noch um 1,0 (August: +8,3) Prozent. Dienstleistungen kosteten 4,0 (August: 5,1) Prozent mehr – dazu trug der Wegfall des Neun-Euro-Tickets bei. Auch die sogenannte Kerninflationsrate, bei der die stark schwankenden Nahrungsmittel- und Energiepreise außen vor bleiben, gab nach: von 5,5 auf 4,6 Prozent.

Der Bundesbank zufolge dürfte die Teuerung "im Jahresverlauf weiter abnehmen". Die deutlichen Rückgänge auf den vorgelagerten Stufen – etwa Import-, Erzeuger- und Großhandelspreise – dürften nach und nach an die Verbraucher weitergereicht werden. "Dennoch dürfte die Inflationsrate vor dem Hintergrund eines robusten Lohnwachstums auch mittelfristig deutlich oberhalb von zwei Prozent liegen", erwartet die Bundesbank in ihrem aktuellen Monatsbericht. Die führenden Institute gehen in ihrer Gemeinschaftsdiagnose für die Bundesregierung davon aus, dass die Teuerungsrate im kommenden Jahr auf 2,6 Prozent fallen wird, von durchschnittlich 6,1 Prozent im zu Ende gehenden Jahr. 2025 soll sie dann bei 1,9 Prozent liegen.

Konjunkturprognosen gesenkt

Ihre Konjunkturprognosen haben die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute indes gesenkt. Statt eines bislang erwarteten Wachstums des Bruttoinlandsprodukts um 0,3 Prozent wird nun für das laufende Jahr ein Rückgang um 0,6 Prozent vorhergesagt, geht aus der am Donnerstag veröffentlichten Gemeinschaftsdiagnose für die deutsche Bundesregierung hervor.

"Der wichtigste Grund dafür ist, dass sich die Industrie und der private Konsum langsamer erholen, als wir im Frühjahr erwartet haben", erklärte der Vizepräsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller. Für 2024 wird wieder ein Wachstum erwartet, das mit 1,3 Prozent aber schwächer ausfallen soll als im Frühjahr mit 1,5 Prozent angenommen. 2025 soll es dann zu einem Plus von 1,5 Prozent reichen. Die Gemeinschaftsdiagnose dient der deutschen Regierung als Basis für ihre eigenen Projektionen, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden.

"Moderater Anstieg" der Arbeitslosigkeit

"Die konjunkturelle Schwäche ist mittlerweile auf dem Arbeitsmarkt angekommen", schreiben die Institute. Angesichts der "notorischen und sich perspektivisch weiter verschärfenden Personalknappheit in vielen Bereichen" erwarten sie allerdings nur einen "moderaten Anstieg" auf 2,6 Millionen Arbeitslose im laufenden Jahr – das wären etwa 174.000 mehr als 2022. "Im kommenden Jahr wird die Zahl der Arbeitslosen wohl leicht sinken", lautet die Prognose. 2025 soll sie dann weiter zurückgehen auf weniger als 2,5 Millionen.

"An der Preisfront entspannt sich die Lage nach und nach"

Für die Verbraucher haben die Institute eine gute Nachricht parat. "An der Preisfront entspannt sich die Lage nach und nach", heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose, die den Titel "Kaufkraft kehrt zurück – Politische Unsicherheit hoch" trägt. Die Inflationsrate dürfte demnach im laufenden Jahr bei 6,1 Prozent liegen, 2024 aber deutlich auf 2,6 Prozent fallen und 2025 dann noch einmal auf 1,9 Prozent. "Mittlerweile haben die Löhne auf die Teuerung reagiert, sodass die Kaufkraft der Beschäftigten wieder steigen wird", sagen die Ökonominnen und Ökonomen voraus. "Dies stabilisiert den privaten Konsum."

Schwierige Zeiten für Baubranche

Schwierige Zeiten werden der Baubranche vorhergesagt. "Das Baugewerbe kommt zunehmend in schweres Fahrwasser." Wegen gestiegener Finanzierungskosten dürften etwa die Wohnbauinvestitionen "bis in das nächste Jahr hinein wohl deutlich zurückgehen". Vorerst keine großen Sprünge nach oben werden im Exportgeschäft erwartet.

"Die konjunkturelle Flaute in wichtigen Absatzmärkten wie dem Euroraum und China, von denen vor allem weniger Konsum- und Vorleistungsgüter nachgefragt werden, bremst die Exporte", betonten die Institute. "Darüber hinaus belasten auch die hohen Energiekosten, insbesondere in der Chemischen Industrie, sowie der zunehmende Fachkräftemangel die deutschen Exportunternehmen." Deshalb sollen die Ausfuhren im laufenden Jahr preisbereinigt um 1,0 Prozent sinken, 2024 dann um 1,8 Prozent wachsen.

Erstellt wird die Gemeinschaftsdiagnose vom RWI in Essen, vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München (Ifo), vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), vom IWH in Halle und vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW), das nach dem Umbau der hauseigenen Konjunkturforschung wieder mit dabei ist.

Politische Lage macht Sorgen

Besorgt zeigen sich die Ökonomen über das veränderte politische Klima im Land und darüber, dass sich extremes Gedankengut in der Gesellschaft ausbreite. Das könne langfristig Wachstum und Wohlstand kosten. "Derzeit gerät etwas in Gefahr, das bis vor kurzem in Deutschland als selbstverständlich galt", sagte IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller. "Nämlich ein gesellschaftliches Klima, welches Haushalten und Unternehmen das Vertrauen gibt, dass die Grundregeln unserer Gesellschaft allgemein akzeptiert werden, und dass diese Grundregeln deshalb auch in Zukunft Bestand haben."

Extremes Gedankengut von rechts wie links gewinne an Boden, das den Respekt vor allen Mitmenschen und vor dem Eigentum sowie der Handlungsfreiheit anderer infrage stelle. "Mögen die unmittelbaren Konjunkturrisiken dieser Tendenz auch begrenzt sein, so gehen von ihr doch erhebliche Risiken für die langfristigen Wachstums- und Wohlstandsaussichten aus", warnte Holtemöller etwa mit Blick auf migrationsfeindliche Einstellungen. Deutschland sei wegen der abnehmenden Erwerbsbevölkerung auf Einwanderung angewiesen.

Deutsche Staatsschulden um 49 Milliarden Euro gestiegen

Deutschlands Schulden sind unterdessen zur Jahresmitte gestiegen. Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherung einschließlich aller Extrahaushalte verbuchten Ende Juni 2.417 Milliarden Euro Schulden. Das sind 2,1 Prozent oder 49 Milliarden Euro mehr als Ende 2022, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Berücksichtigt werden Schulden gegenüber dem nicht-öffentlichen Bereich, wozu beispielsweise Banken sowie private Unternehmen im In- und Ausland zählen. Ein Grund für den Anstieg ist, dass nun die Verbindlichkeiten der Verkehrsunternehmen im öffentlichen Personennahverkehr in die Berechnung einfließen. (Reuters, APA, red, 28.9.2023)