Die Folgen des Klimawandels sind für jeden offensichtlich und wissenschaftlich nachweisbar. In unseren Breiten zeigt sich dies wohl am deutlichsten durch das Verschwinden der alpinen Gletscher. Während bei uns noch genaue Zahlen fehlen, hat die Schweiz bereits Bilanz gezogen: In diesem Jahr haben die Schweizer Gletscher vier Prozent ihres Volumens verloren.

Nach dem Rekordjahr 2022 mit einem Volumenverlust von sechs Prozent ist dies die zweitgrößte Gletscherschmelze seit Messbeginn. Insgesamt haben die Gletscher damit in nur zwei Jahren zehn Prozent ihres Volumens eingebüßt, wie die Schweizerische Kommission für Kryosphärenbeobachtung (SKK) berichtete. Der starke Rückgang sei auf eine Kombination aus einem schneearmen Winter und einem heißen Sommer zurückzuführen, erklärten die Forschenden.

Gletscher Vadret dal Murtèl, Schweiz, Klimawandel
Der Schweizer Gletscher Vadret dal Murtèl in Samedan, Engadin, liegt auf einer Höhe von 3.100 Metern und schmilzt auch Mitte September noch dahin.
Foto: SKK/Matthias Huss

Bäume gegen den Klimawandel

Als eine Möglichkeit, gegen den Klimawandel anzukämpfen, sehen manche das Pflanzen von Bäumen. Auch Unternehmen werben gerne damit, dass sie ihre Emissionen durch Aufforstung ausgleichen. Bäume speichern CO2 und helfen damit dem Klima – soweit die auf den ersten Blick naheliegende Idee. Aber so einfach ist die Sache nicht. Selbst wenn der gepflanzte Wald dem Klima nutze, sei das oft nicht zu quantifizieren, wie ein Wissenschafterteam nun berichtet. Im schlimmsten Fall bewirke eine solche Aktion sogar das Gegenteil. Dabei sei der Grundgedanke ja nicht falsch, sagt Christopher Reyer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK): "Wir brauchen mehr Wälder."

Ein Forscherteam hat kürzlich die Nachhaltigkeitsberichte von 100 der weltweit größten Unternehmen ausgewertet. 66 Unternehmen gaben an, Ökomaßnahmen durchzuführen, 44 von ihnen pflanzen Bäume, wie das Team im Fachjournal "Science" berichtet. Die Studie zeigte aber auch, dass über 90 Prozent kein ökologisches Ergebnis angaben. Zudem seien in keinem der Berichte die sozialen oder wirtschaftlichen Auswirkungen auf lokale Interessengruppen quantifiziert worden.

Kaum Beweise

"Es gibt im Moment nur sehr wenig Transparenz, sodass es für niemanden einfach zu beurteilen ist, ob Projekte Vorteile für Ökosysteme oder Menschen bringen", bilanzierte Hauptautor Tim Lamont von der Lancaster University. "Wenn ein Unternehmen sagt, dass es Tausende von Bäumen gepflanzt hat, um Lebensraum wiederherzustellen und Kohlenstoff zu absorbieren – woher wissen wir dann, ob dies umgesetzt wurde, ob die Bäume überleben werden und ob dadurch ein funktionierendes Ökosystem entstanden ist, das der Artenvielfalt und den Menschen zugutekommt?", sagte Lamont. "In vielen Fällen haben wir festgestellt, dass die Beweise, die große Unternehmen zur Untermauerung ihrer Behauptungen vorgelegt haben, nicht ausreichen."

Große internationale Konzerne könnten eine Schlüsselrolle bei der Wiederherstellung von Ökosystemen spielen, schreiben die Forscher in "Science". Es sei jedoch mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht erforderlich, um sicherzustellen, dass ihre Projekte auch gute Ergebnisse liefern.

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Ein Waldgebiet in den Canby Mountains im Rio Grande National Forest, Colorado. Wiederaufforstung ausgedünnter Waldregionen sei tendenziell besser als eine Neuanpflanzung, meinen die Forschenden.
Foto: GETTY IMAGES NORTH AMERICA/BRAND

Viele Faktoren spielen eine Rolle

Bäume binden Kohlendioxid (CO2) aus der Luft und speichern Kohlenstoff (C). Wie viel, hängt von der Baumart, den Standortbedingungen und der Lebensdauer ab. Für die Photosynthese entnimmt der Baum das CO2 aus der Atmosphäre. Der C aus dem CO2 wird unter anderem genutzt, um Wurzeln, Stämme und Blätter auszubilden: Viel davon wird im Baum eingelagert. Der Sauerstoff (O2) aus dem CO2 wird an die Luft abgegeben.

Die Speichermenge ist abhängig von der Baumart: Je schwerer und dichter das Holz, desto mehr Kohlenstoff wird gespeichert. Auch das Alter der Bäume spielt eine Rolle: Sehr junge Wälder speichern weniger als alte. Zu beachten sei auch die geografische Lage, schreibt die Stiftung Unternehmen Wald, die sich für Naturschutz und Waldforschung einsetzt: Tropische Wälder wachsen demnach schneller als Wälder in Europa und speichern dabei daher im gleichen Zeitraum mehr CO2. Als Faustformel nennt die Stiftung: Ein Hektar Wald speichert pro Jahr über alle Altersklassen hinweg circa sechs Tonnen CO2.

Vom Grundgedanken her sei die Idee "nicht verkehrt", sagt PIK-Forscher Reyer, der zu den Folgen des Klimawandels für Wälder und möglichen Gegenmaßnahmen forscht. "Aber in der Praxis wird es halt oft nicht so gut gemacht." Wenn Unternehmen Bäume pflanzen, "dann heißt das noch nicht, dass diese Bäume auch überleben". Nur eine Baumart zu pflanzen macht meist keinen Sinn: Monokulturen haben wenig Resistenzen gegen Stürme oder Trockenheit und fallen schneller Schädlingen zum Opfer.

Vernichtung von Ökosystemen

Manchmal würden durch Aufforstungsprojekte auch bestehende Ökosysteme vernichtet, zum Beispiel Moore oder Steppen. Andernorts würden illegale Siedlungen geräumt, mit der Folge, dass sich die Menschen woanders neue Behausungen bauen und dabei in andere, noch intakte Ökosysteme eindringen. Ein neu gepflanzter Wald könne auch den Boden austrocknen oder andere Nebeneffekte haben. "Letztlich muss man die Gesamtklimabilanz im Auge behalten", so Reyer.

All das sei im Prinzip bekannt. Und es gebe auch wirklich tolle Projekte, die das beherzigen, betont der Wissenschafter. Nur der Verbraucher, der mit diesem "Ablasshandel" sein Gewissen beruhigen will, könne sie nicht von weniger sinnvollen Projekten unterscheiden. Die verschiedenen Zertifizierungssysteme auf dem Markt sieht Reyer kritisch. Es gebe für Baumpflanzaktionen keinen rechtlichen Rahmen, aber "viel Wildwuchs". Ein Tipp des Fachmanns: Eine Wiederaufforstung sei tendenziell besser als eine Neuanpflanzung, da hier zumindest sichergestellt ist, dass sich der Ort für Wald eignet. (red, APA, 28.9.2023)