Auch 2023 wird, was den CO2-Ausstoß betrifft, nicht die Trendwende bringen. Laut einer Prognose von Fachleuten des Global Carbon Budget werden die Treibhausgasemissionen im Jahr 2023 mit 36,8 Milliarden Tonnen CO2 einen neuen Höchststand erreichen. Die Aussichten sind deshalb alles andere als rosig. Mit der aktuellen Klimapolitik würde sich die Welt bis 2100 um rund 2,7 Grad erwärmen.

Immerhin: Die CO2-Emissionen steigen immer langsamer – und auch die zukünftige Klimaerhitzung wurde schon einmal höher prognostiziert. In vielen Gebieten, etwa in den USA oder der Europäischen Union, sinkt der Treibhausgasausstoß bereits seit Jahren. Das 1,5- oder Zwei-Grad-Ziel zu erreichen ist nicht mehr ganz so unrealistisch, wie es noch vor einigen Jahren schien.

In vergangenen Monaten nahmen die Regierungen einiger Staaten allerdings Klimaschutzmaßnahmen zurück, verschoben Klimaziele nach hinten oder zügelten ihre Ambitionen zur Emissionsminderung.

Rishi Sunak vor einem Rednerpult
Der britische Premier Rishi Sunak nahm viele Klimagesetze seiner Vorgänger wieder zurück.
AFP/POOL/JUSTIN TALLIS

Vereinigtes Königreich: Klimapolitische "Abrissbirne"

Seit 1990 hat das Vereinigte Königreich seine Treibhausgasemissionen um 44 Prozent gesenkt – und das, obwohl die Bevölkerung in dieser Zeit um über 17 Prozent, die Wirtschaft sogar um zwei Drittel gewachsen ist. Kohlestrom ist innerhalb weniger Jahre praktisch bedeutungslos geworden, die letzten Meiler sollen Ende 2024 vom Netz gehen. Das letzte neue Auto mit Verbrennungsmotor sollte bereits 2030 verkauft werden, fünf Jahre früher als in der Europäischen Union. Vieles davon hatte der ehemalige Premierminister Boris Johnson zu verantworten, der sich als Gastgeber der Klimakonferenz 2021 als Unterstützer ambitionierter Klimaziele inszenierte.

Sein Nach-Nachfolger, der aktuelle Premier Rishi Sunak, hat in der britischen Klimapolitik inzwischen eine Kehrtwende eingeläutet. Ende 2022 erteilte die Regierung zum ersten Mal seit drei Jahrzehnten eine Genehmigung für eine neue Kohlemine, im Sommer handelte sich Sunak harsche Kritik für die Ankündigung ein, die Erdöl- und Erdgasproduktion in der Nordsee ausreizen zu wollen. Ende September gab Großbritannien dann final grünes Licht für ein neues Großprojekt zur Förderung von Erdöl und Erdgas. Hunderte weitere neue Bohrlizenzen sollen folgen.

Die umstrittene Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke HS2, die London mit Manchester verbinden sollte, stutzte Sunak zusammen. Die so eingesparten Milliarden sollen in den Ausbau "aller Verkehrsarten" investiert werden – etwa in Lokal- und Straßenbahnen, aber auch in neue Straßen. Geht es nach Sunak, sollen neue Diesel- und Benzinautos zudem doch noch bis 2035 verkauft werden dürfen. Das fossile Aus soll auch im Wärmesektor später kommen, bei der Umstellung von Öl- und Gasheizungen auf Wärmepumpen bremst Sunak ebenso wie bei den Regeln für mehr Energieeffizienz.

Diese hätten dazu beitragen sollen, dass für die Beheizung der oft schlecht isolierten Häuser im Vereinigten Königreich weniger Energie verbraucht wird. Hauseigentümer hätten sicherstellen müssen, dass die von ihnen vermieteten Wohnungen einen höheren Effizienzstandard erfüllen – die Vorschriften kommen in dieser Form nun nicht. Die Regierung werde Energieeffizienz zwar weiter fördern, aber niemanden dazu zwingen, sagte Sunak im September. Auf Social Media kündigte der Premierminister an, auch Fleisch- und Flugsteuern, verpflichtendes Carsharing oder das "Sortieren von Müll in sieben verschiedene Tonnen" zu stoppen – allerdings gehört nichts davon zur offiziellen politischen Linie der Vorgängerregierungen.

Als Grund für das Zurückfahren der klimapolitischen Maßnahmen nannte Sunak die schwächelnde Wirtschaft und die gestiegenen Lebenshaltungskosten, Großbritannien könne es sich angesichts seiner Vorreiterrolle leisten, etwas weniger für das Klima zu tun. Dabei würden mehr nachhaltige Energien und Energieeffizienz langfristig auch zu geringeren Kosten führen. Allein die vom ehemaligen Premier David Cameron gestoppten Maßnahmen würden heute zu 2,5 Milliarden Pfund mehr Energiekosten führen, analysiert das Medium Carbon Brief.

Von Umweltschützerinnen und Umweltschützern hagelt es Kritik. Sunak würde die Klimapolitik Großbritanniens "mit der Abrissbirne" zerstören, hieß es etwa von Oxfam. Auch das Climate Change Committee, das offizielle Beratungsgremium der britischen Regierung, zweifelt daran, dass die Emissionsziele mit der neuen Klimapolitik erreicht werden können. Sunak hatte stets betont, die Klimaneutralität bis 2050 und die internationalen Klimaverträge einhalten zu wollen.

Schweden

Schweden hat in puncto Klimaschutzmaßnahmen im vergangenen Jahr laut Climate Change Performance Index (CCPI) stark abgebaut. Das internationale Ranking bewertet jedes Jahr die Klimaschutzmaßnahmen einzelner Länder, und diesem zufolge ist Schweden von einem sehr guten fünften auf den zehnten Platz abgerutscht. Insgesamt werden 67 Länder bewertet, wobei die ersten drei Ränge bisher immer unbesetzt blieben, da die "Kriterien von keinem Land erfüllt" worden sind. Das erste genannte Land ist Dänemark auf dem offiziellen vierten Platz, gefolgt von Estland, den Philippinen und Indien. Den letzten Platz belegt Saudi-Arabien.

Mann in Warnweste an einer Zapfsäule
Volvo-Mitarbeiter beim Betanken eines Brennstoffzellen-Lkws: Schweden gilt als Klimavorreiter.
APA/AFP/SERGEI GAPON

Doch wie konnte das Musterland Schweden innerhalb eines Jahres so viele Plätze verlieren? Das Land schneide bei den Treibhausgasemissionen und den erneuerbaren Energien gut ab, so die CCPI-Begründung, "in der Klimapolitik fällt das Land jedoch steil ab". Seit gut einem Jahr hat Schweden eine neue Regierung unter der Führung des Konservativen Ulf Kristersson, und seither wurden einige Klimaschutzmaßnahmen zurückgefahren. Expertinnen und Experten haben bereits davor gewarnt, dass das Land im CCPI-Ranking zurückfallen würde.

Vor sechs Jahren galt Schweden als Vorreiter im Klimaschutz. Damals hat die Regierung verkündet, bis 2045 Klimaneutralität erreichen zu wollen. Die restlichen EU-Staaten streben Klimaneutralität bis 2050 an. Doch das hochgesteckte Ziel scheint nun in weite Ferne zu rücken, und auch die Emissionsziele für 2030 könnte das Land verfehlen. Diese Warnung hat der schwedische Rat für Klimapolitik, eine unabhängige Behörde, die die Klimapolitik der Regierung überprüft, bereits im Mai dieses Jahres ausgesprochen. Auch die Expertinnen und Experten von CCPI kritisieren Rückschritte im Klimaschutz.

Anstatt bis 2045, wie ursprünglich geplant, komplett auf erneuerbare Energie umzusteigen, verfolge die Regierung nun lediglich das Ziel auf fossilfreie Energieträger umzusatteln. Diese Wortwahl schließt die Stromgewinnung durch Kernenergie nicht mehr aus. Medienberichten zufolge hat die schwedische Regierung zudem das Budget für Klima- und Umweltschutz um etwa 22 Millionen Euro gekürzt und die Steuern für Diesel und Benzin ebenso wie den Anteil an Biokraftstoff, der den fossilen Treibstoffen beigemischt werden muss, gesenkt. "Sollte die Regierung ihre progressiven Klimaziele weiterhin zurückfahren, wird das Land im Ranking weiter zurückfallen", warnt CCPI.

Niederlande: Kann sich Wilders durchsetzen?

Auf den ersten Blick sieht das Klimazeugnis der Niederlande nicht gut aus: Das Land verbraucht überdurchschnittlich viel Energie, hat die höchste Dichte an Nutztieren in Europa und verursacht pro Kopf auch mehr CO2-Emissionen als die meisten anderen europäischen Staaten. Doch die Maßnahmen der Regierung stehen im Einklang mit dem Plan der EU, die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren. Mit der Nutzung der erneuerbaren Energien geht es steil bergauf, Kohle soll bis 2030 aus dem Strommix verschwinden, bis 2035 soll die Stromerzeugung ganz frei von fossilen Energieträgern sein.

Um die Stickstoffemissionen zu reduzieren, hat die Regierung zudem angekündigt, die Viehbestände bis 2030 zu halbieren und Landwirte dafür zu entschädigen. Trotz Protesten und Ausschreitungen – und dem Aufstieg der neuen Bauer-Bürger-Bewegung (BBB) bei den Regionalwahlen – hielt die Regierung an ihrem Plan grundsätzlich fest.

Geert Wilders vor Mikrofonen, hält etwas grünes, rundliches in seinen Händen
Geert Wilders gewann mit seiner PVV die Mehrheit bei den niederländischen Parlamentswahlen. Er will unter anderem aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen.
IMAGO/Robin Utrecht

Doch die Zukunft des niederländischen Klimaplans ist nach dem Sieg der rechten PVV von Geert Wilders bei der Parlamentswahl Ende November ungewiss. Die PVV will das Klimapaket "direkt in den Schredder" wandern lassen, wie es im Parteiprogramm heißt. Zudem will die Partei den Bau neuer Wind- und Solarparks stoppen, aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen und dafür mehr Öl und Gas aus dem Boden unter der Nordsee holen. Das Tempolimit, derzeit bei 100 Kilometern pro Stunde, will die PVV auf 140 erhöhen.

Die "hysterische CO2-Reduktion" der Niederlande müsse ein Ende finden, ist im Parteiprogramm weiter zu lesen, schließlich könnten die Niederlande als kleines Land die Welt nicht retten. Dass das Land zu großen Teilen unter dem Meeresspiegel liegt, ist für die Partei von Wilders dabei unerheblich, schließlich haben die Niederlande Erfahrung mit dem Leben unter der Normalnull – und die "besten Wasseringenieure" der Welt.

Die Umsetzung der klimapolitischen Pläne der PVV ist jedoch maßgeblich von der Unterstützung möglicher Koalitionspartner abhängig. Um eine Regierungsmehrheit im Parlament zu erlangen, benötigt die PVV zwei weitere Parteien. Der bevorzugte Koalitionspartner, die rechtsliberale NSC, verfolgt in der Klimapolitik jedoch einen deutlich progressiveren Kurs als die PVV. Ob der Klimaschutz in den Koalitionsverhandlungen Priorität haben wird, ist derzeit noch offen.

China: Verschmutzer und Vorreiter

Die Rolle Chinas in der weltweiten Klimapolitik ist paradox: Der Staat ist einerseits der größte CO2-Emittent der Welt und für rund ein Drittel des weltweiten Treibhausgasausstoßes verantwortlich. Gleichzeitig werden erneuerbare Energien nirgendwo sonst in so großem Maßstab und schnell ausgebaut wie in China. Dieses Jahr sollen in der Volksrepublik Wind-, Sonnen- und Wasserkraftwerke mit einer Leistung von rund 1400 Gigawatt ans Netz gehen. Das ist mehr als in der EU, den USA, Indien und Afrika zusammen.

Doch auch bei der Verbrennung von Kohle ist China Weltmeister, derzeit wird noch beinahe Jahr für Jahr mehr vom schmutzigsten aller Energieträger verbrannt. Deshalb ist klar: Die Pariser Klimaziele können nur erreicht werden, wenn auch der größte Klimaverschmutzer mitspielt. Offiziell hat sich China zwei Ziele gesetzt: Spätestens 2030 sollen die CO2-Emissionen zu sinken beginnen, bis 2060 will der Staat klimaneutral sein.

John Kerry und Xie Zhenhua bei COP28 in Dubai 2023, grüner Hintergrund
Klimaverhandler John Kerry (links) und Xie Zhenhua (rechts) auf der Weltklimakonferenz 2023: Ohne die USA und China, die beiden größten CO2-Emittenten, ist keine Klimawende zu machen.
REUTERS/AMR ALFIKY

Darüber hinaus redet China eher ungern über Emissionsverpflichtungen. Bei den UN-Klimakonferenzen ist China dafür bekannt, die gemeinsamen Ziele abzuschwächen und vor allem Passagen, die Kohleenergie betreffen, zu streichen. Auch beim G20-Klimatreffen im Juli sollen die chinesischen Verhandelnden Verhandlungen über CO2-Reduktionsziele gezielt behindert haben. Erst wenige Tage davor stellte Staatspräsident Xi Jinping vor einem Treffen mit dem US-Klimabeauftragten John Kerry im Fernsehen klar: Die Ziele für 2030 und 2060 stehen, aber wie – und wie schnell – man dorthin gelange, entscheide allein China selbst.

Abseits von der politischen Weltbühne macht China jedenfalls reale Fortschritte. Neben dem massiven Ausbau erneuerbarer Energien fahren auch immer mehr Elektroautos auf Chinas Straßen. Jeder dritte 2023 neu zugelassene PKW ist ein Hybrid- oder rein batterieelektrisches Fahrzeug. Der Ölkonzern Sinopec prognostiziert deshalb bereits den Höhepunkt des Benzinverbrauchs in China in diesem Jahr. Das hat allerdings auch ressourcenpolitische Gründe: Denn China ist arm an Öl-, aber reich an Kohlevorkommen. Wenn E-Autos aber mit klimaschädlichem Kohlestrom betankt werden, mindert das zwar China Abhängigkeit von ausländischen Rohstoffen, hilft aber dem Klima nicht.

Ob China seine Klimaziele tatsächlich halten kann, hängt deshalb vor allem davon ab, wie schnell das Land von der Kohle loskommt. Denn auch wenn der Anteil erneuerbarer Energien in Chinas Energiemix stetig steigt, in absoluten Zahlen nimmt auch die Menge verbrannter Kohle zu. In der ersten Jahreshälfte 2023 hat China bereits Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 52 Gigawatt genehmigt. Das entspricht zwei Kraftwerken pro Woche.

Es gibt auch Licht

Doch obwohl die Klimapolitik in vielen Ländern rückschrittlich ist oder kurz vor dem Kippen steht, gibt es auch Positives zu vermelden. So gab die Klimakonferenz COP 28 in Dubai zur Überraschung vieler Beobachtenden letztlich doch noch ein starkes Signal für ein Ende der fossilen Brennstoffe. Obwohl sich die Staaten nicht auf einen kompletten Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas einigen konnten, gab es immerhin eine Bekenntnis zur Abkehr von fossilen Brennstoffen – und zwar "im Einklang mit der Klimaneutralität bis 2050".

Die knapp 200 Teilnehmerstaaten des UN-Klimarahmenprotokolls einigten sich außerdem darauf, die Kapazität an erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdreifachen. Bis dahin soll sich weiters die jährliche Steigerungsrate der Energieeffizienz verdoppeln. Die Kombination aus diesen beiden Maßnahmen soll bis zum Ende des Jahrzehnts möglichst viele fossile Brennstoffe verdrängen.

Fortschritte gibt es auch beim Kampf gegen Methanemissionen. Methan erhitzt die Welt stärker als CO2, bleibt allerdings viel kürzer in der Atmosphäre, weshalb der Treibhauseffekt schnell abnimmt, wenn weniger Methan in die Atmosphäre gelangt. Auch im Abschlusstext der COP 28 wurde Methan genannt, eine Reihe von Staatenschloss sich dem Methane Pledge an. Die bereits 2021 gestartete Initiative zielt darauf ab, insbesondere den Methanausstoß im Energiesektor zu mindern. Dort lassen sich Emissionen laut der Internationalen Energieangentur besonders leicht und günstig reduzieren. In den USA müssen Öl- und Gasförderstätten ihre Methanemissionen bald melden – ein erster Schritt zu weniger Methan in der Atmosphäre. (Julia Beirer, Philip Pramer, 29.12.2023)