Beim Besuch auf Korsika gab sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ganz volksnah.
AFP/PASCAL POCHARD-CASABIAN

Frankreich ist ein Zentralstaat, der nicht nur seine Bürger und Bürgerinnen, sondern alle Regionen exakt gleich behandelt. Deshalb ist das Baguette-Brot noch im entferntesten Überseegebiet wie Guadeloupe oder Tahiti gleich lang: Das Reglement verlangt es so. Korsika liegt bedeutend näher beim Mutterland. Macron besuchte die Mittelmeerinsel und ihre 340.000 Bewohnern am Donnerstag für eine Weltkriegszeremonie. Zur allgemeinen Überraschung nahm er dabei als erster französischer Staatschef das Wort "Autonomie" in den Mund. "Haben wir die Kühnheit, eine Autonomie für Korsika innerhalb der Republik zu schaffen", versprach er bei einem feierlichen Auftritt vor dem Inselparlament.

Als höchster Vertreter des Zentralstaates machte der Präsident klar, dass das neue Inselstatut nicht "ohne den Staat, nicht gegen den Staat" existieren könne. Ein Jahr nach dem Tod des bekanntesten, wegen Mordes an einem Staatsvertreter verurteilten Separatisten Yvan Colonna befand Macron, dass die Zeit gekommen sei, der Insel mehr Eigenständigkeit einzuräumen. Konkret verpflichtete sich Macron, die Autonomie binnen sechs Monaten in die französische Verfassung einzuschreiben und die daraus resultierenden Änderungen vorzunehmen. Die Korsen sollen eigene Normen erlassen und namentlich auch ihre Sprache fördern können – ein altes Anliegen der Inselseparatisten.

Dass es ihm ernst damit ist, verdeutlichte Macron, indem er sagte, die "île de beauté" – Insel der Schönheit, wie sie in Frankreich genannt wird – verdiene es, ihre "Seele" und ihre "Identität" wahren und pflegen zu können. So viel Verständnis aus dem in Korsika verhassten Paris hatte bisher kein französischer Präsident aufgebracht.

"Napoleon müsste sich im Grab umdrehen"

In der Hauptstadt kritisierten denn auch Vertreter vieler Parteien, dass Frankreich laut Verfassung "eins und unteilbar" sei. Darauf beruhe der französische Gleichheitsgedanke, der durch ein Autonomiestatut verletzt werde. Jean Messiha, der Vorsteher des Instituts "Vivre français" (französisch leben), schimpfte, dass ein Staatschef die Nation einigen und zusammenhalten müsste; Macron tue das Gegenteil. "Napoleon müsste sich im Grab umdrehen", wetterte Messiha, daran erinnernd, dass der ehemalige französische Kaiser und nationale Einiger selber Korse gewesen sei.

Radikal anders tönte es auf der Insel. Der Vertreter der Partei "Corsica Libera", Guy Talamoni, fragte skeptisch, ob die versprochene Autonomie eingehalten würde, wenn es in Paris so starke Widerstände gäbe. Dabei ginge das neue Inselstatut gar nicht sehr weit, wenn man genau hinsehe: Die korsische Sprache solle "nur" an den Schulen gelehrt, aber nicht offiziell anerkannt werden. So werde sie dem Französischen – der Sprache der Republik – nicht auch nur annähernd gleichgestellt. (Stefan Brändle aus Paris, 28.9.2023)