Alida Bremer
Übertriebene Vorhaben, tragische Helden: Alida Bremer.
Privat

Es-war-einmal-ein-Junge-und-er-hieß-Anton. Ante-Anton-Anthony-Toni-Tonko-Tonc?i-Antonius-Antonino-Antun-Antis?a-Ant e." Vielfache Zugehörigkeiten sind verdächtig. Vor allem in nationalistischen Zeiten. So wird jener Anton ohne gültigen Pass in England als Spion verhaftet, erzählt Alida Bremer im Roman Tesla oder Die Vollendung der Kreise.

Welt im Aufbruch

Die Autorin folgt darin dem Weg zweier aus Triest stammender Freunden, des Italieners Ernesto und des Kroaten Anton, die jung nach New York City auswandern. Die Welt befindet sich im Aufbruch, Errungenschaften in Wissenschaft und Technik signalisieren den Übergang in eine neue Epoche. Bevor die beiden aufbrechen, ist der serbische, in Kroatien geborene Nikola Tesla bereits ihr Vorbild. Er hat es in den USA zu Ruhm und Geld gebracht. Der Erfinder, Elektrotechniker, Physiker und Lebemann Tesla symbolisiert für die Halbwüchsigen die unbegrenzten Möglichkeiten, die sie in Amerika erwarten.

Tesla ist Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts aufgrund seiner Experimente und Patente bekannt, residiert in luxuriösen Hotels. Dass er sich zeitweise in Spekulationen, fachlich und finanziell, verrennt, erfahren seine Anhänger erst allmählich. Die Jugendlichen arbeiten in Gelegenheitsjobs, Anton als Dolmetscher in einem anatomischen Museum, Ernesto hilft in Restaurants aus. Der literarisch gebildete Italiener will Schriftsteller werden. Anton fühlt sich zur Medizin hingezogen. Bremer folgt ihren Erkundungen des neuen Umfelds, schafft so ein Zeitbild Manhattans kurz nach der Jahrhundertwende.

Treffen mit dem Meister

An den Treffpunkten der Einwanderer aus verschiedenen Regionen Osteuropas werden Identitäten verhandelt: "Solange sie zusammen nostalgische Lieder sangen, Schnaps tranken und deftige Fleischspeisen verzehrten, waren die Slawen Brüder und Verbündete, aber ein falsches Wort über Geschichte, Sprache, Religion oder Kultur, und schon teilten sie sich in uns, euch und die, wobei die Mitglieder der zahlenmäßig größeren slawischen Völker jenen aus den kleineren erklärten, dass sie gar keine eigenständigen Völker seien."

Neben Liedern und Schnaps bildet damals auch Nikola Tesla einen gemeinsamen Nenner der Slawen, schreibt Bremer. Dann kommt es zu einem Treffen der Freunde mit Tesla im Grandhotel. Anton wird später die von Tesla empfohlenen Heilmethoden mit Elektrizität in seine Praxis als Arzt integrieren. Ernesto beginnt an einem Theaterstück über den Verehrten zu arbeiten, das den Titel des Romans von Bremer trägt. Sein Vorhaben könnte auch auf die Autorin zutreffen: "So wie Tesla Poesie in die Wissenschaft einbaut, werde ich Wissenschaft zu Poesie verarbeiten."

Buchcover
Alida Bremer, "Tesla oder Die Vollendung der Kreise". € 25,– / 400 Seiten. Jung und Jung, Salzburg 2023
Verlag

Interkulturelle Wissensvermittlerin

Grundlage für diesen Roman bildeten anscheinend Aufzeichnungen jenes Ante Matijaca – von Bremer Anton genannt –, die sie aus dem Kroatischen übertragen hat. Die Autorin zitiert originale Ausschnitte, in denen der Arzt sich zu seiner medizinischen Praxis äußert, welche auch die Lehre von Kräutern und psychologische Erkenntnisse miteinbezieht.

Die aus Kroatien stammende, in Deutschland lebende Autorin wird so von der Übersetzerin zwischen Sprachen und Kulturen zur Wissensvermittlerin, plädiert wie bereits in anderen Romanen und Essays für die Abkehr vom Vorurteil, dass es im Balkan nur Hinterwäldler oder minderbemittelte Barbaren gebe. Sie will Wissenschaftsgeschichte revidieren und die philosophischen, technischen, medizinischen Errungenschaften der dortigen Forscher bekanntmachen.

Moderner Prometheus

Die Ironie der Geschichte will es, dass der Erfinder nach dem Zweiten Weltkrieg in die Propagandamaschine des sozialistischen Jugoslawien eingespeist wird. Sein Nachlass wurde von seinem Neffen nach Belgrad geschafft und dort in einem Museum ausgestellt, seine Asche in einer goldenen Kugel präsentiert.

Ab nun ist Tesla ein sozialistischer Held, "Symbol für gute Schulen, für die Bildung der Arbeiterkinder, für Modernität, Prosperität und die helle Zukunft, der die sozialistische Gesellschaft unablässig entgegenschreite". Im Westen bleibt Tesla lange unbekannt. Bis der Exzentriker Elon Musk, Ikone eines narzisstischen Hyperkapitalismus, dessen Namen als Marke zusammen mit der Firma übernimmt und sich seitdem als Künder neuer technologischer Epochen aufführt.

In Bremers Roman ersteht die Person Teslas als Hohlform aus Geschichten, Legenden, Spekulationen, mehr Gerücht als lebendiger Mensch. Andererseits hat der zurückgezogen lebende Erfinder sich zeitlebens als moderner Prometheus inszeniert – in Fotografien, die ihn etwa mit einer mannshohen Spiralspule oder von Blitzen umschwirrt zeigen –, ein versierter Darsteller seiner selbst. So ist es kein Zufall, dass mittlerweile sein Name als Zeichen für Fortschritt gilt. "Sein Vorhaben war eine Übertreibung, der Traum eines tragischen Helden", konstatiert Bremer. Das fiktive Theaterstück, das Ernesto über Tesla plante, wurde nie fertiggestellt, sein Autor starb jung. (Sabine Scholl, 29.9.2023)