Wie eine Zentralheizung versorgen die Ausläufer des Golfstroms weite Teile von Europa mit Wärme. Die Meeresströmung im Westatlantik ist ein Rädchen in einer komplexen Strömungsmaschinerie, in der es in den vergangenen Jahren hörbar zu knirschen begonnen hat. Das südliche Ende des Golfstroms bildet der Floridastrom, im Norden vereinigt er sich vor der Küste Neufundlands teilweise mit dem kalten Labradorstrom. Dabei verzweigt sich der Golfstrom und bildet mehrere Äste aus. Einer davon liefert als Nordatlantikstrom das warme Wasser aus dem Golf von Mexiko an die europäischen Küsten, wo es für ein mildes Klima sorgt.

Motor des Nordatlantikstroms ist die "thermohaline Zirkulation": Auf dem Weg zum nördlichen Ende des Nordatlantikstroms kühlt das Wasser ab, und ein Teil davon verdunstet, wodurch sich der Salzgehalt erhöht. Das Wasser wird schwerer und beginnt zu sinken. Diesen Prozess nennt man Konvektion. In der Tiefe strömt das Wasser zurück Richtung Äquator und zieht neue Wassermassen nach. Das System wird auch als Nordatlantische Umwälzbewegung (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) bezeichnet.

Golfstrom, Schwächung, Klimawandel
Der Golfstrom erwärmt sich rund um Florida (hier links im Bild) und transportiert die gespeicherte Hitze bis vor die Küsten Europas.
Illustr.: Nasa

Störungen im System

Doch was passiert, wenn zusätzliches Frischwasser, etwa von den abschmelzenden Gletschern Grönlands, in dieses System gerät? Schon sehr früh haben Studien gezeigt, dass die Strömungen im Atlantik empfindlich auf große Mengen von Süßwasser an der Meeresoberfläche reagieren. Da der Abfluss von Schmelzwasser aus Grönland aufgrund der Klimaveränderungen und Regenfälle über dem Ozean zugenommen haben, wird vermutet, dass dies den Nordatlantikstrom verlangsamen oder womöglich sogar umkehren und den Wärmetransport nach Europa blockieren könnte. Indizien für eine Störung des Systems zeigen sich bereits an Schlüsselstellen des Golfstromkomplexes.

Eine der neuralgischen Zonen ist der Floridastrom. Sein Transportvolumen hat sich seit Anfang des letzten Jahrhunderts stetig verringert hat. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lag dieses noch bei mehr als 33 Millionen Kubikmetern pro Sekunde. Von 1982 bis zuletzt liegt die transportierte Wassermenge bei durchschnittlich 31,8 Millionen Kubikmetern pro Sekunde. Berechnungen ergaben eine Verringerung um 1,7 Millionen Kubikmeter pro Sekunde. Da die massivste Abschwächung in den vergangenen beiden Jahrzehnten verzeichnet wurde, schließen Fachleute natürliche Fluktuationen als alleinige Ursache aus.

Kein Zufall

Diese Verlangsamung konnte nun erstmals genauer beziffert werden: Ein Team um Christopher Piecuch von der Woods Hole Oceanographic Institution und Lisa Beal von der University of Miami berichtet, dass sich der Wassertransport durch die Straße von Florida in den letzten vier Jahrzehnten um vier Prozent verringert hat. Dass dieser Entwicklung eine zufällige Datenkollision ist, schlossen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit aus. "Dies ist der erste schlüssige Beweis dafür, dass sich diese Meeresströmung in der jüngsten Vergangenheit erheblich verändert hat", schreiben sie im Fachjournal "Geophysical Research Letters".

Golfstrom, Schwächung, Klimawandel
Der Floridastrom wird langsamer, das geht aus den analysierten Daten hervor, die von Unterwasserkabeln (orange Linien) und bei lokalen Messungen (gelbe Linie) gesammelt wurden.
Grafik: Piecuch, Beal et al./Geophysical Research Letters

Die Meerenge von Florida zwischen den Florida Keys, Kuba und den Bahamas steht seit Jahrzehnten unter wissenschaftlicher Beobachtung. Diesem Datengebirge ist es zu verdanken, dass die Gruppe einen signifikanten Trend speziell in den letzten zehn Jahren feststellen konnte. "Das Wissen um zurückliegende Veränderungen des Golfstroms ist wichtig für aktuelle Beobachtungen und die Vorhersage zukünftiger Trends", sagte Piecuch. Nicht untersucht wurde allerdings, ob die Abschwächung des Golfstroms auf den Klimawandel oder auf natürliche Faktoren zurückzuführen ist.

Daten aus drei Quellen

Die Ursachen der Veränderungen waren allerdings nicht Gegenstand der Studie. "Während wir definitiv sagen können, dass diese Abschwächung stattfindet, können wir nicht sagen, inwieweit sie mit dem Klimawandel zusammenhängt oder ob es sich um eine natürliche Variation handelt", sagte Piecuch. "Wir sehen eine ähnliche Abschwächung in Klimamodellen, aber für diese Studie waren wir nicht in der Lage, die Beobachtungsdaten zusammenzustellen, die es uns ermöglichen würden, die Ursache für den beobachteten Rückgang zu bestimmen."

Auf Basis Bayes'scher Modelle untersuchte das Team tausende von Datenpunkten aus drei unabhängigen Datensätzen: Messwerte von Unterseekabeln, Satellitenaltimetrie und Vor-Ort-Beobachtungen. Bei der Bayes'schen Modellierung wird die Unsicherheit innerhalb eines Modells mithilfe von Wahrscheinlichkeiten dargestellt. Die Analysen zeigten auch, dass das Weglassen eines beliebigen Datensatzes ebenfalls eine Abschwächung anzeigt. Daraus schlossen die Forschenden, dass man es hier mit einem allgemeinen Signal zu tun hatte, das nicht von einem bestimmten Datensatz abhängt.

Video: Globale Meeresströmungen
Kurzgesagt – In a Nutshell

Mehr als ein Zeuge

Piecuch erklärt die Bedeutung der Methodik mit einer Gerichtsverhandlung. "Wenn man seinen Fall vorträgt, braucht man mehr als einen Zeugen, im Idealfall möchte man eine Sammlung unabhängiger Zeugen, deren Aussagen zusammengenommen eine konsistente und kohärente Geschichte ergeben", sagte er. "Wir haben alle Zeugen in den Zeugenstand gerufen, die wir technisch einbeziehen konnten, um all diese Datensätze zusammenzubringen." Und das Gesamtbild der Zeugenaussagen ist verblüffend klar: Der Golfstrom hat sich in den letzten 40 Jahren um etwa vier Prozent abgeschwächt.

Für die Forschenden ist das eine erhebliche Veränderung, auch wenn sich nicht genau sagen lässt, wohin das noch führen wird. Der Golfstrom und die mit ihm verbundenen Strömungen sind entscheidende Komponenten des Klimas auf unserem Planeten, die sowohl extreme Wetterereignisse als auch die Durchschnittstemperaturen und Niederschlagsmengen beeinflussen. Das Team um Piecuch und Beal hofft, dass die von ihnen verwendete Datenanalyse auch auf andere Regionen des Ozeans angewendet werden kann, um zu mehr Klarheit finden. "Der Golfstrom ist eine lebenswichtige Arterie der Ozeanzirkulation, und die Auswirkungen seiner Abschwächung sind daher global", ist sich Beal freilich sicher. (Thomas Bergmayr, 2.10.2023)