In dieser Illustration sind das Binance-Logo und eine Aktiengrafik zu sehen
Die Kryptobörse Binance strauchelt. Eine Pleite könnte schwerwiegende Folgen für die Branche haben.
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Nach dem Zusammenbruch der Kryptobörse FTX schien es zunächst so, als würde Hauptkonkurrent Binance die Vorherrschaft übernehmen. Weniger als ein Jahr später kommt der Koloss der Kryptowelt aber selbst gehörig ins Straucheln und könnte im schlimmsten Fall vor dem Aus stehen. Bedroht durch mögliche Vollstreckungsmaßnahmen der US-Behörden, zeigt das Fundament des Binance-Imperiums besorgniserregende Risse. Davon zeugt zunächst die hohe Zahl von Abgängen in der Führungsetage in den letzten drei Monaten. Darüber hinaus hat die Börse allein in diesem Jahr rund 1.500 Mitarbeitende gekündigt, um sich auf einen bevorstehenden Geschäftsrückgang vorzubereiten und die Kosten zu senken – weitere Kündigungen könnten folgen.

Seit ihrer Gründung im Jahr 2017 rühmt sich die Kryptobörse Binance ihrer globalen Präsenz. Die Reichweite wird jedoch zunehmend zurechtgestutzt, da immer mehr Länder den Betrieb entweder verbieten oder zumindest einschränken wollen, auch in Europa. Besonders der US-amerikanische Zweig von Binance verzeichnet nicht nur einen starken Rückgang seiner Geschäftstätigkeit – er scheint mittlerweile im Begriff, sich regelrecht von selbst aufzulösen. Wichtige Führungskräfte, darunter CEO Brian Schroder, der Leiter der Rechtsabteilung und der Leiter des Risikomanagements, haben das Unternehmen bereits verlassen.

Zweifel an Zhao

Inmitten dieser turbulenten Phase ist Yi He, die Mitbegründerin und Chief Marketing Officer von Binance, sichtlich um Geschlossenheit bemüht. "Jede Schlacht ist ein Kampf auf Leben und Tod, und das Einzige, was uns besiegen kann, sind wir selbst", schrieb sie in einer Botschaft an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Darin versuchte sie auch, den unerschütterlichen Geist von Binance zu beschwören, und betonte, dass man sich in der Vergangenheit Herausforderungen gestellt und sie gemeistert habe und dies auch in Zukunft tun müsse.

Intern wird jedoch eher darüber diskutiert, ob Zhao zurücktreten sollte, da sein Verbleiben an der Spitze von vielen als schädlich für das Überleben des Unternehmens angesehen wird. Ein Vorfall im Sommer, bei dem Beschäftigte nach Entlassungen ihren Unmut zum Ausdruck brachten, sei nur ein Beispiel für die sinkende Moral im Unternehmen, wie das "Wall Street Journal" berichtete.

Die Risse werden größer

Die Auswirkungen dieser Veränderungen spiegeln sich bereits in Messwerten wider. Laut dem Datenanbieter Kaiko wickelt Binance derzeit rund die Hälfte aller Kryptowährungstransaktionen ab, zu Beginn des Jahres betrug dieser Anteil rund 70 Prozent. Noch mag Binance eine zentrale Rolle im Kryptomarkt spielen. Sollte die Kryptobörse – ähnlich wie FTX – von der Bildfläche verschwinden, könnte das noch schwerwiegendere Auswirkungen auf die Marktliquidität haben und den Kurs der Kryptowelt einmal mehr auf Talfahrt stellen. Dieses mögliche Szenario ist so alarmierend, dass ein institutioneller Händler gegenüber dem "Wall Street Journal" verriet, dass er Vorbereitungen trifft, um im Falle eines katastrophalen Ausfalls schnell Vermögenswerte von Binance abzuziehen.

Die Reichweite von Binance ist zudem nicht auf die Welt der Kryptowährungen beschränkt. Das Unternehmen hat auch in Kryptowährungsprojekte von Drittanbietern und in traditionellere Unternehmen investiert, einschließlich einer Beteiligung am Twitter-Nachfolger X. Hier ist Changpeng Zhao, der von seinen 8,6 Millionen Followern nur CZ genannt wird, das bekannteste Gesicht in der Krypto-Szene.

Doch die Klage, die die US-Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) gegen Binance (und Coinbase) eingereicht hat, ist noch nicht alles. Es gibt auch hartnäckige Gerüchte über eine umfassende Untersuchung durch das US-Justizministerium, die zu strafrechtlichen Anklagen gegen Binance und Zhao und Strafzahlungen in Milliardenhöhe führen könnte. Gleichzeitig wirft die SEC Binance und Zhao vor, Kundengelder innerhalb der USA veruntreut zu haben. Binance räumt gewisse Versäumnisse in der Vergangenheit ein, betont aber die Sicherheit der Kundengelder.

Rückzug aus Russland

Weitere Kontroversen gibt es um die Zusammenarbeit von Binance mit sanktionierten russischen Banken und die daraus resultierenden Ermittlungen wegen möglicher Verstöße gegen die US-Sanktionen gegen Russland. Nach den Enthüllungen über diese Geschäfte begann Binance, seine Aktivitäten in Russland, einem ehemals wichtigen Markt, sukzessive einzuschränken.

Dies ging so weit, dass das Unternehmen beschloss, sich vollständig aus Russland zurückzuziehen und seine dortigen Geschäftsaktivitäten an ein neu gegründetes Unternehmen mit dem Namen CommEX zu verkaufen. Diese Entscheidung hängt mit regulatorischen Bedenken zusammen, da Binance betont, dass die Geschäftstätigkeit in Russland plötzlich nicht mehr mit seiner Compliance-Strategie vereinbar sei. Es wird vermutet, dass der Transfer der russischen Binance-Nutzer auf die neue Plattform ungefähr ein Jahr dauern dürfte. Die Ungewissheit über die Hintermänner von CommEX und die Art des Kaufs sollte nicht nur in der russischen Krypto-Community für Aufsehen sorgen.

Klares Signal von Zhao

Noch zeigt Zhao trotz interner Herausforderungen und des Drucks von außen unerschütterliches Engagement und Entschlossenheit. In der Öffentlichkeit. Denn hinter den Kulissen unternimmt er bereits deutliche Schritte in der Auseinandersetzung mit den US-Behörden. Dazu gehört nicht nur die Einstellung eines neuen Rechtsbeistandes, sondern auch die persönliche Entscheidung, sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten niederzulassen. Dies ist bekanntlich ein Land, das mit den USA kein gegenseitiges Auslieferungsabkommen geschlossen hat. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. (bbr, 7.10.2023)