Victoriasee Ostafrika
Der Victoriasee gehört zu den Staaten Tansania, Uganda und Kenia. Als Süßwassersee bietet er unter anderem Lebensraum für enorm viele Barsch-Spezies.
AP/Patrick Onen

Der Victoriasee in Ostafrika ist der drittgrößte See der Erde – und flächenmäßig der zweitgrößte Süßwassersee nach dem Lake Superior zwischen den USA und Kanada. Er gehört zu Kenia, Tansania und Uganda, und darin leben nicht nur Flusspferde, sondern auch rund 250 verschiedene Fischarten. Hervorstechend sind dabei die Buntbarsche: Seit der letzten Austrocknung des Sees vor etwa 15.000 Jahren haben sich 500 neue Arten gebildet – das sind erstaunlich viele, die auf nur drei Stammarten basierten. Zwar sind etliche Spezies in der Zwischenzeit wieder ausgestorben, dennoch interessieren sich viele Biologinnen und Biologen für die Umstände, die im Victoriasee zu dieser Buntbarsch-Diversität geführt haben.

Bei der rasanten Evolution dürfte Erbgut-Recycling eine wichtige Rolle gespielt haben, wie eine neue Schweizer Studie in der Fachzeitschrift "Science" verdeutlicht. Beteiligt waren Fachleute des Naturmuseums Basel (NMB), des Schweizer Wasserforschungsinstituts Eawag und der Universität Bern. Sie analysierten über 460 Genome von Buntbarschen. Das Ergebnis: Die große Artenvielfalt ist nicht auf die Einwanderung von Arten aus anderen Seen zurückzuführen, sondern auf Neukombinationen im Erbgut der drei Stammarten.

Große und kleine Räuber

Ein Schlüsselelement in diesem Prozess war laut der Studie die wiederholte Vermischung und Aufspaltung von Arten. Als Beispiel dafür führte das NMB in einer Aussendung die Entstehung von Zwergprädatoren an. Die kleinen Raubfische entstanden durch die Kreuzung von großen Prädatoren und kleinen Planktonfressern. Durch solche Prozesse entstanden im Victoriasee Arten, die zwar nahe miteinander verwandt sind, sich aber auf unterschiedliche Lebensweisen spezialisiert haben und somit unterschiedliche ökologische Nischen besetzen.

Dies ist vergleichbar mit den Darwinfinken auf den Galápagos-Inseln: Aus einem gemeinsamen Vorfahren entstanden im Laufe der Zeit 18 verschiedene Arten, die unterschiedlich groß sind und deren Schnäbel unterschiedliche Formen haben. Entsprechend ernähren sich die Vögel mit kürzerem Schnabel eher von Insekten, die auf den beliebten Kaktuspflanzen leben, während Tiere mit langen Schnäbeln die Kaktusfrüchte durchbohren und so an das Fruchtfleisch herankommen können.

Im Victoriasee wiederholten sich Kreuzungen zwischen den verschiedenen Arten und machten es überflüssig, auf zufällige Mutationen zu warten, schreibt die Forschungsgruppe. Neue Arten entstanden so viel schneller als durch Mutation und natürliche Selektion.

Erhalt der Biodiversität

Dieses Wissen sei wichtig für die Erhaltung der Biodiversität, halten die Autorinnen und Autoren in der Studie fest: "Diese Erkenntnis legt nahe, dass wir über artzentrierte Erhaltungsstrategien hinauswachsen sollten und darauf abzielen sollten, ganze Artenkomplexe zu bewahren, um ihre Fähigkeit zur Anpassung und Diversifizierung zu erhalten."

Das dürfte auch den Victoriasee selbst betreffen. Bekannt wurde er auch für eine ökologische Katastrophe in den 1960er-Jahren: Die Ansiedlung des Nilbarschs, der als Speisefisch beliebt ist, führte mit zum Aussterben zahlreicher Buntbarscharten. Weil der Nilbarsch von vielen Menschen gegessen wird, ist sein Bestand heute übersichtlicher geworden. Aber auch andere Probleme schaden den Lebewesen im See, etwa Sauerstoffmangel und Umweltverschmutzung. Einem Bericht aus dem Jahr 2018 zufolge sind ein Fünftel von mehr als 600 untersuchten Arten, die im Becken des Viktoriasees leben, vom Aussterben bedroht, drei Viertel der endemischen Arten sind stark gefährdet. (APA, red, 5.10.2023)