Demonstration gegen Sexkauf. Auch das EU-Parlament sprach sich kürzlich für ein Verbot aus.
Demonstration gegen Sexkauf. Auch das EU-Parlament sprach sich kürzlich für ein Verbot aus.
IMAGO/Sven Simon

Soll man den Kauf von Sex und Sexarbeit gesetzlich so regeln, dass beides immer schwieriger wird? Oder muss einfach akzeptieren werden, dass es immer Menschen gibt, die sich auch Sex kaufen wollen, und ebenso, dass es immer Menschen geben wird, die sexuelle Dienstleistungen anbieten?

Die Diskussion, ob eine stärkere Regulierung oder eine Liberalisierung der besser Weg sei, gibt es schon lange. Frauen üben diese Beruf freiwillig und selbstbestimmt aus, das sei ihr gutes Recht, und sie hätten deshalb einen Anspruch auf gesetzlichen Schutz und eine entstigmatisierende Politik, sagen die einen. Andere meinen, Sexarbeit würde immer unter irgendwelchen Zwängen ausgeübt, seien es finanzielle oder weil man keine Chance auf eine andere Arbeit hätte. In diese Richtung denkt nun auch das Europaparlament: Mitte September hat man sich dort auf ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten nordischen Modell ausgesprochen. Zudem sollen Sexarbeiter:innen Zugang zu Ausstiegsprogrammen bekommen.

Das nordische Modell kriminalisiert einvernehmliche Prostitution. Allerdings machen sich nicht die Sexarbeiter:innen strafbar, sondern die Freier – weshalb auch von einem Sexkaufverbot die Rede ist. Länder wie Schweden, Norwegen, Kanada oder Frankreich reglementieren derzeit Sexarbeit so. In den langjährigen Debatten werden immer wieder sich widersprechende Studien angeführt.

So gibt es Studien, die tatsächlich einen Rückgang der Nachfrage von Sexarbeit bescheinigen – allerdings nur für eine Form von Sexarbeit, die Straßenprostitution. Nun haben aber andere Studien gezeigt, dass diese online nach Escort-Diensten gestiegen ist. "Es hat sich also nur verschoben", sagt Meryem Vural. Sie ist Universitätsassistentin am Institut für Theorie und Zukunft des Rechts und sieht im nordische Modell nicht den geeigneten Weg, um die Lage für Sexarbeiter:innen zu verbessern. Vielmehr sollte Sexarbeit legalisiert oder weiter liberalisiert werden. Das sei auch in Österreich noch nötig, sagt sie.

Inhomogene Gesetzeslage

Wie bei vielen Regelungen in Österreich ist die Gesetzeslage von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Zwar ist es grundsätzlich legal, dass erwachsene Personen sexuelle Dienstleistungen anbieten und kaufen. Doch während in Wien etwa Straßenprostitution erlaubt ist, ist sie in allen anderen Bundesländern verboten. In Tirol sind Bordelle zwar in manchen Zonen erlaubt. Doch wer sich belästigt fühlt, kann das durch Anträge verhindern. Auch in Vorarlberg sind Bordelle zwar zugelassen, werden aber nicht genehmigt, weil sich die jeweiligen Gemeinden wehren. Selbst auf der Seite des Bundeskanzleramtes wird die Regulierung von sexuellen Dienstleistungen in Österreich als "komplex und inhomogen" bezeichnet.

Ob sichtbar oder nicht. Sexarbeit gibt es auch dort, wo die Gesetze für Sexkauf streng sind. Im Bericht des EU-Parlaments wird auf Studien verwiesen, die veraltet sind, kritisiert Meryem Vural. Aktuell ist hingegen eine Studie aus Nordirland, wo 2015 der Kauf sexueller Dienstleistungen komplett verboten wurde. Die Auswirkungen des Verbots hat die Queens-Universität Belfast untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass Gesetze für das Angebot und die Nachfrage von Sexarbeit nur wenig Einfluss haben. Seit dem Verbot sei das Geschäftsvolumen von Sexarbeiter:innen sogar gestiegen.

Welche Formen der Sexarbeit genau werden in Studien untersucht? Und welche Modelle werden miteinander verglichen? Diese Fragen werden bei Studien, die zu Sexarbeit zitiert werden, oft nicht berücksichtig, sagt Meryem Vural. So sei es zum Beispiel ein großer Unterschied, ob es in einem Land eine weitgehende oder nur eine teilweise Liberalisierung von Sexarbeit und Sexkauf gibt – bleiben diese Differenzen unberücksichtigt, verhindere das seriöse Vergleiche. So zeigte eine Studie aus dem Jahr 2012 einen Zusammenhang zwischen der Legalisierung von Sexarbeit und einem Anstieg von Menschenhändlerinnen und Menschenhändlern auf, die Studie wurde allerdings für 150 Länder durchgeführt, bei denen der Grad der Legalisierung nicht berücksichtigt wurde. Und in der vielzitierten Studie zu den positiven Effekten des Sexkaufverbots wurde etwa die illegale Sexarbeit nicht berücksichtigt, "die ja trotzdem stattgefunden hat", sagt Vural.

In die Prekarität gedrängt

NGOs wie Amnesty International oder Human Rights Watch sprechen sich klar für eine Entkriminalisierung von Sexarbeit aus. Auch beim Beratungszentrum für Sexarbeiterinnen* Sophie der Volkshilfe Wien spricht man sich gegen ein Sexkaufverbot aus. "Es ist begrüßenswert, dass sich die EU mit den Missständen in der Sexarbeit beschäftigt, aber dass ein Sexkaufverbot eine adäquate Maßnahme für den Kampf gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung ist, das ist eine fatale Schlussfolgerung", sagt Einrichtungsleiterin Stefani Doynova. Ein Verbot treibe Sexarbeiter:innen noch mehr in das Prekariat. „Sexarbeiter:innen kämpfen mit Stigmatisierung, Diskriminierung und dass ihre Arbeit nicht als Arbeit anerkannt wird", sagt Doynova. Ob die in Österreich vorgeschriebenen Untersuchungen eine dieser Diskriminierung sind, darin seien sich Sexarbeiter:innen aber uneinig. Viele der Klientinnen würden die verpflichtende Gesundenuntersuchung begrüßen und seien froh, dass sie regelmäßig untersucht werden und bei möglichen Krankheiten erste Therapiemöglichkeiten besprechen können. Andere sehen das hingegen als Stigmatisierung und Bevormundung durch den Staat, sagt Doynova.

Nicht alle wollen aussteigen

In Frankreich fühlen sich jedenfalls durch das Sexkaufverbot viele Sexarbeiter:innen diskriminiert. 2019 haben 261 Sexarbeiter:innen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht, die nun für zulässig erklärt wurde. Sexarbeiter:innen sagen in dieser Beschwerde, dass das Verbot ihre Arbeit gefährlicher gemacht habe – etwa weil Straßen nicht mehr beleuchtet werden und sie im Dunkeln arbeiten müssen. Ziel des nordischen Modells sind auch Ausstiegsprogramme. Auch das Prostitutionsrecht in Frankreich hat diese Programme, doch nur sehr wenige haben es geschafft auszusteigen, weiß Vural.

"Diese Ausstiegsprogramme implizieren, dass Sexarbeit immer unfreiwillig ist." Damit unterstelle man allen, sie würden das aus Zwang machen, und so wird nicht ausreichend zwischen Sexarbeit und Zwangsarbeit unterschieden, kritisiert Vural. "Wir können als Beratungsstelle nicht bestätigen, dass alle aus der Sexarbeit rauswollen", sagt Stefani. Doynova. Sie hätten auch Klientinnen, die sich innerhalb der Sexarbeit professionalisieren wollen. Sophie bietet etwa einen Lehrgang zum Thema Sexualassistenz und Sexualbegleitung für Sexdienstleistungen für Menschen mit Behinderungen oder altersbedingten Einschränkungen. (Beate Hausbichler, 13.10.2023)