AUA-Chefin Annette Mann im Hangar am Flughafen Wien, vor einem AUA-Flieger an einem Tischchen sitzend.
"Die AUA-Belegschaft empfand es als große Kränkung, für einen Euro gekauft zu werden": Annette Mann.
Regine Hendrich

Draußen startet alle paar Minuten ein Flieger, drinnen wird eine AUA-Maschine mit neuen Sitzen bestückt: AUA-Chefin Annette Mann empfängt den STANDARD im Hangar am Flughafen Wien.

STANDARD: In welches Land wären Sie besser nie gereist?

Mann: Oh. Da fällt mir keines ein. Denn ich versuche immer, das Positive mitzunehmen, wenn ich in ein fremdes Land komme. Ich möchte keine meiner Reisen vermissen.

STANDARD: Sie haben schon 60 Länder bereist?

Mann: Inzwischen mehr. Bei 65 oder 66 habe ich aufgehört zu zählen.

STANDARD: Waren Sie schon am Neusiedler See? Im Juni 2022 waren Sie's noch nicht.

Mann: Aber natürlich. Ich war dann noch im Sommer des Vorjahres dort, und es hat mir sehr gut gefallen.

STANDARD: Sie kommen aus einem "kleinen Kaff", wie Sie Simbach am Inn in Niederbayern einmal bezeichnet haben. Wollten Sie da schon immer raus?

Mann: Wir sind mit unseren Eltern schon gereist, aber als ich mit 14 das erste Mal in den USA war, kam die Lust auf die große weite Welt.

STANDARD: In Simbach hielt seit jeher der Orient-Express. Sind Sie mit dem je gefahren?

Mann: War mir nicht bewusst. Nein.

STANDARD: Sie fliegen mehr. Sie arbeiten seit 20 Jahren für die Lufthansa, waren dort zuletzt für Nachhaltigkeit zuständig. Haben Sie sich je Ihren Fußabdruck ausgerechnet?

Mann: Ja. Ich rechne meinen Fußabdruck jedes Jahr aus, der größere Teil davon entsteht aus meiner beruflichen Reiserei, die sich eben über viele Jahre erstreckt. Und ich schaue, dass ich jedes Jahr einen CO2-Ausgleich dazu schaffe.

STANDARD: Wie?

Mann: Unterschiedlich. Ich kaufe Sustainable Aviation Fuel (SAF), aber ich habe auch schon ein paar Quadratmeter Wald gekauft.

STANDARD: Wie viel Regenwald am Amazonas gehört Ihnen schon?

Mann: Aktuell weiß ich das gar nicht. Ich habe festgestellt, dass Bäumepflanzen zwar gut ist, aber sehr, sehr viel effektiver ist es, in Mangroven- oder Algenwälder zu investieren. Wenn Sie im Meer Algen anbauen, so schaffen Sie pro Quadratmeter das 40-Fache an CO2-Bindung, als wenn Sie einen Baum pflanzen. Also investiere ich mehr in Mangroven und Algen.

Fünf Flugbegleiterinnen in den frühen 1960er-Jahren vor einem AUA-Flieger
AUA-Stewardessen in den frühen 1960er-Jahren, kurz nach der Gründung der Airline 1957, im Hintergrund eine Caravelle.
APA/Austrian Airlines

STANDARD: AUA-Chefin sind Sie seit März 2022. Die hat seit ihrer Gründung 1957 eine turbulente Geschichte hinter sich. Welches war denn die prägendste Zeit in Ihren Augen?

Mann: Zwei Phasen: Der Kauf der AUA durch die Lufthansa 2009 war ein einschneidendes Erlebnis, die Belegschaft hat es als große Kränkung empfunden, für einen symbolischen Euro gekauft zu werden ...

STANDARD: … und die Lufthansa bekam 500 Millionen Euro von der Republik Österreich mit auf den Weg.

Mann: ... was für die Mitarbeiter aber nicht so relevant war. Und auch die Phase, als Tyrolean im Jahr 2015 mit der AUA verschmolzen wurde, war für viele schwer verdaulich.

STANDARD: Haben Sie sich je den großen Sitzungssaal in der alten Creditanstalt (CA) angesehen?

Mann: Nein, in dem Gebäude war ich noch nie.

STANDARD: Dort wurde die AUA gegründet, sie entstand ja aus einer roten und einer schwarzen Airline. Den Proporz gibt es in Deutschland ja nicht so sehr. Wo sehen Sie denn den großen Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern, AUA und Lufthansa?

Mann: Ich spüre in der Austrian höhere Emotionalität als bei der Lufthansa, bei der geht es rationaler zu.

STANDARD: Die Lufthansa ist cooler?

Mann: Bei der AUA ist schnell einmal viel Emotionalität in der Diskussion – was auf der anderen Seite bewirkt, dass sie ein besserer Gastgeber ist als die kühleren Deutschen in der Lufthansa. Die AUA bekommt im Konzern zurzeit die besten Bewertungen von den Kunden.

STANDARD: Sie schätzen die österreichische Art nicht immer. Stimmt das?

Mann: Man muss sich ans Raunzen gewöhnen. Aber ich bin supergern in Österreich.

Frauen beim Feministischen Streik in Lausanne in der Schweiz im Juni 2014
Mit Feminismus hat AUA-Chefin Mann nichts am Hut.
Imago/Zuma Wire/Eric Dubost

STANDARD: Sie sind die erste AUA-Chefin, darauf werden Sie oft angesprochen. Feministin sind Sie keine?

Mann: Nein, bin ich nicht. Dieses Aufgeregte, die absolute Forderung nach Frauenquoten – bei diesem "Frauen gegen Männer" gehe ich nicht mit. Wenn Unternehmen der Quote nachrennen, bewirkt das mitunter, dass man Frauen zu früh fördert, sie in Positionen bringt, in denen sie scheitern. Aber Frauen zu fördern und beizutragen, dass sich mehr Frauen Führungspositionen zutrauen und sie auch anstreben, das ist mein täglicher Job. Dazu muss man Vorbild sein. Wenn mir eine Frau für einen Job empfohlen wird, prüfe ich genau, ob es nur darum geht, dass sich die Personalabteilung wegen der Quotenkennzahl freut oder ob die Frau auch wirklich auf diesen Posten passt. Mehr Frauen in bessere Position zu bringen, das ist ein Langstreckenlauf, kein Sprint.

STANDARD: Wir laufen aber schon sehr lang.

Mann: Das stimmt.

STANDARD: Was tun Sie im Netzwerk International Women's Forum, das 8.000 Mitglieder weltweit hat?

Mann: Ich werde es erst sehen, bin da gerade erst reingewählt worden, da sind tolle Frauen drin. Bisher war ich in keinem Netzwerk aktiv, weil ich überzeugt bin, dass es nicht um Frauen versus Männer geht, sondern ums Miteinander. Und außerdem: Sehr oft ist das Frauenthema ja eigentlich ein Mütterthema. Denn die Schwierigkeiten für Frauen im Beruf beginnen meist dann, wenn sie ihr erstes Kind bekommen. Dann stellt die Gesellschaft andere Erwartungen an sie, etwa die, dass sie die gesamte Care-Arbeit übernehmen.

STANDARD: Die AUA will grüner werden, da haben Sie jüngst einen enormen Dämpfer bekommen: Das Gericht hat Ihre Werbung für CO2-freie Flüge nach Venedig als irreführend verboten. Ein peinlicher Rückschlag?

Mann: Das ist kein Rückschlag, wir sind mit diesem Urteil nicht unglücklich, haben auch keine Berufung eingelegt. Denn im Urteil steht auch, dass unser Einsatz von Sustainable Aviation Fuel dazu geeignet ist, unseren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Wir tun also das Richtige, haben das gemäß dem Urteil aber nicht richtig erklärt. Wir müssen es schaffen, das sehr komplexe Thema Nachhaltigkeit auf knappe Botschaften für die breite Öffentlichkeit herunterzubrechen.

STANDARD: Die Venedig-Werbung war jedenfalls die falsche Botschaft.

Mann: Wenn Sie heute Grünstrom für Ihre Wohnung beziehen, gehen Sie auch nicht davon aus, dass Ihr Energieanbieter Ihnen ein Windrad vor Ihr Haus stellt. Sie vertrauen ihm, dass er so viel Grünstrom produziert, dass es für den von Ihnen gekauften Anteil reicht. Der Strom aus Ihrer Steckdose kann aber durchaus aus einem Atomkraftwerk kommen. So ist es auch bei Sustainable Aviation Fuel: Wir garantieren Ihnen, dass wir so viel SAF auf unseren Flügen vertanken, wie Sie anteilig verbrauchen – aber nicht auf Ihrem konkreten Flug, weil das wie beim Grünstrom technisch nicht geht. Das auf Werbebotschaften zu verknappen, das müssen wir lernen.

Der deutsche Regierungsflieger lässt wegen einer Panne Kerosin ab
Bis Fliegen grün wird, wird es noch dauern, weiß auch AUA-Chefin Mann. Hier der deutsche Regierungsflieger, der im August wegen einer Panne Kerosin ablassen musste.
IMAGO/Florian Gaertner

STANDARD: Nachhaltigkeit in der Airline-Branche: Ist dieser Spagat nicht einfach zu groß?

Mann: Groß, aber nicht zu groß. Wir können etwas dafür tun, dass Fliegen nachhaltiger wird, die technischen Lösungen dafür gibt es heute schon: Wir könnten alle Fliegertanks mit grünem Kerosin füllen – aber so viel grünes Kerosin gibt es weltweit noch nicht. Aber es gibt superspannende Ideen: Die Air New Zealand beispielsweise erzeugt SAF aus Rückständen der Zuckerrohrproduktion, und es wird längst auch mit Haushaltsabfällen und Algen experimentiert.

STANDARD: Irgendwann wird Fliegen grün sein?

Mann: Davon gehe ich aus. Aber es wird lange dauern.

STANDARD: Die Lufthansa hat eine Kooperation mit der Deutschen Bahn, die ist auch schon Mitglied der Star Alliance. Die AUA kooperiert mit der ÖBB, wird die nun auch Mitglied des Vielfliegerprogramms?

Mann: Wir führen Gespräche dazu. AUA und ÖBB sind keine Konkurrenten. Wir sind Partner, die versuchen, Mobilität miteinander zu vernetzen. Für manche Strecken fährt man besser mit der Bahn, andere muss man mit dem Flieger bewältigen – das ist kein Widerspruch. Mit Kurzstreckenflügen hatten wir Airlines noch nie großen Spaß, die sind auch kein großes Geschäft. Da transportiert man hauptsächlich Passagiere, die dann auf Langstreckenflüge umsteigen, und dafür können die gerne den Zug nehmen.

STANDARD: Der "Falter" kürte Sie wegen der gerichtlichen Verurteilung zum "Dolm der Woche". Kannten Sie das Wort überhaupt, und hat es Sie gekränkt?

Mann: Das Wort Dolm kannte ich davor gar nicht. In meiner Rolle darf man sich nicht kränken lassen. So etwas passiert halt, und am nächsten Tag geht es weiter.

STANDARD: Sie sagen, die AUA sei wirtschaftlich noch nicht ganz gesund, werde noch länger an den 500 Millionen Euro kiefeln, die in der Pandemiezeit verlorengegangen sind. Sie schnüren ein Sparpaket?

Mann: Momentan nicht. Aber die Inflation, die in Österreich viel höher ist als in Westeuropa, bereitet uns viele Bauchschmerzen. Jeder Punkt mehr Inflation bringt uns einen zweistelligen Millionenschaden. Wir durchforsten daher alle Unternehmensbereiche auf Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen, vor allem die Digitalisierung ist da ein Thema.

STANDARD: Das wird wohl auch für Ihr Personal Folgen haben?

Mann: Nein. Nicht für die Leute, die schon da sind, es gibt auch keinen Personaleinstellungsstopp. Aber wir werden sicher überlegen, ob wir jede Stelle nachbesetzen müssen.

STANDARD: Ihr Vertrag läuft nur bis 2025. Bleiben Sie länger?

Mann: Ich gehe fest davon aus, dass mein Vertrag in der AUA um fünf Jahre verlängert wird. Ich bin sehr gern hier.

Blick auf die Alte Donau, aus dem Strandbad Alte Donau
Die Alte Donau ist der Lieblingsort der gebürtigen Deutschen in Wien.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Was ist das Wienerischste an Ihnen?

Mann: Ich habe mir ein paar wienerische Redewendungen angewöhnt. Ich sage oft "eh" und "passt scho".

STANDARD: Ihr Lieblingsort in Wien?

Mann: Ich bin sehr gern an der Alten Donau.

STANDARD: Sie tauchen gern: Das können Sie dort nicht tun, aber Elektrobootfahren geht.

Mann: Ja, genau. Ich war dort auch einmal mit einem dieser lustigen kleinen Insel-Boote unterwegs: Da haben wir eine Vorstandsbesprechung abgehalten.

STANDARD: Max Frisch hat elf "Fragebögen" publiziert, in denen es um existenzielle Themen geht. Eine Frage davon möchte ich Ihnen stellen: Welche Hoffnung haben Sie aufgegeben?

Mann: Die Hoffnung, dass es irgendwann keine Kriege mehr auf der Welt gibt.

STANDARD: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Mann: So eine Überraschung. Es geht darum, neugierig und offen zu sein, denn die Welt hat so viel zu bieten. Seine Talente entwickeln und in eine Gemeinschaft einbringen: Das macht ein gutes Leben aus. (Renate Graber, 15.10.2023)