Illustration von Gehirn, dessen Strukturen komplett verknotet sind
Traumtische Erlebnisse können Einfluss auf die Gehirnreifung haben, sie weben sich sozusagen in die Biologie ein. Doch das kann man lösen.
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Lebensfreude und Abenteuerlust, diese beiden Eigenschaften zeichneten Eduard aus. Ob Fallschirmspringen oder mit dem Zelt durch halb Europa trampen, er war dabei. Doch irgendwann, mit Anfang 30, drehte sich sein Leben. In der Beziehung wurde die Frage der Familiengründung immer drängender, seine Partnerin wünschte sich ein Kind. Und obwohl er diesen Wunsch eigentlich auch hatte, ging es ihm umso schlechter, je dringender sie das Thema besprechen wollte. Irgendwann konnte Eduard, der eigentlich anders heißt, nicht mehr schlafen, ständig gab es Streit. Er zog sich zurück, Panikattacken kamen dazu. Und auch gesundheitlich ging es ihm immer schlechter.

Es kam zur Trennung, die brachte aber keine Erleichterung. Die Symptome verstärkten sich sogar noch – bis sich Eduard entschloss, eine Therapie zu beginnen. Er hatte einfach keine Erklärung dafür, warum seine Lebensfreude komplett verschwunden war. In der Therapie wurde schnell klar, dass traumatische Erlebnisse die Auslöser der Panikattacken und Schlafstörungen waren. Doch es dauerte eine Weile, bis die Erinnerungen des jungen Mannes wieder zum Vorschein kamen.

Er war als kleiner Bub sexuell missbraucht worden. Diese Erfahrung war so traumatisch, dass sein Unterbewusstsein sie abgekapselt hatte, bis er sich tatsächlich nicht mehr daran erinnern konnte – ein Selbstschutzverhalten, das öfter vorkommt. Der dringende Kinderwunsch seiner Partnerin triggerte die Erfahrungen, er hatte Angst, dass seinem Kind das Gleiche passieren könnte – auch wenn ihm das nicht bewusst war.

Genese aus dem Vietnamkrieg

Traumata sind ein großes Thema in der Psychotherapie. Doch was genau ist das? Der Begriff bezeichnet eine psychische Ausnahmesituation, die von einem überwältigenden Ereignis ausgelöst wird, das sich als Bedrohung für Leben und körperliche Unversehrtheit darstellt. Das kann eine Gewalttat sein, ein Kriegserlebnis, eine Katastrophe. Aber auch ein Autounfall oder (sexuelle) Übergriffe in der Kindheit können traumatische Folgen haben.

"Erstmals wurde die posttraumatische Belastungsstörung, PTBS, im Jahr 1980 in Folge des Vietnamkriegs als Diagnose definiert", erklärt Robert Bering, Psychiater und Psychotherapeut, der eine Professur im Bereich Heilpädagogik und Rehabilitation an der Uni Köln innehat und Vortragender bei der Trauma-Fachtagung an der Wiener Sigmund-Freud-Universität am 20. und 21. Oktober ist. Er ist außerdem Autor des Fachbuchs Kompendium Traumafolgen, das sich mit Verlauf und Behandlung der PTBS auseinandersetzt (Klett-Cotta).

Aus diesem Krieg kehrten so viele Veteranen mit traumatischen und massiv beeinträchtigenden Erlebnissen zurück, dass sich auch die Politik mit der Thematik auseinandersetzen musste. Man bemühte sich um eine gut abgrenzbare Definition, um unter anderem die politischen Folgen dieser Diagnose überschaubar zu halten.

Bis heute ist die fachliche Definition sehr eng gefasst. Die klinische Wirklichkeit ist aber wesentlich breiter, weiß Bering. Das zeigt sich auch daran, wie viele Menschen traumatische Erfahrungen gemacht haben dürften. Klare Zahlen gibt es nicht, doch der Traumaexperte geht davon aus, das zwischen 60 und 80 Prozent aller Menschen betroffen sind.

Das Trauma hat dabei eine sehr stark subjektive Komponente, betont er. Nicht bei allen entsteht dadurch Therapiebedarf: "Viele Betroffene können ihre schlimmen Erlebnisse verarbeiten, es kommt zu einer posttraumatischen Reifung, die einen sozusagen wachsen lässt an den eigenen Erfahrungen." Welche Mechanismen oder Persönlichkeitseigenschaften dazu führen, dass die einen das Erlebte verarbeiten und andere eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln, ist aber noch nicht ausreichend erforscht.

Einfluss auf die Gehirnreifung

Wie äußert sich so ein Trauma? Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt sehr klassische Symptome wie unkontrolliertes Wiedererleben der traumatischen Erfahrung, etwa durch Flashbacks oder Albträume, oder auch Anzeichen der Übererregung wie Herzrasen. Typisch ist auch Vermeidungsverhalten, also wenn man gezielt möglichen Situationen, die einen an das Trauma erinnern könnten, aus dem Weg geht.

War man beispielsweise in einen Autounfall verwickelt, kann es sein, dass man sein Leben unbewusst so einrichtet, dass man nicht Autofahren muss, oft nicht einmal als Beifahrer. Das kann sogar so weit gehen, dass man nicht mehr Zug oder Bus fahren will, was langfristig die Lebensqualität stark einschränkt.

Und es gibt viele Begleitsymptome. Dazu gehören Schmerzen, die sogar chronisch werden können, Kopf- oder Rückenschmerzen zum Beispiel, Angstzustände und Panikattacken, oder womöglich sogar die Unfähigkeit, sich normal in die Gesellschaft einzufügen. Sehr oft resultieren daraus auch Beziehungsprobleme bis hin zur Bindungsunfähigkeit.

Mittlerweile versteht man viel mehr über die langfristigen Auswirkungen von Traumata. Man weiß etwa, dass entsprechende Erlebnisse in der Kindheit Einfluss auf die Gehirnreifung und andere neurobiologische Mechanismen haben. Sie können deshalb abgesehen von der posttraumatischen Belastungsstörung auch andere psychische Störungen begründen, etwa Depressionen, Angststörungen und in besonderen Fällen auch psychotische Erkrankungen.

Aber auch körperlich kann es sich niederschlagen, etwa weil diese neurobiologischen Veränderungen chronische Entzündungen auslösen und langfristig sogar die Lebenserwartung reduzieren können. "Traumata im Kleinkindalter weben sich sozusagen in die Biologie ein und habe dadurch eine ganz andere Qualität als singuläre traumatische Ereignisse", erklärt Bering.

Doch nicht alle Menschen, die ein Trauma erlebt haben, müssen den Rest ihres Lebens mit dieser Belastung verbringen. Ohnehin wäre das bei der schieren Anzahl der Betroffenen nicht vorstellbar. Und dank den Erkenntnissen aus der Neurobiologie hat man mittlerweile einige sehr vielversprechende Ansätze, mit denen man die Traumafolgen sehr gut und auch effizient behandeln kann.

Vielversprechende Behandlungsansätze

Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass die zeitliche Verarbeitung gestört sein dürfte: "Wenn man durch ein Ereignis, durch einen Geruch oder auch ein Geräusch an das Trauma erinnert wird, dann fühlt es sich so an, als wäre man in genau diesem Moment in dieser lebensbedrohenden Situation. Das Gehirn kann das Erlebte zeitlich nicht richtig zuordnen", erklärt Bering.

Mittlerweile hat man therapeutische Methoden entwickelt, die die relevanten Regionen im Gehirn, zum Beispiel das limbische System, so anregen, dass diese zeitliche Einordnung richtiggestellt wird. Das Gehirn steckt das Erlebte sozusagen in die richtige Schublade. Dann kann man auch bei unerwarteten Triggern das Erlebte der Vergangenheit zuordnen und fühlt sich nicht im Hier und Jetzt bedroht.

In der Therapie wird außerdem versucht, das Ereignis unter kontrollierten Umständen und in einem geschützten Setting noch einmal emotional zu durchleben, auch aus unterschiedliche Perspektiven heraus. Darüber hinaus macht sich die Traumatherapie neurobiologische Erkenntnisse zunutze, die eine im Verhältnis rasche Auflösung möglich machen – man muss sich, klischeehaft gesprochen, nicht jahrelang auf die Couch legen und die eigene Kindheit analysieren.

Eine dieser Methoden ist das sogenannte Brainspotting. Dabei versucht man gezielt in jenen Gehirnregionen einen Prozess anzustoßen, die für die Traumaverarbeitung zuständig sind. Hinweisgeber sind dabei die Augenbewegungen: Das Auge wandert unbewusst in die Richtung, wo das Gehirn gerade aktiv ist. Dass dieser Ansatz funktioniert, zeigt sich auch in bildgebenden Verfahren, die untersucht haben, welche Gehirnregionen durch unterschiedliche Reize aktiviert werden. Über die Augenbewegungen funktioniert auch der Therapieansatz EMDR, das steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing. Dadurch können sich die Gehirnhälften neu synchronisieren, die Traumaerfahrung wird reorganisiert. In dieser Studie wurden die beiden Methoden auf ihre Wirksamkeit untersucht.

Auch Eduard hat in der Therapie die Brainspotting-Methode eingesetzt. Seine Erlebnisse wird er nie wieder loswerden, zu schwerwiegend waren die Erfahrungen. Doch durch das Prozessieren ist es ihm gelungen, die Erinnerung zu verarbeiten und einzuordnen. Er weiß heute, dass das, was ihm als Bub passiert ist, keine Gefahr mehr für ihn darstellt – und hat damit sein Leben wieder selbst in der Hand. (Pia Kruckenhauser, 18.10.2023)